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NEONSCHWARZ – „Mit dieser Sozialpädagogen-Zeigefingermasche kommst du im Rap nicht weit“

Hamburg, der 26. September 2014. Wir sitzen auf einem kleinen Aussichtsturm in der Hafencity und trinken Bier & Pfeffi, während unser Blick auf der MS Stubnitz haftet. Auf dem Schiff, das früher als Kühlschiff der DDR-Fischfangflotte diente und heutzutage als schwimmendes Kulturzentrum fungiert, findet an diesem Abend das Releasekonzert zum neuen NEONSCHWARZ-Album statt, doch trotz der prinzipiellen Vorfreude auf das Event mag sich keine so richtige Partystimmung einstellen. Der Grund hierfür ist die Nachricht vom Tod des Hamburger Graffiti-Sprühers OZ, der am Vorabend von einer S-Bahn erfasst wurde und noch an Ort und Stelle verstarb. So ziemlich jeder, der in der Hansestadt irgendwie subkulturell behaftet ist, dürfte enormen Respekt vor dem 64-jährigen „Graffiti-Opa“ gehabt haben, sei es aufgrund seiner Konsequenz, mit der er seit über drei Jahrzehnten sein Ding durchzog und sich auch durch mehrjährige Haftstrafen nicht brechen ließ, oder einfach nur aufgrund seiner Bilder & Tags, mit denen er eine bunte Abwechslung in den grauen Großstadt Alltag brachte. Dementsprechend bedrückend wirkt in diesem Moment die Atmosphäre aus Nieselregen, Dunkelheit und ölgeschwängerter Hafenluft auf uns, und als wir schließlich das Innere der mit über 400 Personen restlos ausverkauften Stubnitz betreten, haben wir das Gefühl, dass es vielen der hier Anwesenden ähnlich ergeht. Obwohl ELJOT QUENT sowie REFPOLK und sein Buddy PYRO ONE redlich versuchen, das Publikum mit ihren HipHop-Songs auf Betriebstemperatur zu bringen, springt der Funke im Schiffsbauch nicht so wirklich über und es steigt die erste böse Vorahnung in uns auf, dass der Abend, der nicht zuletzt aufgrund seines bunten Rahmenprogramms aus Techno-Party, Breakdancing und Graffiti-Action doch etwas ganz besonderes werden sollte, den hochgesteckten Erwartungen nicht gerecht wird. Doch da haben wir die Rechnung ohne NEONSCHWARZ gemacht: Innerhalb weniger Sekunden schaffen es Captain Gips, Johnny Mauser, Marie Currie und ihr DJ Spion Y, die Party mit ihrer enormen Bühnenpräsenz zu rocken. Beeindruckt von dieser Vorstellung war schnell klar, dass wir NEONSCHWARZ unbedingt ein paar Fragen stellen über ihren Werdegang und das Debütalbum stellen müssen…

Die Namen Captain Gips, Johnny Mauser und Marie Currie tauchen zwar seit Jahren immer wieder in Zusammenhang mit verschiedenen Musik-Projekten auf, für jemanden, der sich nicht im Detail mit der aktuellen Rap-Szene beschäftigt, ist es dabei allerdings schwierig den Überblick zu behalten, wer von euch letztendlich wann, wie, wo und mit wem gemeinsame Projekte am Laufen hatte. Könnt ihr uns zum Einstieg einen kurzen Überblick darüber geben, in welchen Projekten ihr in der letzten Jahren involviert wart und vor allem seit wann NEONSCHWARZ als feste Formation existiert?

Neonschwarz existiert unter dem Namen seit August 2012, da haben wir unsere erste EP rausgebracht, kurze Zeit später kam dann unser DJ Spion Y dazu. Also sind wir seit 2 Jahren zusammen in der Formation. Davor haben wir aber schon alle Musik gemacht, zum Beispiel haben Johnny Mauser und Captain Gips 2010 ein Album mit dem Titel „Neonschwarz“ rausgebracht, der Name kursiert also schon etwas länger. Auf der Platte gab es auch die erste Kollaboration mit Marie Curry. Aktuell haben der Captain 2013 sein Album „20.000 Meilen unter dem Yeah“ und Johnny mit dem TROUBLE ORCHESTRA im Mai diesen Jahres die Platte „Heiter“ rausgebracht. Und nun endlich unser erster Neonschwarz Longplayer „Fliegende Fische“ im September über Audiolith Records!

Ihr lauft ja neben einigen anderen Acts unter dem Etikett „Zeckenrap“. Symptomatischer Weise waren es in den letzten Jahren in erster Linie Genre-fremde Labels wie Twisted Chords oder eben euer Label Audiolith, die durch die Veröffentlichung explizit linker Rap-Scheiben politische Impulse in die deutsche HipHop-Community reingetragen haben. Wie erklärt ihr euch, dass nicht schon vorher ähnliche Impulse aus der „traditionellen“ Rap-Szene kamen?

Es gab ja auch in der wie ihr sagt „traditionellen“ Rap-Szene politische Inhalte. Nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland gab es in den 90er Jahren Bands wie ANARCHIST ACADEMY oder ADVANCED CHEMISTRY, die durchaus im HipHop-Mainstream verankert waren. Die HipHop-Szene war damals natürlich noch viel kleiner. Auch die BEGINNER haben in ihrer Anfangszeit quasi Zeckenrap gemacht. Jedoch gab es nach einer Mittelschichts-Kartoffel-Gymnasiasten-Rap-Phase dann nach der Jahrtausendwende die Entwicklung in Richtung Streetrap, was in Bezug auf die Sichtbarkeit von Migrant*innen zum Beispiel sehr positiv war. Rap hat jedoch dann genau das gemacht, was die kapitalistische Gesellschaft so gut vormacht: Der Stärkere setzt sich durch, Minderheiten werden unterdrückt, Frauen bekommen ihre Rolle, allerdings nicht auf der Bühne mit dem Mikro in der Hand. Irgendwie war in diesem Strudel kein Platz für politische „Korrektheit“, aber seit neuestem scheint das ganze Gepose ja auch langweilig zu werden und die Menschen sind wieder bereit für Inhalte. Und die HipHop-Medien verhalten sich sehr marktkonform, die gucken halt, was sich verkauft. Wenn dann Zecken kommen und „ihr Game“ kritisieren, haben die da erstmal keinen Bock drauf.

Durch den „Flora-Song“ gelangten ja zwei von euch zu unerwarteter Berühmtheit, da das Stück zunächst in der Hamburger Boulevardpresse breitgetreten und anschließend wegen vermeintlicher Gewaltverherrlichung indiziert wurde. Wie hat man sich so ein Indizierungsverfahren in der Praxis vorzustellen und was bedeutet dieses für eure Aktivitäten als Band?

Das stimmt, seitdem sind Marie Curry und Spion Y in aller Munde 🙂 Nein, im Ernst, viel können wir dazu nicht erzählen. Es ist ein merkwürdiges Verfahren, ging alles recht schnell und evtl. hätten wir es öffentlicher machen sollen. Für uns als Band hat es eigentlich keine Auswirkungen. Zumindest haben wir nichts dazu gelernt 🙂 So ist das mit Verboten, Maulkörben und der Pädagogik.

Umso erstaunlicher finde ich, dass euer aktuelles Album „Fliegende Fische“ letztendlich sogar mit Förderung der Hamburger Kulturbehörde entstanden ist. Hat sich die Kulturbehörde angesichts der Florasong-Sache nicht ein wenig geziert? Und gab es bei euch diesbezüglich gruppeninterne Diskussionen, ob es mit eurer Grundhaltung vereinbar ist, eine derartige Unterstützung durch die Stadt in Anspruch zu nehmen? Immerhin könnten kritische Geister hier drin eine Art Opportunismus wittern…

Na klar gab es an dem Punkt Diskussionen, da wir einiges, was in dieser Stadt passiert und wofür Behörden zuständig sind, kritisieren. Aber: Wir sind MusikerInnen, die sehr viel Zeit in die Projekte stecken und das ganze trägt sich leider finanziell noch lange nicht. Wenn du dann Support angeboten bekommst, sagst du schnell ja. Wir sind ja nun weder verpflichtet beim nächsten Geburtstag von Olaf Scholz aus der Torte zu springen und „Fliegende Fische“ zu performen, noch müssen wir unsere Gesichter auf Werbeplakate für den Standort Hamburg verkaufen. Wir haben da kaum Auflagen.

Eine im wahrsten Sinne des Wortes tragende Rolle bei der Gestaltung des Artworks spielt ein Floß, welches nicht bloß eine reine Photoshop-Fiktion ist, sondern das auch tatsächlich existiert und von euch selbst zusammengezimmert wurde. Welche Idee steckt dahinter, und weshalb habt ihr euch die Mühe mit dem Floßbau gemacht?

Das Floß steht natürlich für den kindlichen Traum, abzuhauen in eine bessere Welt. Guckt Euch mal den Film „Nordsee ist Mordsee“ an, dann versteht ihr, was wir meinen. Mit dem Floß kann scheinbar jede und jeder einfach drauf los schippern und Grenzen Grenzen sein lassen. Außerdem sind wir auch durch die Elbe vor unserer Haustür geprägt, wir haben da oft Texte geschrieben und dabei die großen Frachter beobachtet, wie sie sich auf ihren Weg in Richtung der Weltmeere gemacht haben, da beginnt man schon zu träumen. Es war tatsächlich eine Menge Arbeit und das Ding ist verdammt schwer (!), aber hey, immerhin wissen wir jetzt wie man ein Floß baut. Wer weiß, wann man davon nochmal profitiert, alleine deshalb hat sich das gelohnt.

In Liedern wie „Outta control“ oder „Verwandelt“ baut ihr eine stimmungsvolle Brücke zwischen Party-Lifestyle und politischem Aktivismus. Inwieweit besteht eurer Meinung nach die Gefahr, dass aufgrund der von euch gewählten Vermittlungsform die politischen Inhalte eurer Texte durch den Spaßfaktor in den Hintergrund gedrängt werden und wichtige Themen wie beispielsweise Antifaschismus somit zu einer phrasenbehafteten Modeerscheinung degradiert werden? Oder anders formuliert: Wie sexy darf politischer HipHop sein, um im Endeffekt glaubwürdig zu bleiben?

Gegenfrage: Wie unsexy muss politischer Rap sein, damit ihn keine und keiner mehr hört? Also mit dieser Sozialpädagogen-Zeigefingermasche kommst du nicht weit im Rap und das will auch niemand hören. Wir haben ja tierisch viel Spaß beim Mucke machen und das hört man dann vermutlich auch. Unser Alltag besteht glücklicherweise nicht nur aus Broschüren lesen und deshalb fließen auch rein hedonistische Elemente mit ein. Dass uns das alles sehr ernst ist, dürfte man aber heraushören. Platte Phrasen zum Mitgrölen sind es ja auch nicht nur. Zu dem Zusammenspiel dieser beiden Pole finden wir es wichtig, dass es ein Gleichgewicht haben muss. Das alte Großstadtproblem: Abends sind alle raven und am nächsten Morgen schaffen es maximal fünfzig Leute zur Nazikundgebung am Stadtrand zu fahren, um zu demonstrieren… darüber kann man mal nachdenken.

Eines der meiner Meinung nach wichtigsten und aussagekräftigsten Stücke des Albums ist der Song „2014“. Dieser beschreibt leider ziemlich treffend das aktuelle rassistische Klima in Deutschland: Auf der einen Seite das Versagen der Politik, etwa bei dem Umgang mit den sogenannten Lampedusa-Flüchtlingen. Auf der anderen Seite das verstärkte Aufkeimen rechter Gewalt und landesweite Mobilmachung gegen Flüchtlingsunterkünfte. Viele Menschen beobachten diese Entwicklung mit Grauen und empfinden dabei eine Art Ohnmacht, finden aber für sich selber keine konkreten Ansatzpunkte, dieser Entwicklung aktiv entgegenzuwirken. Wo seht ihr persönlich mögliche Ansätze, mit denen man als Einzelner seine Solidarität mit Flüchtlingen wirkungsvoll in die Praxis umsetzen kann?

Es ist tatsächlich erschreckend, wie viele Anschläge, Übergriffe und Demonstrationen es gegen Flüchtlinge im Jahre 2014 gibt und Ohnmacht setzt bestimmt bei vielen ein. Also erst einmal kennt wahrscheinlich jede und jeder in der Nähe eine Unterkunft für Flüchtlinge. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass man weniger über die Betroffenheitsschiene erreicht als vielmehr dadurch, dass man die Menschen dort als Mitmenschen auf Augenhöhe begreift. Das hört sich vielleicht ein bisschen komisch an, aber man muss ja erstmal aus der Position rauskommen: „Oh die Armen, die können nichts und wir helfen jetzt mal ein bisschen“. Nichtsdestotrotz brauchen die Menschen natürlich Support: Im Winter warme Kleidung, Einladungen zu Konzerten oder Fußballspielen, Sprachunterricht oder ganz banal Kohle als konkrete Beispiele. Wenn Du dann noch versuchst, in der Nachbarschaft – auf welchem Weg auch immer – ein Klima der Angst durch eine solidarische Willkommenskultur zu ersetzen, dann hast du schon eine Menge erreicht. Für den Fall, dass sich Nazis oder deutsche BürgerInnen gegen das Heim zusammenrotten, erwarten wir von jedem und jeder dahin zu gehen, die Leute zu schützen und den widerlichen Mob zu verjagen, ganz banal, ganz praktisch direkt.

Am Tag eures Releasekonzertes auf der Stubnitz wurde bekannt, dass der Hamburger Graffiti-Sprüher OZ am Vorabend beim sprühen von einer S-Bahn erfasst wurde und ums Leben gekommen ist. Ihr habt seinen Tod in eurer Show mehrfach aufgegriffen. Könnt ihr dem unkundigen Teil unserer Leserschaft erklären, welchen Bedeutung OZ für die Hamburger HipHop-Szene im Allgemeinen sowie für euch im Speziellen hatte?

OZ war einfach unglaublich konsequent, in dem was er gemacht hat, das finden wir bewundernswert. Er hat sich von jeglichen gesellschaftlichen Zwängen frei gemacht und hat versucht, die Stadt bunt zu machen. Er war ja nicht auf Zerstörung aus, sondern hat graue Brücken verziert oder an den verrücktesten Orten Smileys platziert, geiler Typ! Er wurde dabei von den S-Bahn-Wachen und der Justiz verfolgt, wie ein ganz gefährlicher Straftäter, das ist skandalös. Immer wieder hat er auch politische Parolen gesprüht (über die man teils auch streiten kann :)). Naja, auf jeden Fall bleibt er irgendwie für immer.

In eurem Stück „Unser Haus“ habt ihr eine schöne Metapher für die einvernehmliche Koexistenz verschiedener Subkulturen im Rahmen alternativer Strukturen. In der betreffenden Textzeile heißt es: „Ich wohn in der Rapetage, über mir läuft immer Punk / Reggae läuft im zweiten Stock, im Ersten gibt es Soul & Funk / im Keller immer Techno, ich häng auf der Dachterrasse / ich kann ehrlich sagen dass ich keinen meiner Nachbarn hasse“. Wie sieht es mit eurem persönlichen Musikgeschmack aus – hört ihr neben HipHop auch selber Musik aus den genannten Bereichen? Inwieweit lasst ihr euch als Rap-Formation auch von anderen Subkulturen wie beispielsweise Punk inspirieren?

Früher hat ein Großteil der Crew fast nur HipHop gehört, aber das trifft heute auf keinen mehr von uns zu: Technopartys, Popmusik, Soul-Klassiker, alles dabei. Eine konkrete Punk-Vergangenheit hat wohl nur der Captain.

Passend dazu auch unsere letzte Frage: Unser Fanzine hat seinen Fokus ja normalerweise eher auf gitarrenlastige Musik gerichtet. Habt ihr für unsere Leser zum Abschluss noch ein paar heiße Plattentipps in Sachen HipHop am Start?

Also checkt mal alles, was aus unserem TickTickBoom-Umfeld kommt: REFPOLK, PYRO ONE, RADICAL HYPE, KOBITO, SOOKEE, KURZER PROZESS. Im HipHop gibt es gerade eine ganz erfreuliche Entwicklung zu intelligentem Rap ohne blödes Machogehabe: FATONI, EDGAR WASSER, ANTILOPEN GANG, AMEWU, CHEFKET, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Große Acts wie MARTERIA oder CASPER finden wir aber auch gut. Ansonsten hören wir viel Ami-Rap und wen eine Verbindung aus Gitarren- und Rapmucke interessiert, der kann ja mal Johnnys zweite Crew das TROUBLE ORCHESTRA checken.

http://www.neonschwarz-music.com/

Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.