In der Corona-Zeit unterhielten uns ERLEND ØYE & LA COMITIVA mit dem „Lockdown-Blues“. Dabei drückt das Video aufgrund der damals verordneten Abstandsregeln im Grunde gar nicht aus, was „La comitiva“ eigentlich auszeichnet: die Gemeinschaft. Denn bei ERLEND ØYE & LA COMITIVA handelt es sich um mehr als nur ein neues Bandprojekt. Die Gruppe, mit der Erlend seit einigen Jahren zusammen musiziert, ist zugleich seine Community, mit der er seinen Alltag verbringt, seitdem es ihn vor zwölf Jahren nach Siracusa auf Sizilien verschlagen hat. Dort lebt er mit „La comitiva“ (auf Deutsch: die Gruppe) zusammen, kocht mit ihnen gemeinsam, pflegt den Garten, streichelt Katzen und musiziert mit denselben Personen. Genügend Stoff also, um mit dem gebürtigen Norweger nicht nur über das soeben erschienene Debütalbum, sondern auch über sein Leben in Italien, seine zahlreichen Bandprojekte und was ihn sonst noch so umtreibt, zu quatschen. Passend dazu trafen wir uns vor seinem Konzert auf Kampnagel bei strahlendem Sonnenschein bei einem Winterhuder Italiener, wo Erlend gerade eine Portion Gnocchi verspeiste. Natürlich nicht so gut wie in seiner neuen Heimat, ließ er mich wissen.
Hey Erlend! Du hast mit LA COMITIVA 2019 erste Songs veröffentlicht, ich habe Euch im selben Jahr in der Elbphilharmonie gesehen. Es hat ziemlich lange gedauert, bis nun ein erstes Album erschienen ist.
Oh ja, das Konzert in der Elbphilharmonie war großartig! Wir sind 2018 gestartet, und es war schwierig, so viele klassische Musiker zusammenzukriegen, um mit ihnen gemeinsam Songs aufzunehmen. Leider haben wir es versäumt, das damalige Momentum festzuhalten, das wäre toll gewesen. Direkt danach musste ich nämlich die neue Platte von den KINGS OF CONVENIENCE abschließen, dann kam COVID und im Anschluss daran die Tour. So kam leider ziemlich viel dazwischen, bis wir endlich unser Debütalbum aufnehmen und damit auf Tour gehen konnten.
In der Elbphilharmonie standen auch noch Songs von Deinem Soloprojekt THE WHITEST BOY ALIVE auf der Setlist. Ist LA COMITIVA erst in einem schleichenden Prozess zu einer richtigen Band geworden?
Das ist absolut wahr! Das Ganze fing damit an, dass ich in Argentinien und Chile ein paar Akustikshow für mich selbst gebucht hatte. Es waren kleine Shows vor 200-300 Leuten, ohne dass dort irgendwelche anderen Personen involviert waren. Ich musste einfach etwas Geld verdienen, um mir die Reise finanzieren zu können. Dann habe ich meine Jam-Freunde von Siracusa eingeladen, um mich zu begleiten. Das waren ziemlich viele, von den aber nur drei kamen. Genauso sehe ich LA COMITIVA noch heute: ein sich ständig wandelnder Prozess. Ich vergleiche das gerne mit PINK FLOYD, die 1971 „Meddle“ veröffentlicht haben und zwei Jahre später „The dark side of the moon“. Für mich sind die Prozesse spannend, die dazwischen stattgefunden haben. Die Musikindustrie möchte ja gerne, dass man als Band ein Album aufnimmt und es live genauso wiedergibt. Nein! Stattdessen sollte man die Chance nutzen, mit dem Publikum zu interagieren – es ist etwas ganz anderes, ob man Musik zu Hause hört oder live erlebt.
Als Musiker gibt es ja drei verschiedene Prozesse: den kreativen Part, wenn Songs entstehen, der präzise Part, wenn man sie aufnimmt, und zu guter Letzt die Liveperformance. Was gefällt Dir am meisten?
Es ist ein sehr berauschender Moment, wenn man eine neue Idee hat. Aus dem Nichts kommt eine Eingebung, man ist darüber ganz aufgeregt, aber man weiß noch gar nicht, in welche Richtung es weitergeht. Gewöhnlicherweise entwickeln sich diese Ideen weiter, nicht unbedingt in die perfekte Richtung. Aber bei jeder neuen Idee hat man wieder eine neue Chance!
Was ich an Deiner musikalischen Laufbahn faszinierend finde, ist die musikalische Vielfalt auf der einen Seite und die absolute Perfektion auf der anderen Seite. Man hat bei Deiner Musik stets das Gefühl, dass Du nie etwas anderes gemacht hast, als das, was Du gerade performst!
Ich finde, man sollte nie Musik machen, die einem keinen Spaß macht. Ich möchte mich stets selbst unterhalten und herausfordern. Natürlich sind die ersten Shows einer Tour etwas anspruchsvoller als die letzten, wenn man schon gut eingespielt ist. Aber man sollte sich immer etwas Neues ausdenken, mit Dingen herumalbern und sich selbst überraschen – nicht nur das Publikum. Wenn man jemanden auf der Bühne sieht, der sich gut fühlt und eine gewisse Präsenz ausstrahlt, fühlt sich das einfach anders an.
Du hättest wahrscheinlich auch einen guten Geschäftsführer abgegeben. Könntest Du Dir für Dein Leben auch etwas vollkommen anderes als Musik vorstellen?
Klar, das könnte ich mir auch gut vorstellen! Beides ist miteinander vergleichbar. Man muss eine gute Idee haben, sie umsetzen und andere Leute mit einbeziehen. Außerdem sollte man verstehen, wie man andere Menschen dazu motiviert, ein Teil davon sein zu wollen. Und man muss lernen, Kontrolle abzugeben.
Hat sich mit LA COMITIVA für Dich auch die Arbeit des Songwritings verändert? Mit den KINGS OF CONVENIENCE agiert ihr zu zweit, nun musst Du Dich mit einer ganzen Gruppe von Menschen arrangieren.
Ich möchte nicht als Dirigent agieren. Manchmal muss man zwar Dinge anleiten, aber am besten gefallen mir die Momente, die entstehen, wenn sich die anderen Musiker frei entfalten können. Wo jeder seinen eigenen Weg einschlägt und damit glücklich und zufrieden ist. Deshalb macht das Tourleben auch so viel Spaß, weil es dort genauso stattfindet.
Wo ich vorhin schon die Perfektion erwähnt habe: könntest Du Dir heutzutage noch vorstellen, mit musikalischen Anfängern zusammen zu musizieren?
Luigi, der nun in meiner Band das brasilianische Samba-Instrument Cavaquinho spielt, war zu Beginn ein Amateur. Er hat erst mit 37 Jahren angefangen, ein Instrument zu spielen. Das ist sehr spät! Er ist zwar am wenigsten professionell, bringt aber am meisten Soul in die Band. Wenn man mit Luigi zusammenarbeitet, gibt es zwar gewisse Einschränkungen, zugleich gibt er uns aber einen musikalischen Rahmen.
Du hast ja einen ganzen Haufen musikalischer Bands am Start. Wenn Du nun eine musikalische Idee hast, ist es Dir immer klar, für welche Band sich diese Idee eignet?
Nicht immer. Es hängt auch davon ab, wie sehr die anderen Bandmitglieder daran interessiert sind, an einer Idee weiterzuarbeiten.
Gibt es Musiker, mit denen Du gerne mal zusammenarbeiten würdest?
Aktuell würde ich gerne mit einem wirklich professionellen Streicharrangeur zusammenarbeiten.
Du hast ja nicht nur die Bands und musikalischen Stile verändert, sondern auch die Orte gewechselt. Von Norwegen aus hat es Dich zuerst nach Berlin und dann weiter nach Sizilien verschlagen. Gehören die beiden Sachen, also eine musikalische Veränderung und ein geographischer Wechsel, für Dich zusammen?
Natürlich! Es hängt nicht so sehr vom Land ab, als vielmehr von den Menschen, mit denen ich mich umgebe. Man muss schauen, in welche gemeinsame Richtung es geht und ob alle damit zufrieden sind. Aber auf Sizilien ist man natürlich auch viel mehr draußen. Dinge, die man draußen in einer warmen Nacht spielt, unterscheiden sich sehr von Musik, die man in einem Zimmer komponiert.
Ich habe das Gefühl, dass Du viel besser nach Italien als nach Norwegen passt. Würdest Du dem zustimmen?
Ja, das sehe ich auch so. Das ist mir 2011/2012 aufgefallen, als ich wieder nach Norwegen zurückgekehrt bin. Ich war völlig verzweifelt und habe festgestellt, dass ich mich in Italien viel mehr wertgeschätzt und aufgehoben fühle. Wie die Menschen dort ihren Tag verbringen, gibt mir viel mehr Antrieb. Und sicherlich auch die wärmeren Temperaturen.
Aber erschwert es Dir nicht zugleich die Zusammenarbeit mit Deinem norwegischen Duo, den KINGS OF CONVENIENCE?
Nicht unbedingt. Man startet immer mit Ideen, auf die der andere reagiert. Dafür ist es nicht zwangsläufig erforderlich, sich zu treffen. Wenn wir dann zusammenarbeiten, sind diese Phasen sehr verdichtet, und dann arbeiten wir wirklich viel. So sind wir eigentlich schon immer vorgegangen. Es geht nicht so sehr darum, viel zusammen zu spielen. Es geht mehr um Lebenserfahrungen, über die man Lieder schreiben kann. Einfach machen! Man muss sein Leben leben, und kann nicht nur Songs schreiben. In allen Bands geht es um das Arrangieren und Ausarbeiten von Ideen. Bei KINGS OF CONVENIENCE ist das nicht so kompliziert, da wartet man nur auf Inspiration.
Das hätte ich mir komplett anders vorgestellt, weil Eure Gitarrenlinien so perfekt arrangiert und kompliziert zu spielen klingen.
Ich glaube, der Unterschied besteht darin, dass die Musik für uns technisch nicht allzu kompliziert ist. Wenn aber jemand versucht, unsere Songs nachzuspielen, ist das sicherlich schwierig. Für uns ist es tendenziell einfach, Arpeggio zu entwerfen, weil wir die Nägel und Motorik dafür haben und den Bossa Nova-Stil schon so lange praktizieren.
Diesen leichtfüßigen Bossa Nova-Style hört man auch bei LA COMITIVA heraus.
Ich weiß, da gibt es viele Überschneidungen. Am Anfang meiner Karriere habe ich mir wirklich Mühe gegeben, die Projekte sehr unterschiedlich zu gestalten, zum Beispiel auch THE WHITEST BOY ALIVE. Inzwischen gehe ich damit aber viel entspannter um, lasse es laufen, und letztendlich inspiriert sich alles gegenseitig.
Hast Du bereits weitere Pläne in petto?
Genau jetzt kommt ein fantastischer Moment auf mich zu, denn nach der letzten Show am 15. Mai habe ich gar nichts Weiteres geplant. Endlich mal viel Freizeit und die Möglichkeit, langsam und natürlich zu entscheiden, welche Schritte als nächstes folgen werden. Und selbst wenn ich dann für den Rest meines Lebens keine neuen Songs mehr schreiben sollte, habe ich noch immer genug Musik geschaffen, die ich spielen könnte.