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SLIME – Sich fügen heißt lügen

Über die Historie von SLIME braucht man wohl nicht mehr viel zu schreiben, darum begnüge ich mich mit einem Schnelldurchlauf: Nach der zwischenzeitlichen Trennung der wohl wichtigsten und einflussreichsten Deutschpunk Band aller Zeiten im Jahr 1994, wagten Sänger Dirk und Gitarrist Elf 9 Jahre später zunächst eine halbgare "50%-Reunion" in Form des Bandprojektes RUBBERSLIME, ehe man sich im Jahre 2010 dazu entschloss, entgegen jahrelanger Beteuerungen doch wieder in Originalbesetzung unter dem Namen SLIME aufzutreten. Lediglich Schlagzeuger Stephan Mahler weigerte sich von Anfang an, bei dem Comeback mitzuspielen und wurde daher durch Alex Schwers (spielt u.a. bei HASS) ersetzt. Als Bassist Eddi kurz darauf aufgrund einer Handgelenkverletzung ebenfalls das Handtuchwerfen musste, stieß schließlich die MIMMI´S-Bassisten Nici dazu und komplettierte somit die heutige SLIME-Besetzung.
Nachdem in dieser neuen Formation diverse Konzerte und Festivals absolviert wurden, drängte sich allerdings eine neue Frage auf: Wie steht es mit einem neuen Album? Das Problem bei der Sache ist nämlich, dass sich der ausgestiegene Stephan Mahler für einen Großteil der früheren Texte der Hamburger verantwortlich zeigte und Fußstapfen hinterließ, die die Band nicht füllen konnte – zumindest nicht ohne sich als ehemals wichtigstes politisches Deutschpunkaushängeschild selbst zu demontieren. Daher wurde für "Sich fügen heißt lügen" kurzerhand in die Trickkiste gegriffen: Auf dem Album vertonen sie nämlich fast ausschließlich Texte des 1934 im KZ Oranienburg von den Nazis ermordeten Anarchisten Erich Mühsam! Die einen sehen es als eine Art Hommage, die Anderen als Verzweiflungstat. Tatsache ist: Letztendlich war diese Lösung die Beste, die SLIME finden konnten, und das Konzept geht tatsächlich auf. Denn seien wir ehrlich: Dass ein neues Album an einen Meilenstein wie "Schweineherbst" herankommt, hat sowieso niemand ernsthaft erwartet. Stattdessen findet man in regelmäßigen Abständen Anknüpfpunkte zu den verschieden Phasen der Bandgeschichte. "Rebellen" beispielsweise erinnert mit seinem Reggae-Part an Klassiker wie "Deutschland" oder "Alptraum", und "Das Bett aus Lehm und Jauche" könnte man sich mit seinen düsteren, monotonen Gitarren auch sehr gut auf dem eher experimentellen "Viva la Muerte"-Album vorstellen. Songs wie "Wir geben nicht nach", "Seenot" oder der Titeltrack "Sich fügen heißt lügen" sind ebenfalls typische SLIME-Kracher, die durchaus aus der besten Phase der Band stammen könnten. Mühsams Texte legen zudem stellenweise eine ähnliche Radikalität an den Tag, wie sie SLIME damals vertreten haben und sind auch heute noch inhaltlich erschreckend aktuell, wenngleich der Wortlaut stellenweise ein wenig antiquiert wirkt. "Zum Kampf" wiederum fällt dann doch etwas rockiger aus und steht stilistisch wiederum dem Sound aus der RUBBERSLIME-Ära nahe, ist aber immer noch zu bodenständig, um sich in den Bereich des Stadionrocks verorten zu lassen.
So lässt sich zusammenfassend sagen, dass "Sich fügen heißt lügen" insgesamt ein solides SLIME-Album geworden ist, welches in gewisser Weise wie ein repräsentativer Querschnitt aus den bisherigen Schaffensphasen der Band erscheint. Aufgebaut auf einem musikalisch soliden Fundament bietet es zudem eine gute Möglichkeit, sich mit dem Schaffen Erich Mühsams auseinanderzusetzen, der sicherlich als einer der bedeutendsten Schriftsteller und Publizisten in der Geschichte des Anarchismus gilt. Stellt sich abschließend nur noch die Frage, wie der nächste Schritt für SLIME aussehen könnte?! Man munkelt, Bertolt Brecht und Kurt Tucholski hätten auch noch den einen oder anderen potentiellen Songtext auf Lager…

Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.