Kalt war’s im letzten Jahr auf dem Rock am Deich Festival im ostfriesischen Leer. Aber die Macher haben dazugelernt und das Festival von Mitte Mai auf Anfang Juli verlegt. Als Belohnung gab’s Sonne und Temperaturen über 20°C, so dass sich die Besucher in diesem Jahr lieber aus einem Feuerwehrschlauch abkühlen ließ anstatt sich im Café-Zelt aufzuwärmen. So sollte es doch immer sein!
Pünktlich um 12 ging’s mit den Lokalmatadoren THE COALFIELD los, die mittlerweile aber gar nicht mehr ausschließlich der lokalen Bekanntheit frönen müssen. Die neue Platte erscheint nun zwar erst im Oktober, obwohl das Album schon seit mehr als einem Jahr im Kasten ist, aber was soll’s… Stattdessen haben sie es immer besser gelernt, den neuen Stil zu perfektionieren, den sie nach „Transmitter“ eingeschlagen haben. Und der befindet sich wahrlich in einer anderen Ecke. Den Nu-Hardcore-Anteil kann man nur noch stellenweise heraushören, stattdessen bewegt sich das neue Material mehr in Richtung Heavy Rock mit einem gewissen No Wave-Einschlag der Marke HOT HOT HEAT. Die Keyboards waren heute vergleichsweise leise, was mir persönlich aber auch wesentlich besser gefiel. Sie konnten immerhin schon knapp 100 Kiddies vor die Bühne locken und am Ende des Gigs war der Kopf des Sängers fast so rot wie sein Shirt. Feiner Auftritt zu so früher Stunde!
FLYSWATTER beglückten das Publikum danach mit poppig-rockigem Emo, der mir persönlich aber eine Spur zu beliebig erscheint, bevor JULIA aus Österreich auf der Bühne standen. Weit angereist, aber einen bleibenden Eindruck haben sie dennoch nicht hinterlassen. Die klassische Band, die zwar gewisse Erfolge verbuchen kann, weil sie den Titel zur Eishockey-WM geschrieben hat und schon zusammen mit 4LYN auf Tour war, aber mehr als den Mainstream kann man so leider auch nicht bedienen. Selbst wenn der Gesang manchmal an BILLY TALENT erinnert.
Als nächstes sorgten die WOHLSTANDSKINDER mit ihrem ÄRZTE-ähnlichen Poppunk für gute Sommer-Festival-Stimmung. Fröhlich, poppig, unanstrengend. Nichts, was man zu Hause hören möchte, aber für ein Festival doch ganz nett.
SLUT lieferten als nächstes endlich mal wieder „gute Musik“. Hauptsächlich Material ihres mittlerweile doch schon drei Jahre alten Albums „Nothing will go wrong“. Schief ging da auch nix, und ich muss sagen, dass sie bei mir nach dem Immergut-Auftritt 2003, wo sie arg auf Stimmung machten, durch ein wenig mehr Zurückhaltung wieder ein Bonus-Punkte zurückgewannen.
Die Rockabillys von BOPPIN’ B wurden dann leider aufgrund Grillens bei den Eltern sausen gelassen, aber pünktlich zum Ende der Prolls von CALIBAN waren wir zurück. Jau, alles beim alten – die Band ruft nach wie vor unentwegt zum Circle Pit auf, und auch, wenn die Ostfriesen so was nicht kennen ging die Meute mächtig ab, und geheadbangt wurde in den ersten Reihen auch wie verrückt. Das macht Spaß!
Die STERNE zeigten im Anschluss daran, dass es sie mittlerweile schon so lange gibt (fast schon seit 20 Jahren!), dass ihr Repertoire bald nur noch aus Hits besteht. „Universal Tellerwäscher“, „Was hat Dich bloß so ruiniert“, „Die Interessanten“, „Abstrakt“, … alles dabei! Und sympathisch sind die vier Hamburger sowieso!
Der tatsächliche Headliner oder „Sieger der Herzen“ folgte eigentlich bereits danach: DOVER aus Spanien. Auch in Leer fanden die vier Damen und Herren aus Madrid den richtigen Grad zwischen Schrammel-und Indie-Rock. Viele Songs vom letzjährigen Album „The Flame“, aber auch manch älterer Song sorgten allenorts für gute Stimmung. Was für eine Fiesta – Salud!
Na gut, aber seien wir doch mal ehrlich – eigentlich sind alle wegen der H-BLOCKX gekommen, um dabei zuzusehen, wie sich der dicke Henning wieder seine Flasche Wasser über den Kopp kippt und durch dumme Ansagen glänzt! Letzteres tat er in der Tat auch heute wieder. Seine neue Floskel: „Ladies and Gentleman“. Da dachte er sich bestimmt, was Jon Spencer kann, kann ich auch, das kommt cool rüber, also sage ich das jetzt auch. Allerdings kommt das gar nicht cool rüber, wenn man das nach jedem Songs bringt, wenn man stilistisch eh eine ganz andere Musik macht und dann auch noch eine politisch korrekte Ansage an das Publikum damit verknüpft. Ich zitiere aus meinem Gedächtnisprotokoll: „Wie Ihr sicherlich mitbekommen habt, finden an diesem Wochenende weltweit „Live Aid“-Konzerte statt, die an die Armut in der dritten Welt erinnern sollen, Ladies and Gentlemen!“ Au backe!
Nach der Hälfte des Gigs gingen wir vorsichtshalber nach Hause, bevor uns Herr Weiland noch als die Dreckwerfer beschuldigt hätte, mit denen er nach dem Konzert „von Mann zu Mann ein bisschen Wrestling“ machen wollte. Tschüß, Du „Little Girl“, Spaß hatten wir auf jeden Fall ’ne Menge und zum Rock am Deich kommen wir gerne auch noch mal zurück!