Na, kam der Sommer bei Euch auch wieder sieben Kilo zu früh?
Kein Problem! Als Alternative zum Freibad präsentieren wir Euch hier eine ganze Menge schicker Alben, die Euch auch daheim den Sommer versüßen! Sei es der verruchte Soulpop von AMILLI, die traditionelle marokkanische Musik von DRISS EL MALOUMI, die zarten Ambient-Jazz-Sounds von GOGO PENGUIN oder der fröhliche Gypsy-Swing von LES YEUX D’LA TETE… Selten haben sich die Alben unser „Kurz & schmerzlos“-Rubrik so passend zur Jahreszeit ergänzt und stilistisch so vielseitig gezeigt wie in diesem Quartal.
Und passt dazu nun besser ein leichter Rosé, ein frischer Limoncello Spritz oder ein eleganter Crémant de Loire? Diese Wahl überlassen wir Euch selbst!
AC ANGRY – Tier (Label: Recordjet, VÖ: 28.04.2023)
(bc) „Der Rock´n´Roll ist tot“ schmettern AC ANGRY zwar direkt im Eröffnungslied, zugleich versuchen sie aber auch, ihm auf „Tier“ neues Leben einzuhauchen. Aufgrund der ebenfalls vorhandenen Hardrock- und Schweinerock-Einflüsse sowie der immer wieder eingestreuten Singalongs wirken die Saarländer stellenweise auf mich, als würden sie versuchen, das TURBONEGRO-Erfolgsrezept auf die deutsche Sprache zu übertragen, wobei der Coolness-Faktor jedoch leider auf der Strecke bleibt. Funktioniert vielleicht auf dem Stadtfest oder im Vorprogramm von J.B.O., aber nicht unbedingt im kleinen Szene-Club, in dem das hier Dargebotene vermutlich zu unauthentisch wirken würde.
https://acangry.rocks/
AMILLI – Soami (Label: Mightkillya, VÖ: 12.05.2023)
(jg) Sie ließ ein ganzes Weilchen auf sich warten, bis sie nach drei EPs endlich mit dem ersten Longplayer um die Ecke kommt. Doch vergleicht man „Soami“ mit den ersten Gehversuchen, hat man das Gefühl, dass AMILLI diese Zeit auch brauchte, bis sie ihren richtigen Sound gefunden hat, der sich nun im sehr relaxten elektronisch angehauchten Soulpop bewegt. Dies steht der Sängerin mit der warmen, leicht lasziven Stimme ausgesprochen gut zu Gesicht. Da der Begriff Yacht-Rock ursprünglich für Bands wie die EAGLES und in der Neuzeit für TAME IMPALA, PARCELS und Co reserviert ist, schlage ich für AMILLI die Sparte „Yacht-Pop“ vor. Denn wo sollte diese Musik besser passen, als für eine große Yacht mit weißem Sandstrand und türkisblau leuchtendes Wasser im Hintergrund?
https://www.instagram.com/amilli.official/
BLANKER HOHN – Alles schon erlebt (Eigenvertrieb, VÖ: 01.04.2023)
(so) BLANKER HOHN tun genau das, was man von SCHALKOs Albumtitel erwartet hätte: Funpunk mit Texten übers Leben, Saufen und alles, was dazu gehört. Und dazu gehört natürlich auch ein politischer Anteil, wie er in „Wir sind mehr“ zum Ausdruck kommt. Das ist inhaltlich ziemlich weit vorne und auch hervorragend beobachtet. Sonst bietet „Alles schon erlebt“ Punkrock à la DIY, roh, hart und nach vorne, ohne die Absicht oder das Ziel, unbedingt perfekt klingen zu müssen. Was die Band auch sehr sympathisch macht, ist ihre Selbstironie, wie sie zum Beispiel in „Angst vor Pogo“ besticht – wobei ich mir gewünscht hätte, dass dieser Song „Au, au, au!“ heißen würde. Auch schön ist die Geschichte, die im Song erzählt wird und wo nicht nur stimmlich, sondern eben auch inhaltlich eine gewisse Nähe zu OLLI SCHULZ festzustellen ist. Punk der guten, echten Sorte.
https://blankerhohn.bandcamp.com
BURNSWELL – Populution (Eigenvertrieb, VÖ: 12.05.2023)
(bc) BURNSWELL aus Wien legen mit „Populution“ ihr Debütalbum vor, welches für ein Erstlingswerk erstaunlich professionell klingt. Zu hören gibt es auf diesem Alternative Rock mit Sängerin, der trotz gelegentlicher härterer Momente dennoch einen gewissen Pop-Appeal besitzt. Die Band mit den GUANO APES zu vergleichen, ist anhand dieser doch recht allgemein gehaltenen Erkennungsmerkmale vielleicht zu einfach, aber ein besserer Vergleich fällt mir gerade nicht ein. Gut gemacht, aber vielleicht 15-20 Jahre zu spät dran, um für Furore zu sorgen.
https://www.burnswellmusic.com
DRISS EL MALOUMI – Aswat (Label: Contre Jour, VÖ: 28.04.2023)
(jg) Wer bei dem Begriff „World Music“ sofort abwinkt, dem sei gesagt, dass man DRISS EL MALOUMI ebenso in der Sparte „Americana“ einsortieren könnte – jedenfalls nach dem Opener „Aswat“. Genauso gut würde der Song auch in einen staubigen Tarantino-Western passen. Beim folgenden „Sultana“ stimmt Driss‘ Schwester Karima zum Gesang an, und man fühlt sich sofort auf einen Basar in Marrakesch versetzt. Da DRISS EL MALOUMI sein Saiteninstrument, die Oud, nahezu virtuos beherrscht, könnte man sich den Marokkaner ebenso gut in der Elbphilharmonie vorstellen. Und ziemlich rhythmisch geht es hier auch zu. Genügend Argumente also, hier ruhig mal ein Ohr zu riskieren.
https://drisselmaloumi.com/
FLASH PIG – Le plus longtemps possible (Label: French Keys, VÖ: 28.04.2023)
(jg) Das Quartett FLASH PIG aus Paris ist recht widersprüchlich. Auf der einen Seite sind da die gut gemachten und sehr strukturierten Cover-Songs von Künstlern wie SEAN PAUL und LANA DEL REY, dem Pop gegenüber scheinen FLASH PIG also nicht abgeneigt. Außerdem gibt es hier recht groovigen Modern Jazz im Stil des AVISHAI COHEN TRIOs. Und zu guter Letzt ist da noch der rohe, improvisierte Free Jazz, der viele der Hörer, die mit den übrigen Songs etwas anfangen können, sicherlich wieder abschreckt. Aber vielleicht ist es gerade diese Vielseitigkeit, die FLASH PIG auszeichnet. Mal ruhig, mal wild, mal anstrengend – alles dabei!
https://flashpig.bandcamp.com/
FUCKING SCHROEDER – Berliner Schmutz (Label: Recordjet, VÖ: 12.05.2023)
(bc) „Ich kokse vorm Frühstück ausm Eimer ohne Ende. Mit ´nem Lächeln klau ich Portemonnais, mit ´ner Copy-Ray-Ban auf der Nase spiel ich Pate.“ Aha. Berliner Schnauze trifft auf (möglicherweise zu) großes Ego. FUCKING SCHROEDER wirkt auf mich, als würde HEINZ STRUNK in die Rolle eines Neuköllner Kleinkriminellen schlüpfen und dabei versuchen, der dortigen Problembezirks-Jugend den Spirit von Rock´n´Roll und UDO LINDENBERG zu vermitteln. Klingt abenteurlich? Ist es auch.
GINA ÉTÉ & TILLMANN OSTENDARP – Le bouquet-EP (Label: Phantom Island, VÖ: 14.04.23)
(so) GINA ÉTÉ ist genau wie der später hier noch auftauchende MICHAEL MORAVEK ständig dabei, neue Musik zu erschaffen, und so erscheint regelmäßig auch ein neuer Tonträger von ihr. Dieses Mal „Le bouquet“ gemeinsam mit TILLMANN OSTENDARP. Die EP beginnt sehr klassisch Singer/Songwriter-mäßig, um dann aber mit „Tetra“ sehr viel experimenteller zu werden, sich neuen Strukturen zu öffnen und auch neuen Horizonten. Überhaupt bringt die Zusammenarbeit mit OSTENDARP eine Menge elektronischer Einflüsse mit, die in ihren besten Momenten gar an die EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN denken lassen. Spannend und neu, so kommt „Le bouquet“ daher und zeigt schon wieder neue Facetten von GINA ÉTÉ.
https://www.ginaete.com
GOGO PENGUIN – Everything Is Going to Be OK (Label: XXIM Records/Sony Music; VÖ: 14.04.2023)
(jg) Mit ihrem ersten Longplayer seit dem Besetzungswechsel an den Drums und zugleich mit ihrem Debüt für Sony Music beschreiten GOGO PENGUIN wahrlich neue Wege. Die Verbindung von Jazz und Elektro ist zwar geblieben, aber musikalisch erinnert der neue Sound mehr an Ambientflächen als an die frickeligen Breakbeats ihrer Anfangstage. Dies mag den einen oder anderen Fan zwar enttäuschen, gleichzeitig sorgte ihr neuer Drummer Jon Scott auf ihrem fünften Album aber vielleicht für eine nötige Veränderung, um sich nicht zu wiederholen.
https://gogopenguin.co.uk/
JACKE SCHWARZ – Witaj (Label: Tomatenplatten, VÖ: 03.02.2023)
(so) Tja, was soll man sagen… schönes Vinyl in jedem Fall, das als Tonträger hier angekommen ist. JACKE SCHWARZ machen deutschsprachigen Folk mit vielen Anleihen aus den unterschiedlichsten Jahrzehnten, teilweise sogar Jahrhunderten, wenn man die leicht mittelalterlich angehauchten Töne hinzuzählt. Von Rock’n’Roll über Sixties bis zu Liedermacher-Sound ist alles auf „Witaj“ vertreten und grundsätzlich auch schön arrangiert und gespielt. Die Mixtur aus TON STEINE SCHERBEN und Americana und und und allerdings überfordert irgendwann, da sich kein klarer roter Faden finden lässt und die Songs teilweise wie aus ihrer sicheren Umgebung gerissen wirken. Einzeln betrachtet, sind die Songs allesamt interessant, als Gesamtwerk ist es mir ein zu großes Durcheinander.
https://jackeschwarz.bandcamp.com/album/witaj
JACQUES SCHWARZ-BART – The Harlem Suite (Label: Ropeadope Records, VÖ: 05.05.2023)
(jg) Einen modernen Sound des Jazz gibt es auf dem elften Album des Saxophonisten JACQUES SCHWARZ-BART zu hören. Dies liegt vor allem an seiner Vielseitigkeit, die auch vor Swing, Soul, Funk und afrokaribischen Einflüssen nicht Halt macht. Zugleich bereichern zahlreiche renommierte Gäste dieses Album, so dass man bei „The Harlem Suite“ schon fast von einem All-Star-Ensemble sprechen kann. Schön, dass Jazz so leichtfüßig und sorglos klingen kann und trotzdem technisch und musikalisch äußerst anspruchsvoll ist.
https://brotherjacques.com/
JAKOB BÄNSCH – Opening (Label: Jazzline, VÖ: 28.04.2023)
(jg) Mit JAKOB BÄNSCH schickt sich ein aufstrebender Jazztrompeter an, in die Fußstapfen von NILS WÜLKER und TILL BRÖNNER zu treten. Seine akademische Laufbahn hat Bänsch soeben beendet, diverse Preise folgten, zuletzt wurde er unter anderem als Stipendiat der Elbphilharmonie Jazz-Academy ausgewählt und durfte im dortigen Großen Saal auftreten. Diese Vorschusslorbeeren sind durchaus gerechtfertigt, insbesondere wenn man bedenkt, dass es sich bei „Opening“ erst um sein Debütalbum handelt. Mal ruhig, mal mitreißend – auch seine junge Backing Band sei hier positiv hervorgehoben. Über all dem liegt die klare, oft melancholische Trompete von JAKOB BÄNSCH. Dass der junge Musiker nicht nur spielerisch begeistert, sondern beim Songwriting auch auf eine gewisse Eingängigkeit achtet, wird dabei sicherlich förderlich sein.
https://www.jakobbaensch.com/
LEDFOOT & RONNI LE TEKRO – Limited edition lava lamp (Label: TBC Records, VÖ: 24.03.2023)
(so) „Limited edition lava lamp“ – was für ein genialer Albumtitel! Mit dieser Qualität hält die Musik leider nicht so wirklich mit, das ist guter, amerikanischer Folk, nicht mehr, nicht weniger. Aber dadurch eben auch schon zigmal gehört – und leider auch häufig einprägsamer und begeisternder, die Messlatte des Boss‘ wollen wir hier gar nicht anlegen. Dass auch die obligatorischen Gitarrenrockstücke nicht fehlen dürfen, mit Tremolo-Gesang und ausartenden Soli, das gibt dem Album dann für mich den Todesstoß, denn ab da bin ich endgültig raus. Freunde der 70er, des Rock der alten Schule und von Gitarrensoli – greift zu! Manchmal trifft die Musik halt einfach auf den Falschen.
https://ledfoot.bandcamp.com/album/limited-edition-lava-lamp
LEO IN THE LIONCAGE – New oceans (Eigenvertrieb, VÖ: 14.07.2023)
(bc) Mit ihrer unaufdringlichen und beschwingten Mischung aus Reggae, Ska, Soul, Funk und Pop sind LEO IN THE LIONCAGE geradezu prädestiniert dafür, auf Festivals vor einem bunt gemischten Publikum aufzutreten. Das Neuner-Gespann setzt sich zudem für Themen wie Klima-Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit ein und beweist auch damit, dass es am Puls der Zeit ist und es bei aller Tanzbarkeit eben nicht nur darum geht, eine gute Zeit zu haben, sondern auch positive Veränderungen anzuschieben. Nicht zuletzt deswegen sind sie zwar eingängig, aber keineswegs beliebig.
https://www.leointhelioncage.com
LES YEUX D’LA TETE – Paris Berlin (Label: Fais & Ris; VÖ: 12.05.2023)
(jg) Anlässlich ihres 15-jährigen Jubiläums veröffentlicht die Balkanbeat-Truppe LES YEUX D’LA TETE eine Best-Of in Form eines Live-Albums. Prinzipiell eine gute Idee, und wie man spätestens nach diesem Album weiß, spielen die Franzosen auch live nahezu fehlerfrei. Gute Voraussetzungen für eine Live-Aufnahme, doch leider gelingt es den Produzenten nicht, die Energie dieser spielfreudigen Kombo auf Tonträger festzuhalten. Der Applaus zu weit in der Ferne, zudem technische Produktionsfehler (in „Kezta“ wird plötzlich die Lautstärke der Tonspur herabgesenkt und wieder angehoben). Schade, hier wäre definitiv mehr möglich gewesen.
https://www.lesyeuxdlatete.com/
LOGPOD MANGARTOM – After the rain (Label: Pulverfuzz Records, VÖ: 19.05.2023)
(jg) Alternative Rock à la INCUBUS, RED HOT CHILI PEPPERS und KINGS OF LEON kriegen wir hier nur noch selten rein. Dass diese Musik aber auch rund 25 Jahre später noch immer funktionieren kann, liegt sicherlich auch an dem wirklich guten Sänger der Ostwestfalen und seinen nicht minder talentierten Mitmusikern. Auch die Produktion klingt angenehm klar und druckvoll, aber nicht steril. Schade, dass die Texte sich inhaltlich kaum vom üblichen Radio-Einerlei abheben, und ob man 2023 wirklich noch auf das obligatorische Gitarrensolo setzen sollte, sei ebenfalls mal dahingestellt. Aber auf einem der anstehenden Sommer-Festivals könnte ich mir LOGPOD MANGARTOM schon recht gut vorstellen.
https://www.logpodmangartom.de
MALONDA – Mein Herz ist ein dunkler Kontinent (Label: Springstoff, VÖ: 10.03.2023)
(so) MALONDAs Album kam einige Zeit vor Sonnenberg ans Tageslicht. Aber „Deutschungshoheit“ hat genau dies, was dort in Thüringen erstmalig passierte, vorhergesehen. „Sie haben sich geschämt, doch das ist vorbei, jetzt haben sie die Deutschungshoheit“. Stimmt so viel zu schmerzhaft. MALONDA selbst bringt mit „Mein Herz ist ein dunkler Kontinent“ ein Sammelsurium voller Stile und Spielarten heraus, das die Vielseitigkeit der Künstlerin zeigt und unterstreicht, eines, aus dem sich jede:r die eigenen Lieblingsedelsteine heraussuchen kann, denn hier dürfte jede:r fündig werden. Mal klingt sie nach der Grande Dame, dann wieder nach der spitzzüngigen Beobachterin des Alltags, die sich selbstbewusst jeder Kritik zu stellen bereit ist. Wahrlich anders und besonders.
https://www.facebook.com/malonda.musik/
MICHAEL MORAVEK & ELECTRIC TRAVELING SHOW – Dream (Label: Backseat, VÖ: 26.05.23)
(so) Musikalisch beginnt „Dream“ wie ein Album von ELEMENT OF CRIME. Doch dann wird schnell klar, dass es die Strahlkraft eines solchen nicht wirklich imitieren kann. Instrumental kann dieses Album immer wieder packen, mal auf die amerikanische, dann wieder auf die europäische Folkart – aber gesanglich ist „Dream“ einfach etwas zu dünn, was bei der Vorgeschichte von MICHAEL MORAVEK nun wirklich verwundert. Das ist absolut kein schlechtes Album, aber es gelingt ihm einfach nicht, mich von sich so zu überzeugen, dass ich es direkt noch einmal hören möchte, dafür ist es etwas zu flach geraten.
https://novembersoulmusic.com
MOHAMED LAMOURI – Méhari (Label: Almost Musique, VÖ: 02.06.2023)
(jg) Nicht erst seit DERYA YILDIRIM gibt es auch hierzulande einen kleinen Hype um orientalischen Pop, den man immer häufiger auch im regulären Radioprogramm, beispielsweise bei byte.fm, findet. MOHAMED LAMOURI schafft dabei eine schöne Brücke zu westeuropäischen Hörgewohnheiten, die sicherlich auch daher rührt, dass er schon früh nach Frankreich umzog und u.a. MICHAEL JACKSON und andere Künstler auf seine Art coverte. Wobei man abschließend aber feststellen muss, dass seine Musik wohl doch eher im Hintergrund einer Shisha-Bar oder eines Barber-Shops laufen wird als im Edeka-Supermarkt nebenan.
https://mohamedlamouri.bandcamp.com
NICHOLAS MERZ – American classic (Label: Aagoo Records, VÖ: 24.02.2023)
(so) Es mag sehr seltsam anmuten, jedoch ist tatsächlich der erste Gedanke, den ich bei „American classic“ habe: TYPE O NEGATIVE (vor allem wegen Peter Steele, dessen Stimme mir hier sofort in den Kopf kommt). Musikalisch ist das natürlich etwas ganz anderes und strengt mich aufgrund des Saxophons im Opener massiv an. Überhaupt macht der Jazzanteil aus meiner Sicht ziemlich viele gute Ideen zunichte, denke ich doch öfter: Oh, guter Song, schöne Melodie! Bis dann wieder der irgendwo zwischen seichtem Pop und eben Jazz angesiedelte Klang kommt, der „American classic“ durchströmt. Hier wird zu viel gewollt und zu wenig davon umgesetzt.
https://nicholasmerz.bandcamp.com
OTHER HOUSES – Didactic debt collectors (Label: Aagoo Records, VÖ: 07.07.2023)
(bc) Diese 5-Song-EP von OTHER HOUSES beginnt im typischen Singer/Songwriter-Stil und schraubt sich im weiteren Verlauf in voll instrumentierte Powerpop-Sphären empor. Ein Abwechslungsreichtum, das umso beeindruckender ist, wenn man bedenkt, dass es sich hier tatsächlich um ein Solo-Projekt handelt und alle Instrumente tatsächlich von einer einzigen Person eingespielt wurden. Sehr kurzweilige 16 Minuten.
https://finalhouse.bandcamp.com
RAAB – VAN ENDERT – TORTILLER – Hope & Gratitude (Label: JazzSick Records, VÖ: 02.06.2023)
(jg) Ein deutsch-österreichisch-französisches Trio mit ruhiger Musik in ungewöhnlicher Instrumentierung: Flügelhorn, Gitarre, Vibraphon. Gegründet, um bei einem Corona-Ersatz-Festival in einer Kirche aufzutreten, kann man sich die verträumte Musik ausgesprochen gut mit dem typischen Hall in einem Kirchenschiff vorstellen. Insbesondere die Klänge eines Vibraphons, die manchmal wie himmlische Glocken klingen, lassen die Musik fast surreal erscheinen. Es wäre in der Tat ziemlich schade gewesen, wenn dieser Moment nicht für die Ewigkeit festgehalten worden wäre.
https://lorenzraab.at/wp/raabvan-enderttortiller/
RICHIE BEIRACH – Leaving (Label: Jazzline, VÖ: 14.04.2023
(jg) RICHIE BEIRACH hat in der Vergangenheit u.a. mit CHET BAKER und JOHN SCOFIELD zusammengearbeitet, seine letzte Live-Soloaufnahme stammt aus dem Jahre 1981. Es ist Zeit für eine Update, sagte sich der Pianist, der zwischenzeitlich eine Professur am Leipziger Konservatorium innehatte. Hier nun also ein neues Album mit zeitlosen Jazzstandards, die mir aber (nicht nur) für den Sommer viel zu dissonant und finster klingen. Auch das Publikum scheint mir nicht gerade in Begeisterungsstürme auszubrechen.
https://richiebeirach.com/
SCHALKO – Bitte 3x Pommes (Label: Flight 13, VÖ: 31.03.2023)
(so) „Bitte 3x Pommes“ tut genau das, was man von einem Album dieses Namens erwartet: Es rennt wie ein Berserker durch die Räume und vernichtet alles mit brausendem Punkrock – sollte man meinen. Allerdings darf man nicht vergessen oder übersehen, dass hier auch ein großer Anteil Postpunk, ja, teilweise sogar Wave zum Tragen kommt, SCHALKO haben unter der Oberfläche immer auch etwas Düsteres, etwas Geheimnisvolles, das sich hinter der Offensichtlichkeit und Direktheit des Punks versteckt. So ein bisschen TURBOSTAAT. „Bitte 3x Pommes“ ist gesellschaftskritisch, politisch, laut und emotional. Bringt somit alles mit, was man gut finden kann. Und das sollte man auch tun, insbesondere, wenn man sich auch mit den etwas dunkleren Seiten des Lebens auskennt.
https://schalko.bandcamp.com/album/bitte-3x-pommes
TOM LIWA – Eine andere Zeit (Label: Eigenregie, VÖ: 25.10.2022)
(so) Ja, ich weiß, dieses Album wird überall gefeiert und in den Himmel gelobt. Ich frage mich eher, was mit TOM LIWA passiert ist. Ein träges, schleppendes, furchtbar intellektuelles Album ist „Eine andere Zeit“ aus meiner Sicht geworden. Eines, das zwar textlich immer noch ziemlich weit vorne ist, musikalisch aber schlicht so wenig beeindruckend ist, wie ich es nie erwartet hätte. Natürlich, auch an TOM LIWA geht das Alter nicht vorüber und mit der Zeit verliert man sicherlich auch ein wenig die Geschwindigkeit, vielleicht auch den Rausch. Aber „Eine andere Zeit“ lässt mich wirklich an eine andere Zeit denken, an eine Zeit von „Klicker der Fuchs“ vielleicht. Es hat auch nichts damit zu tun, dass TOM LIWA hier mit Geschlechterrollen spielt und zwischen ihnen hin und her springt, das kann und soll er gerne tun. Aber dieses Gemisch aus Blues, Country und Folk, das so gerne BOB DYLAN wäre, das plätschert nur noch und reißt nicht mit.
https://tomliwa.bandcamp.com/album/eine-andere-zeit
TONY LIOTTA – Visions (Label: Leopard, 09.06.2023)
(jg) Wenn man hört, dass ein renommierter Schlagzeuger ein neues Album veröffentlicht, würde man so etwas wie „Visions“ sicherlich nicht erwarten. Die Musik klingt leicht und sommerlich, stilistisch irgendwo im Funk der Siebziger verortet – das hätte auch perfekt aufs diesjährige Elbjazz gepasst. Komplizierten Jazz oder vertrackte Strukturen sucht man hier jedoch vergeblich – was dieses Album also nicht nur für Schlagzeug-Nerds zugänglich macht. Wahrscheinlich groovt diese Platte aber auch deshalb so sehr, weil TONY LIOTTA durch seine internationale Schlagzeug- und Percussions-Akademie weiß, wie man sich dezent zurückhält und trotzdem vollends überzeugt.
https://tonyliotta.com/
WDR BIG BAND – Ariabesques (Label: Jazzline, VÖ: 26.05.2023)
(jg) An eine Variation der eigentlich für Cembalo komponierten „Goldberg-Variationen“ von Johann Sebastian Bach hat sich die WDR BIG BAND um den Dirigenten Bill Dobbins gewagt. Nicht das erste Mal, dass sie Bach neu interpretiert, und allein der Austausch der Instrumente haucht den 32 Stücken dieser Doppel-CD einen vollkommen neuen Charakter ein. Durch den Einsatz der Bläser und einige andere kleine Veränderungen, die den Stücken einen Hauch von Jazz und Funk verleihen, klingt das Gesamtwerk gleichzeitig wie eine erfolgreiche Transkription aus dem Jahre 1741 in die Neuzeit. Schön, dass es Menschen gibt, die sich solcher Aufgaben annehmen!
https://www1.wdr.de/orchester-und-chor/bigband/index.html
WHO’S THE CUBAN? – Pafata (Label: Smash, VÖ: 14.04.2023)
(jg) Kennt jemand unserer Leser/Innen die Nachmittags-Doku „Verrückt nach Meer“? Hier wird der Alltag von Gästen und Crew an Bord von Kreuzfahrtschiffen porträtiert, wobei sich die Produzenten meist irgendwelche regionalspezifischen Events überlegen (Besuch einer Filmfabrik in Hollywood, Schwimmen mit Delfinen, Blindekuh mit Königskobras). WHO’S THE CUBAN könnten dort sicher auch auftreten und mit ihrer flotten exotischen Musik beispielsweise zu einem tropisch-kubanischen Tanzkurs in Havanna einladen. Hier kommt Sommer-Feeling auf!
https://www.whosthecuban.com/