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TIM HACKEMACK – More than Fashion (Buch)

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In seinem ersten Buchprojekt „Yesterday´s Kids“ hat der freischaffende Fotograf und Journalist Tim Hackemack insgesamt 77 Punks älteren Semesters porträtiert und in Form von Interviewfragen interessante Einblicke darüber vermittelt, wie diese Personen sich beziehungsweise ihrer Subkultur bis heute treu geblieben sind. In seinem aktuellen Werk „More than fashion“ stehen hingegen weniger Menschen im Mittelpunkt, sondern vielmehr ihre Kleidung in Form der traditionellen „Kutte“, welche zumeist als aufnäher- und nietenverzierte Weste oder Lederjacke zu den meist verbreiteten Punk-Accessoires gehört. Wobei der Autor bereits im Vorwort klarstellt: „Dies ist kein scheiß Modebuch. Mode ist etwas Vergängliches, hält meist nicht länger als einen Sommer und ist dann so lange verschwunden, bis den Herren und Damen Designern nichts mehr einfällt. Selbst die uninspiriertesten Punkmitläufer haben es meist länger als eine Modeperiode durchgehalten. Andersrum möchte ich sagen: Wer Punk für Mode hält, hat das Wichtigste nicht verstanden“.

Dass es sich bei den in diesem Buch präsentierten Kleidungsstücken tatsächlich weniger um eine Art Uniformierung, sondern vielmehr um einen Ausdruck des individuellen Lebensgefühls handelt, machen neben den zahlreichen Detailaufnahmen auch die ergänzenden Texte ihrer Besitzer deutlich, die nicht nur darüber berichten, wie sie zu der jeweiligen Jacke gekommen sind und was sie mit ihr bereits erlebt haben, sondern auch welchen persönlichen Bezug sie zu ihr haben. Dies bestätigt auch die noch recht junge Kutten-Besitzerin Tesi in ihrem Text: „Zu Anfang verstand ich die Kutten in erster Linie als äußerliches Identifikationsmerkmal. Mittlerweile sehe ich in der Gestaltung dieser eine Form, mich auszudrücken und zu positionieren. Außerdem ent- und erhalten sie Erinnerungen“. Ähnlich sieht es Sebastian, der seiner Kutte nach zu urteilen in erster Linie der traditionellen Hardcore-Punk-Szene zuzuordnen ist: „(…) Somit repräsentieren die beiden Kutten in erster Linie meinen Musikgeschmack. Gleichzeitig transportieren gewisse Patches, Pins und Buttons eine politische Haltung, die mir in der Öffentlichkeit wichtig ist“. Alt-Punk Calli formuliert das Ganze noch etwas drastischer: „Mit Kutten verbinde ich aufmüpfig zu sein, anders zu sein, sich nicht der Gesellschaft anzupassen“.

Der ebenfalls im Buch zu Wort kommende Corwin bringt hingegen sowohl eine ästhetische, als auch eine soziologische Sichtweise ein: „Was ich von Kutten halte, also da gibt es zwei Ding: Erstens die Ästhetik, die sehen halt einfach geil aus (…). Zweitens sagen solche Jacken einiges über den Träger aus. Heutzutage stellen sich Menschen in sozialen Netzwerken offen zur Schau, bei einer Kutte wurde dasselbe viel subtiler und schöner gemacht, und es ist möglich, den Charakter eines Menschen an seiner Lederjacke abzulesen“. Letztere Feststellung lässt sich vor allem auch auf die an den Kleidungsstücken befestigten Accessoires beziehen, die oftmals mit Erinnerungen an bestimmte Konzerte, Ereignisse oder Menschen verknüpft sind. Insofern verwundert es auch nicht, wenn viele der im Buch vorgestellten Personen ihre Kutte als eine Art zweite Haut beschreiben, die sie bereits seit Jahren tagtäglich tragen und ohne die sie sich ihr Leben nicht mehr vorstellen können. Andere in diesem Buch zu Wort kommende Personen wiederum tragen ihre Kutte bereits seit Jahren nicht mehr – sei es, weil die entsprechende Jacke einfach nicht mehr passt, oder weil sie sich dahingehend weiterentwickelt haben, dass sie vom Style her nicht mehr zu ihrer Persönlichkeit passt. Dennoch würden auch diese Personen die guten Stücke aufgrund der damit verbundenen Erinnerungen niemals wegschmeißen, sondern bewahren sie weiterhin auf. Eine besondere Anekdote weiß beispielsweise Autor Tim Hackemack aus seiner eigenen Kuttenträger-Zeit zu berichten, indem er kurzerhand schildert, wie er einmal im aufgerissenen Innenfutter seiner Lederjacke zwanzig Flaschen Bier von einer Party entwendet hat. Doch auch trotz unterhaltsamer Geschichten wie dieser ist „More than Fashion“ in erster Linie ein Fotoband, der vor allem durch seine ausdrucksstarken Bilder lebt und hiermit all denjenigen wärmstens ans Herz gelegt sei, die sich für die Ästhetik und Aussagekraft von Punk-Kutten interessieren.

Autor: Tim Hackemack
Verlag: Hirnkost Verlag
Seitenzahl: 437
Erscheinungsdatum: 15.11.2018

http://www.hirnkost.de/

Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.