YO LA TENGO – Musik satt

„I hope you enjoy the summertime in Hamburg…“ Ira Kaplan steht mit seinen Kollegen seit einer halben Stunde auf der Bühne. Es sind beinahe die ersten Worte, die er an sein Publikum richtet. Es wird gelacht. Man fühlt sich verstanden, all der ganze Regen, die kalten Temperaturen der letzten Wochen, sie sind in diesem Moment fast unwichtig geworden. YO LA TENGO bringen endlich die Wärme, auf die alle solange gewartet haben.
Das Konzert in der Fabrik ist an diesem Mittwoch Abend gut besucht. Doch dem gemeinen Indie-Rock-Fan bietet sich ein ungewohntes Bild: Das Publikum besteht hier nicht aus kreischenden Teenies, es sieht fast so aus, als würden nur Gäste jenseits der Dreißig zugelassen. Und damit ist die untere Grenze gemeint. Das Publikum und die Band, sie altern eben gemeinsam: Auch YO LA TENGO schnuppern schon an den Fünfzigern.
Nach einer beinahe zwanzigjährigen Musikgeschichte, nach einem guten Dutzend Alben bekommt das Hamburger Publikum einen wunderbaren Einblick in das gesamte Schaffen dieser Band aus dem New Yorker Hoboken. YO LA TENGO spielen sich durch ihre Vergangenheit, es ertönen Songs von den alten Alben „President yo la tengo“, „Fakebook“, „Painful“. Und auch die neueren fehlen nicht. Nach einem krachigen, experimentellen Opener geht es erst einmal ruhig und besinnlich weiter. Doch auch hier bleibt die Band experimentell. Allen voran Ira erscheint auf der Bühne wie ein kleiner Junge, der es nicht lassen kann, aus den Instrumenten noch den unmöglichsten Ton herauszuholen. Und über die nächsten zwei Stunden geht es dann hinweg mit einer scheinbar unerschöpflichen Wandelbarkeit des Songmaterials. Fast kaum zu glauben, dass diese Klanggebilde von nur drei Leuten erzeugt werden. Die Fabrik ist hierfür ein idealer Arbeitsraum, bekommt die Bühne doch so etwas wie den Charakter einer Tonfabrik. Und so laut und schräg es mitunter zugeht, niemals verlieren YO LA TENGO ihre grundeigene musikalische Wärme.
Auch ihr Erscheinungsbild ist entsprechend: Ira Kaplan an der Gitarre in seinem gestreiften T-Shirt, das er bereits vor zwei Jahren in der Fabrik trug, genau wie seine Frau Georgia Hubley am Schlagzeug, wieder in ihrem unförmigen blauen Hosenanzug; und der Teddybär James am Bass mit seinem schwarzhaarigen Wuschelkopf. Alles in allem wirkt das beinahe wie ausgedacht von einem Autor wie John Irving. So eigenwillig aber stimmig ist das Bild auf der Bühne.
Inzwischen wird auch mehr gesprochen, Anekdoten werden zum Besten gegeben. Und es wird sogar getanzt, einmal, herrlich albern. Georgia und James hopsen unbekümmert über die Bühne. Die Zuschauer sind hoch erfreut.
Nach ereignisreichen 120 Minuten ist der reguläre Teil beendet. Doch es ist noch längst nicht Schluss. Die Amerikaner kommen viermal zurück, sieben Zugaben gibt es, das Publikum tobt. Und das ausgerechnet in Hamburg, wo man sich sonst verkühlt zurückhaltend gibt. Doch bei soviel Wärme, da taut auch der regengebeutelte Hamburger auf. Um sich dann nachts um eins wieder in den Regen zu stürzen. Doch seltsam, auch dieser scheint plötzlich unerklärlich warm zu sein.