Bei Fat Wreck als neuem Arbeitgeber erschien im letzten Jahr mit „Apathy and exhaustion“ ein neues Album von den LAWRENCE ARMS, das sich fein zwischen Scheiben von JAWBREAKER, RANCID und dem ALKALINE TRIO einreiht, und die ihre Musik selbst als „Midwestern beer belly despair rock“ bezeichnen. Vor kurzem ist mit „The greatest story ever told“ bereits ihr zweites Fat Wreck-Release raus, aber obwohl das Interview somit schon fast ein Jahr alt ist, ist es nicht minder aktuell.
Auch wenn viele Poppunker hierzulande bis vor kurzem noch nichts von dem Trio aus Chicago gehört hatten, so handelt es sich bei den Jungs, rein musikalisch gesehen, schon fast um alte Hasen. Seit 1998 wurden bereits bei Asian Man Records einige Scheiben veröffentlicht, doch auch vor den LAWRENCE ARMS waren die Herren bereits in mehreren Bands, wie z.B. den Ska-Corelern SLAPSTICK tätig. Mit dem Song „Your gravest words“ schrieben sie nun endlich auch den wohlverdienten ersten Hit, der es bis zu den amerikanischen Radiosendern schaffte. Vor ihrem Konzert in Göttingen, das mir übrigens aufgrund eines ausgeschlagenen Zahnes in prägender Erinnerung blieb, sprach ich mit Sänger und Bassist Brendan Kelly über das neue Label, amerikanische Politik und die Musikszene in Chicago.
Hi, ich bin Jens von Blueprint. Du bist der Sänger von den LAWRENCE ARMS, right?
Ja, ich bin Brendan, der Sänger mit der tieferen Stimme und spiele außerdem Bass. Wir sind insgesamt zu dritt. Chris, der Gitarrist, singt ebenfalls, und dann haben wir noch einen Drummer namens Neil.
Schreiben Chris und Du beide die Texte?
Ja, wir schreiben beide die Lyrics und machen die Songs dann meist gemeinsam fertig, wobei derjenige, der den Text schreibt, sich in der Regel auch die Musik ausdenkt und das Lied singt.
Wie viele Platten habt Ihr schon veröffentlicht?
Gleich zu Beginn brachten wir zwei Full Lengths raus, weil Chris und ich schon so viele Stücke hatten, dass unser Set bei der ersten Show bereits aus 20 Songs bestand. In den zwei Jahren danach veröffentlichten wir noch zwei EPs, so dass „Apathy and exhaustion“ auf der einen Seite schon unsere fünfte Platte ist, aber auf der anderen Seite erst unsere erste richtige LP, da die beiden anfänglichen Scheiben irgendwie nur zusammengeschmissenes Material waren, damit wir etwas herausbringen konnten. Die zwei EPs, die darauf folgten, waren hingegen unsere ersten Sachen, die wir als komplette Band machten. Und mit Fat Wreck im Rücken startet jetzt gerade alles so richtig durch.
Habt Ihr Euch mit der Zeit textlich und musikalisch verändert?
Auf jeden Fall. Unsere Scheiben sind alle sehr unterschiedlich, und die neueste ist am ehesten „straight Rock“. Der ältere Kram ist insgesamt viel schneller, wobei auf der neuen Scheibe die schnellsten Sachen drauf sind, die wir je hatten. Und diesmal haben wir zum ersten Mal Refrains in unseren Songs benutzt. Vorher hatten wir nie Parts wiederholt.
Viele Leute meinen, dass wir jetzt simpler geworden wären, aber ich finde das viel schwieriger, weil wir das zuvor noch nie gemacht haben.
Seid Ihr jetzt zum ersten Mal in Europa?
Zum zweiten Mal! Das erste Mal waren wir bereits sechs Monate nach der Gründung hier auf Tour. Heute kennt uns zwar fast noch niemand, aber was meinst Du, wie viele das damals waren? No one!
Es war wirklich hart. Wir haben durch die Tour viel Geld verloren, es waren keine Leute bei den Shows, und es war schwer, Clubs zu buchen, da uns keiner kannte. Das ist jetzt zwei Jahre her, und hoffentlich wird es diesmal besser. Wir sind jetzt seit einer Woche hier, aber bisher läuft’s ganz gut.
Da kann’s ja auch nur besser werden!
Genau!
Was bedeutet eigentlich der Name LAWRENCE ARMS? Wer ist Lawrence? Und sind mit „Arms“ seine Arme oder Waffen gemeint?
Nee, der Name erklärt sich viel simpler: es gibt in Chicago eine Straße namens „Lawrence Avenue“, und wir lebten in einem Haus hinter der Lawrence Avenue, das „Lawrence Arms“ heißt. Ich weiß aber nicht, wer der Lawrence war, nach dem das Gebäude benannt wurde.
Oh, ich vermutete schon eine politische Zweideutigkeit hinter dem Namen, zumal ihr ja auch gerne politische Themen anschneidet.
Ja, wir haben definitiv einige politische Songs, aber der Bandname hat keine tiefere Bedeutung. Auf dem neuen Album geht es jedoch weniger um politische Themen, dafür verstärkt um persönliche Depressionen. Vor den LAWRENCE ARMS hatten Chris und ich eine Band namens THE BROADWAYS – die war echt superpolitisch! Vielleicht wird die nächste Platte wieder politischer, da mich das wirklich interessiert.
Was haltet Ihr denn von der momentanen amerikanischen Außenpolitik?
Das, was momentan passiert, ist wirklich traurig, und ich schäme mich regelrecht dafür, ein Amerikaner zu sein. Insbesondere als Reisender, wenn ich das Gefühl habe, als Amerikaner mein Land zu repräsentieren. Ich denke zwar, dass die Mehrheit der Amis nicht dahintersteht, wie Amerika in der Irak-Sache gerade handelt. Aber ich weiß gar nicht, ob das wirklich wahr ist, schließlich haben die Republikaner die Wahlen gewonnen. Und die versuchen momentan, immer mehr Herrschaft über das Volk zu erlangen. Manchmal möchte ich wegziehen und nicht mehr in Amerika leben. Ich liebe zwar das Land, die Städte und die ganzen Plätze, aber die Regierung ist so scheiße und falsch!
Sowohl die Außenpolitik als auch die sonstige Politik. Aber wir sind hier schon immer mit üblen Herrschaften aufgewachsen, die uns mit Propaganda überschütteten, z.B. über die Sowjetunion. Als ich ein kleines Kind war, dachte ich immer, dass es sich dabei um einen Teufelsstaat handelt, und dass die Leute dort die Freiheit und Dich hassen.
Aber egal, was die Regierung damals über die UdSSR erzählte – das, was momentan betrieben wird, macht mir wirklich Angst, und man kann sich dem nicht zur Wehr setzen. Was mich noch mehr aufregt, ist, dass ich dort lebe, und dass Proteste – der einzige Weg etwas dagegen zu tun – gewaltsam unterbunden werden. Und ich sorge mich um meine Freunde, die jetzt gerade drüben sind.
Ich habe auch oft den Eindruck, dass Bush einfach seine Augen vor den Protesten verschließt.
Er verschließt nicht nur die Augen davor, andere Meinungen sind ihm einfach scheißegal. Er sagte auch mal Sachen wie: „Ich wünschte mir, wir hätten eine Diktatur. Dann wäre hier Vieles einfacher.“ Und er will sich angeblich für Demokratie auf der ganzen Welt einsetzen? Wenn die Menschen keine Stimme haben? Das passt doch nicht zusammen!
Okay, aber lass uns zurückkommen zum Thema Musik. Ihr wart ja früher bei Asian Man Rec. und seid nun bei Fat Wreck unter Vertrag. Wie kam es dazu?
Wir waren und sind auch heute noch immer sehr glücklich mit Asian Man, aber wollten gerne einen Schritt weiter gehen zu einem größeren Label. Und als Fat Mike bei einem Mitarbeiter von Fat Wreck unsere CD hörte, fand er sie gut und wollte uns signen. Daraufhin rief er uns an und fragte, ob wir zufällig nach einem neuen Label suchen würden, und wir sagten: „Ja, in der Tat!“ Nun sind wir bei Fat Wreck, und es ist großartig. Und wie cool ist das, wenn Fat Mike Dich anruft? Wir konnten es erst gar nicht glauben, dass es wirklich Fat Mike am Telefon war.
Aber wir stehen nach wie vor im engen Kontakt mit Mike Park von Asian Man Records. Er ist ein guter Freund von uns, und wir haben vor kurzem auch auf der großen Asian Man Records-Tour namens „Plea for peace“ (u.a. zusammen mit THURSDAY, PROMISE RING und JIMMY EAT WORLD; Anm. d. Verf.) gespielt.
Denkt Ihr, dass sich die Größe des neuen Labels schon direkt auf Euch ausgewirkt hat?
Es gibt schon Unterschiede. Nicht so sehr die Dinge, an die alle sofort denken. Es sind nicht doppelt so viele Kids bei den Shows, wir sind noch immer keine großen Stars und haben auch nach wie vor wenig Kohle. Dafür geben wir jetzt aber Interviews (lacht), die Leute kommen besser an unsere Platten ran, wir begegnen mehr Leuten, und unser Name ist präsenter. Es hat aber nicht direkt Einfluss auf uns als Band und die Musik, die wir machen.
Aber im Vergleich zu Asian Man hat sich die finanzielle Unterstützung durch Fat Wreck doch schon verbessert, oder?
Ja, schon. Ich meine, Asian Man ist eine einzige Person, und Fat Wreck ist ein Label mit vielleicht zwanzig Leuten, und da gibt es auch schon mehr finanziellen Support. Aber wir verdienen unser ganzes Geld, um die ganze Zeit auf Tour sein zu können. Und da sieht die finanzielle Lage für uns bei Asian Man und Fat Wreck ziemlich ähnlich aus. Die meisten von uns haben noch Nebenjobs.
Das ist schon hart!
Richtig, aber bisher war’s trotzdem ziemlich cool. Wir hatten bis jetzt noch keine ernsten Probleme, was schon fast verrückt ist. Wir sind schon so ewig auf Tour… Ich spiele in Bands seitdem ich sechzehn bin. Jetzt bin ich 26 und hatte noch nie einen Job. Das ist echt cool. Ich will nämlich keinen Scheiß-Job haben (lacht)!
Ich wäre auch gerne ein Rockstar… Habt Ihr denn in den USA schon viele Fans?
Joa, geht so. In einigen Städten mehr als in anderen, aber die Dinge laufen gut. Wir kommen am Ende der Tour immer ohne Merchandise zurück, und das heißt schon was.
In Chicago scheint so etwas wie eine neue Szene entstanden zu sein mit Bands wie Euch und dem ALKALINE TRIO, das ja auch auf Asian Man Rec. veröffentlicht und Euch nicht ganz unähnlich klingt…
Das hängt bestimmt damit zusammen, dass Matt (Skiba; Sänger und Gitarrist von ALKALINE TRIO; Anm. d. Verf.) und ich mal zusammen wohnten, und dass er einer meiner besten Freunde ist. Danny, der Bassist, und ich haben früher zusammen bei der Ska-Band SLAPSTICK gespielt. Dann ist er zu einer Band namens TUESDAY gegangen, ich zu den BROADWAYS, und gemeinsam waren wir dann auf Tour. Wir sind bereits seit mehr als zehn Jahren beste Freunde, Matt und ich seit ca. 7-8 Jahren. Was ich sagen wollte, ist, dass wir ein kleiner Freundeskreis sind und praktisch alle zusammen und mit derselben Musik aufgewachsen sind, auf denselben Partys abhingen und durch dieselben Sachen inspiriert wurden. Deshalb macht es auch Sinn, dass all diese Bands etwas ähnlich klingen.
Wie würdest Du Eure Vorgängerbands musikalisch umschreiben?
Unser Schlagzeuger war vorher bei BAXTER. Hmm, die Musik ist schwer zu beschreiben: melodisch mit Hardcoreelementen – ging so in Richtung HELMET und FUGAZI. Und Chris und ich haben vorher bei THE BROADWAYS mitgemacht. Richtung: politischer Punkpop.
Zuvor war ich, wie gesagt, mit Danny bei der Ska-Band SLAPSTICK.
Und wann kommt Ihr das nächste Mal nach Deutschland? Zu den Sommer-Festivals?
Das wäre super, aber ich glaube nicht, dass wir dazu eingeladen werden. Die wollen große Bands wie PENNYWISE und NoFX, aber nicht die LAWRENCE ARMS (lacht).