Noch keine drei Monate ist es her, da sprachen wir mit dem MOTORPSYCHO-Gitarristen Snah darüber, wie es ist, sein halbes Leben einer Band zu widmen, deren Erfolge nie in quietschbunten Chartshows gefeiert werden, deren Konzerte jedoch immer noch wie magnetisch auf die nach wie vor große Fangemeinde wirken. Wie oft man sie auch gehört hat, MOTORPSYCHO bleiben ein Erlebnis. Ihre Musik kann zur Reise in die eigene Vergangenheit werden – zurück in die 90er, zurück zu „Demon box“ und zum Hype um „Vortex surfer“. Oder sie bietet ein Bombardement an neuem Material – „Mysterial“ sollte man wohl besser sagen, bleibt doch bei aller Experimentierfreude, Offenheit, Neugier und Entwicklungslust die stabile Größe des Tiefgründigen, „Motorpsychischen“ bestehen, das so spielerisch wie beängstigend seine Kreise um die Zuhörer zieht und sie dann förmlich in sich aufsaugt. Je länger die Stücke sind, umso eindrücklicher wird das Abenteuer.
Auf der 20-Jahre-Tour im November wurden viele der musikalischen Höhepunkte noch einmal Revue passiert, während das Jubiläumsalbum schon in den Startlöchern stand: „Heavy metal fruit“, 15tes Studioalbum und musikalischer Nachfolger von „Child of the future“ (2009), erscheint bei uns am 15. Januar. Auf 62 Minuten wird in sechs Stücken altbekannter Länge neben vertrauter, leicht jazziger Verspieltheit extensive Härte präsentiert. Metal, nicht zu vergessen die musikalische Herkunft von MOTORPSYCHO, ist trotzdem nicht zu hören, höchstens zu erahnen in dem einen oder anderen übermelodischen Gitarrensolo. Es sind mit dem Albumtitel wohl auch weniger „die Früchte des Metal“ gemeint, die hier geerntet werden, sondern eher die Kombination von bitter und süß, die unsere Ohren bezirzen soll. Zwischen den schweren, düsteren Riffs erscheint denn auch viel Melodisches, Zartes, ganz konkret im Gastgesang von Hanne Hukkelberg und in den Trompeteneinlagen von Mathias Eick.
Verglichen mit dem Vorgänger ist die Klangqualität des Albums wesentlich höher angesetzt. Der Gesang ist für MOTORPSYCHO-Verhältnisse extrem gut ausgearbeitet, zusammen mit eingestreuten Streichern und Keyboard-Einsätzen von Kare Chr Vestrheim ergeben sich stellenweise sehr harmonische Passagen. Der Grundtenor bleibt jedoch kantig, fast zackig.
Etwas gehetzt wirken die Stücke manchmal, ein bisschen zu gewollt. Trotz ausgiebiger Improvisationsparts überwiegt der Eindruck, etwas arg Konstruiertes vorgeführt zu bekommen. Zwischen irritierenden Tempowechseln und unglücklichen Versuchen, ein dynamisches Ganzes zu produzieren tritt etwas zutage, für das mir nur die Bezeichnung „musikalische Orientierungslosigkeit“ einfällt. Eine neue Phase der Veränderung? Bassist Bent Saether sagte zum neuen Werk: „This is the heaviest thing we made in 15 years, so watch out!“ Vielleicht muss man echt „heavy“ drauf sein, um auf „Heavy metal fruit“ abzugehen. Oder man stellt das Album schnell ins Regal und hört sich „Little lucid moments“ (2008) an. Da-war-noch-alles-gut-mäßig. Und dann entspannt man sich wieder und gesteht einer grandiosen Band wie MOTORPSYCHO dieses Album, ob für gut befunden oder nicht, einfach zu.
Wühlen MOTORPSYCHO nun auf oder bieten sie Geborgenheit? Sie machen beides. Sie sind immer noch da und jedes Mal anders. Sie stagnieren nicht in starren Mustern, sondern entwickeln sich stetig weiter. Auf diese Weise – und nur auf diese – bleiben sie sich treu. Und wir dürfen daran teilhaben.
Auf die noch folgenden Jahre!