Wenn man in Hamburg wohnt, kann man sich über das lokale Konzertangebot eigentlich nicht beschweren. So vergeht kaum ein Tag, an dem Freunde der gepflegten, verzerrten Gitarrenmusik nicht mindestens eine Anlaufstelle finden, um ihrer Leidenschaft zu frönen, und auch bei kleinen Touren bekannter Bands wird fast immer in der Stadt an der Elbe Halt gemacht. Wen es zu meinem Leidwesen jedoch noch nicht nach Hamburg verschlagen hat, sind RENTOKILL. Die Polit-Punks aus Österreich grasen seit geraumer Zeit scheinbar jeden Winkel der Republik ab und machen dabei konsequent einen Bogen um Hamburg, was jedoch weniger an einer Abneigung zur Hansestadt, sondern vielmehr an den für unbekannte Bands verhältnismäßig schwierigen hiesigen Bookingbedingungen liegen dürfte. Da die Teilnahme an einem RENTOKILL-Konzert seit dem großartigen Album „AntiChorus“ ganz weit oben auf meiner noch offenen „to do“-Liste stand, beschloss ich, dass der Berg dann eben zum Propheten kommen muss, und so saß ich schließlich mit einem Bierchen sowie der aktuellen Ausgabe des Human Parasit-Fanzines bewaffnet an einem Montag Abend im Regionalzug nach Lüneburg.
Das Jekyll & Hyde entpuppte sich als Musik-Kneipe am Rande der putzigen Lüneburger Altstadt. Eine Bühne gibt es nicht, nichtsdestotrotz spielen hier gelegentlich Bands im Kneipenraum. Meine Befürchtungen, es könnte aufgrund des Wochenanfangs gähnende Leere herrschen, verflogen im Handumdrehen, denn diverse Leute lungerten bei meiner Ankunft bereits vor dem Laden rum und genossen das eine oder andere Kaltgetränk in den letzten Strahlen der Abendsonne. Eine Viertelstunde später hingen sich dann NEIN NEIN NEIN ihre Instrumente um. Ihre kurzen, kaum länger als eineinhalb Minuten dauernden Punkkracher konnten mich auch live nicht so wirklich überzeugen. Ich habe mir zuhause schon des Öfteren ihre Split-LP mit den KAPUT KRAUTS angehört und bin mit dem Trio aus Mönchengladbach nie ganz warm geworden, obwohl die Musik eigentlich voll in mein „Beuteschema“ passt. Weiß der Geier, warum… Schlecht war die Darbietung an diesem Abend aber auf jeden Fall nicht, und angesichts der Kurzatmigkeit der Lieder kam zu keinem Zeitpunkt Langeweile auf.
Beim Line-Check von RENTOKILL kamen mir ein paar Bedenken, ob es die Band schafft, sich auch trotz fehlender Bühne und mit einer auf die Gesangsanlage reduzierten PA gut zu verkaufen. Doch genau das macht eine gute Band letztendlich aus: Wenn sie auch bei einem Kneipengig hundert Prozent gibt und sich trotz der unkonventionellen Raumverhältnisse und des reduzierten Sounds reinhängt, als würde sie um ihr Leben spielen. Die österreichische Melodic-Hardcoreband meisterte diese Aufgabe zu meiner Erleichterung mit Bravour und spielte sich elanvoll durch alte und neue Songs wie „Discontent industry“, „Portrait of conformity“ und natürlich auch die Hymne „Primetime killers“. Da sich RENTOKILL bekanntlich als sehr politische Band verstehen, gab es auch einige politische Ansagen, wie bei einem brandneuen Song über die Ausbeutung von Tieren, in dessen Ansage auf die derzeitige Situation von zehn österreichischen Tierrechtsaktivisten hingewiesen wurde, die momentan unter dem Vorwurf „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ im Knast sitzen, ohne dass konkrete Tatverdachte vorliegen. Während RENTOKILL als letztes reguläres Stück „Songs of convenience“ spielten, welches die Abschottung Europas und seine Abschiebepolitik thematisiert, musste ich mich schweren Herzens selber „abschieben“ – es galt nämlich, den letzten Zug nach Hamburg zu erwischen. Ich bin mir allerdings sicher, dass sich die sympathischen Ösis noch zu der einen oder anderen Zugabe hinreißen ließen.