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Kurz & schmerzlos (April – Juni 2021) – CD-Besprechungen in aller Kürze

Werte Leserschaft,

heute wird mir die Ehre zuteil, das Vorwort zu unserer quartalsweise erscheinenden „Kurz und schmerzlos“-Rubrik zu verfassen. Und tatsächlich ist dies in gewisser Hinsicht ein besonderes Ereignis für mich, denn dieser Beitrag ist der 1.500ste Artikel, den ich für dieses kleine Fanzine verfasse. Das Interessante dabei ist, dass ich eigentlich nur aus Zufall in die Zunft der Fanzine-Schreiber*innen geraten bin: Es mag so ungefähr im Sommer 2006 gewesen sein, als ich selbst eine CD meiner eigenen Band mit der Bitte um ein Review an das Blueprint-Fanzine geschickt habe und sich daraus in der Folgezeit ein mehr oder weniger regelmäßiger Kontakt zum damaligen Schreiber und Blueprint-Mitbegründer Olli entwickelt hat. Irgendwann hatte ich Olli dann im Übermut gefragt, ob ich nicht auch mal ein paar Artikel fürs Blueprint beisteuern dürfte, und ehe ich mich versah, hatte ich ein neues Hobby: Ich war Fanzine-Schreiber! Lustigerweise stammt einer der ältesten mir noch vorliegenden Email-Wechsel mit dem übrigen damaligen Blueprint-Team aus dem Jahre 2008, und in diesem hatte ich den Vorschlag unterbreitet, dass wir eine Rubrik namens „Kurz & schmerzlos“ einführen, in der wir all die liegengebliebenen Tonträger besprechen, die sonst niemand reviewen will oder die stilistisch nicht so wirklich in unser Konzept passen. Es scheint rückblickend betrachtet nicht die allerschlechteste Idee gewesen zu sein, denn ansonsten würdet ihr diesen Artikel hier nicht lesen. Und übrigens: Wir sind nach wie vor immer auf der Suche nach neuen Schreiber*innen, die Lust haben, sich beim Blueprint auszutoben und neue Ideen einzubringen. Vielleicht wäre das ja auch was für euch!?!

Beste Grüße
Bernd / Blueprint Fanzine

ADAM DOUGLAS – Better angels (Label: Compro Records, VÖ: 23.04.2021)
(jg) Was mit einer Slide-Gitarre beginnt und anfangs im Countryfolk beheimatet ist, entwickelt sich noch im selben Song immer mehr zu einem souligen Big Band-Stück. Auch dem Funk und dem großen Pop gegenüber ist ADAM DOUGLAS nicht abgeneigt. Dabei bezeichnet sich der Wahl-Norweger und gebürtige Amerikaner ganz Understatement-like als „schlechtesten Musiker auf der Bühne“, wenn er zusammen mit Bläsern und Backing Chor auftritt. Dabei hat ADAM DOUGLAS jüngst das norwegische „Battle of the stars“, das „Stjernekamp“, gewonnen. Ganz so schlecht kann seine Musik also nicht sein, und tatsächlich fühle ich mich ein wenig an Auftritte von Künstlern wie MAX MUTZKE, ROGER CICERO und JAMIE CULLUM erinnert, wobei ADAM DOUGLAS sich insgesamt mehr im Blues- als im Jazz-Bereich bewegt. Doch die große Bühne steht ihm – auch wenn die Ausrichtung auf den Mainstream zwangsläufig den Spannungsbogen ein wenig senkt.
https://www.facebook.com/adamdouglasmusic/

ALOA INPUT – Devil’s diamond memory collection (Label: Siluh Records, VÖ: 14.05.2021)
(so) Es beginnt sehr schön, dieses Album. So ein bisschen Lo-Fi und ein bisschen zwischen den Stühlen. Ein bisschen Psychedelic, ein bisschen Singer/Songwriter. Irgendwie liebenswert und interessant. Mit Track zwei übernimmt dann aber der 70er-Jahre-Input (pun intended) und fängt auch langsam schon an, nervig zu werden. Für „How mellow the sun“ nehme ich deutlich zu wenig Drogen, nicht nur die falschen. Auch wenn der Song ordentlich an „Chemicals“ von THE NOTWIST erinnert, das ist mir doch zu viel Geflirre und Gezische. „Devil’s diamond memory collection“ ist ein Trip (in mannigfaltiger Wortbedeutung), der dich über Industrial, Cold-Folk, Psychedelic und Songwritertum führt, ohne wirklich an ein Ziel zu gelangen. Strengt an.
https://www.facebook.com/aloainput

AVIELLE- Oread (Label: Burning Water Records, VÖ: 18.06.2021)
(so) Nein, nein, schlecht ist das überhaupt nicht, was AVIELLE, die arabisch-jüdische Weltenbürgerin, die derzeit in der Schweiz beheimatet ist, uns auf „Oread“ anbietet. Aber auf irgendeine seltsame Art doch schräg und verrückt. Werden die Melodien zu süßlich, die Rhythmen zu poppig, dann lässt AVIELLE den Jazz zuschlagen, begibt sie sich auf die Wanderschaft in Richtung Anders. Denn anders ist die Musik auf jeden Fall, zwar deutlich Singer/Songwriter, aber auch deutlich vieles andere. Einflüsse ohne Ende, die sich zu einem breiten Musikstrom zusammenfinden und überzeugen, ohne dabei richtig ins Ohr zu gehen.
https://www.facebook.com/Avielle-357851381804279/

BLACK SHERIFF – Time to burn (Label: Savage Magic Records, VÖ: 18.06.2021)
(bc) BACKYARD BABIES, GLUECIFER, HELLACOPTERS – das sind Namen, die mir beim Hören dieses Albums unweigerlich in den Sinn kommen. Bei „Time to burn“ handelt es sich bereits um das fünfte BLACK SHERIFF-Album, und entsprechend abgeklärt gehen die Kölner Schweinerocker hier zur Sache. Was mir allerdings fehlt, sind zwei, drei Songs, die einen direkt anspringen und vereinnahmen. Trotz handwerklich solider Umsetzung wirken die meisten Lieder irgendwie sehr durchschnittlich und laufen eher unaufgeregt an mir vorbei. Erwähnenswert wäre ansonsten noch das HÜSKER DÜ-Cover „Diane“ sowie die beiden Stücke „Dance dance dance“ und „Killslayer Bob“, bei denen es BLACK SHERIFF irgendwie geschafft haben, MANOWAR-Legende Ross „The Boss“ Friedemann für zwei Stücke vors Mikrophon zu zerren.
https://de-de.facebook.com/blacksheriffrock/

CAPTAIN RICO & THE GHOST BAND – The forgotten memory of the beaches (Label: Spider Music, VÖ: 16.04.2021)
(jg) Das Coverartwork lässt definitiv an Kalifornien und Texas denken, tatsächlich stammen die Jungs aber aus Toulouse. Musikalisch bewegen sie sich irgendwo in den Sechzigern zwischen instrumentalem Surf, Rock & Roll und Blues und Bands wie MAN OR ASTRO-MAN?, TITO & TARANTULA und OUM SHATT. Vielleicht hört mancher hier sogar ein wenig die BEACH BOYS heraus, was ihr Faible für die Sixties nochmals unterstreicht. Das alles wirkt für ein Debütalbum absolut überzeugend, auch die Produktion stimmt und klingt angenehm retro. Das einzige, was mir hier fehlt, ist der Gesang.
https://captain-rico.bandcamp.com/album/the-forgotten-memory-of-the-beaches

DEXTER FRANCIS MASON – I’m sorry you feel that way (Label: Eigenregie, VÖ: 28.05.2021)
(jg) Dass DEXTER FRANCIS MASON ein ambivalentes Verhältnis zum Genre Pop hat, glaube ich ihm sofort. Dafür klingen seine Musik und seine emotionalen Texte einfach zu durchdacht und ausgefeilt, was bei uns Schreiberlingen von Blueprint ja prinzipiell auf offene Ohren stößt. Zugleich sorgen seine autogetuneten Vocals, die zarten Keyboard-Sounds und die dezenten Beats aber eben doch dafür, dass es am Ende ziemlich seichte Popmusik ist, die der Wahlberliner uns auf seinem Debütalbum präsentiert. Eigentlich schade.
https://dexterfrancismason.bandcamp.com/

DIE BUBEN IM PELZ – Geisterbahn (Label: Noise Appeal Records, VÖ: 14.05.2021)
(so) Wienerisch erobert mein Herz normalerweise ja sehr schnell. Und Bezüge zu den EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN tun in der Regel ihr Übriges. Aber der berühmte Funke möchte auf mich in der „Geisterbahn“ einfach nicht wirklich überspringen, bei allen Verbindungen zu den Achtzigern, bei aller politischen Korrektheit, bei allem vorhandenen Humor in den Texten – nein, das ist mir schlicht zu plakativ in vielen Momenten. Es gibt aber auch die hervorragenden Ausnahmen, namentlich etwa „Frühlingsgespenster“. Die „Geisterbahn“ ist doch etwas in die Jahre gekommen und bräuchte mal einen neuen Anstrich, sollte sich vielleicht auf die dunkleren Farben konzentrieren. Nicht wirklich verkehrt, aber doch nicht richtig richtig.
https://www.facebook.com/DieBubenImPelz

DUNBARROW – III (Label: Blues For The Red Sun, VÖ 28.05.2021)
(bc) Hier in der „Kurz & schmerzlos“ landen in einer gewissen Regelmäßigkeit Veröffentlichungen von Retro-Rock-Bands, die zwar meist qualitativ hochwertige Kost abliefern, aber leider oftmals nicht unsere persönlichen Musik-Vorlieben treffen. Dies trifft auch auf DUNBARROW aus Norwegen zu, die auf ihrem dritten Album zwar authentischen BLACK SABBATH-Sound zum Besten geben, mich aber im Endeffekt auch nicht zu diesem Musikstil bekehren können. Etwas aus dem Rahmen fällt hier übrigens das Stück „Turn in your grave“, das mit seiner eher folkigen Art eine Prise Flower Power-Atmosphäre versprüht.
https://de-de.facebook.com/Dunbarrow

HEATH CULLEN – Springtime in the heart (Label: Five by Nine, VÖ: Mai 2021)
(so) Tja, manchmal ist es dann auch so: Ein Album hat bei einem anderen blueprint-Autoren bereits versagt und versucht es nochmals bei mir. Manchmal ist das der richtige Weg. So wohl auch bei HEATH CULLEN, der sich auf „Springtime in the heart“ viel Mühe gibt, die Coolness eines TOM WAITS zu verbreiten oder auch mal die alkoholgeschwängerte Hymnenhaftigkeit der DUBLINERS zu erreichen – und hey, so schlecht macht der Mann das gar nicht! Das ist Folk der unterschiedlichsten Couleur, das verstimmte Barpiano trifft auf die Fiddle und die Whistle, SPRINGSTEEN auf THE POGUES. Gut zusammengestellt von Joe Henry an den Reglern und so zumindest doch noch beim Richtigeren in unseren Reihen gelandet. Manchmal hat ein Album eben auch Glück.
https://www.facebook.com/heathcullenmusic

HIRAKI – Stumbling through the walls (Label: Nafarious Industries, VÖ: 09.04.2021)
(jg) Bernd, habe ich diese CD wirklich bei Dir zum Besprechen bestellt? HIRAKI klingen wie eine vertonte Folterkammer – inklusive Stromstößen, Streckbank, Auspeitschen und Zahnwurzelbehandlung. Wer möchte sich das freiwillig anhören, außer er ist besonders sadistisch (oder masochistisch) veranlagt? „Progressiver Synthpunk vom Rande des Abgrunds“ benennt es das Bandinfo, die Absicht sei die Darstellung der kranken Welt und unserer Beteiligung daran. Puh. Bitte gebt mir nun etwas Volksmusik oder JOHANNES OERDING! Nur um das Gehörte irgendwie verarbeiten zu können. Danke.
https://hirakiband.bandcamp.com/album/stumbling-through-the-walls

I AM MACHINE – s/t (Eigenvertrieb, VÖ: 14.05.2021)
(bc) Auch wenn dieses Dreiergespann den Bandnamen I AM MACHINE gewählt hat, haben wir es hier ausschließlich mit handgemachter Musik zu tun. Frontmann David Spiegler war vor einigen Jahren bereits in einer Alternative Rock-Band namens UNBUTTONED HEART unterwegs, und in eine ähnliche musikalische Richtung geht es auch bei diesem neuen Projekt. Mal mit einer leichten Tendenz Richtung Grunge („Electric lights“), mal mit einem leichten Hang zum Emo-Pop-Punk („Call to arms“). Gefällt mir auf Anhieb ziemlich gut, auch wenn mit dieser EP zunächst nur drei Songs veröffentlicht werden und es abzuwarten gilt, ob die Süddeutschen dieses Niveau auch auf Albumlänge beibehalten können.
https://www.facebook.com/iammachineband/

JARKKA RISSANEN & SONS OF THE DESERT – Cargo (Label: Humu Records, VÖ: April 2021)
(so) Herrje, ist das anstrengend. Grundlose Gitarrensoli greifen gewaltsam zu, um es ein bisschen in Alliterationen zu packen. Oder auch anstrengend-anspruchsvolle Avantgarde-Musik. Mit das Schlimmste für mich also. Furchtbare 70er-Jahre-Gitarren begegnen staubtrockenen Drums und frickeln sich ihr Leben zurecht. Es tut mir leid, aber mehr als vier Songs ertrage ich davon nicht, ohne mich übergeben zu müssen. Ist ja toll, dass ihr die Instrumente so wunderbar beherrscht, aber bitte geht mir damit nicht auf den Zeiger. Natürlich ist das Ganze auch noch instrumental, jedenfalls bis zu dem Punkt, bis zu dem ich es geschafft habe, „Cargo“ zu hören. Sorry, aber auf meinem Schreibtisch komplett falsch gelandet.
https://www.facebook.com/jarkkarissanensonsofthedesert

LEDFOOT – Black Valley (Label: TBC Records, VÖ: 12.03.2021)
(so) Blues für den Gothic-Freund? Oder doch die Filmmusik eines düsteren Western? Für beides taugt „Black Valley“ ganz hervorragend, ist es doch ein düsteres Album, das von der Steelguitar lebt. Auf diesem Album geht LEDFOOT allerdings auch mal stärker in die Folkrichtung, verliert aber seine Grundstöcke nicht aus den Augen und bleibt bluesig-dunkel. Vielleicht ein bisschen so, als würde NICK CAVE eine Blueskneipe führen und die Musik aussuchen. Aber dann doch wieder nicht ganz so gut, wobei „Broken eyes“ wirklich ziemlich großartig ist.
https://www.facebook.com/Ledfootpage

LENNART SCHILGEN – Populärmusik (Label: Kleingeldprinzessin, VÖ: 09.04.2021)
(so) Ich kann leider nicht genau beschreiben, warum mir „Populärmusik“ nicht gefällt. Ist es das BEATLESeske? Ist es die etwas nervig nölende Stimme SCHILGENs? Oder doch das Poppige? Ich weiß es nicht. Auf irgendeine seltsame Weise will es sich bei mir einfach nicht festsetzen, ich kann aber nicht darauf zeigen. Textlich ist das gar nicht mal schlecht, aber aus irgendeinem Grund springt der Funke nicht zu mir über („Wann funkt es endlich?“ / „Müssten wir uns nicht küssen“). Vielleicht nenne ich es einfach mal nett. Da kann dann jede:r draus machen, was er oder sie mag.
https://www.facebook.com/lennartschilgen

MIESHA & THE SPANKS – Singles EP (Label: Saved By Vinyl, VÖ: 16.04.2021)
(bc) MIESHA AND THE SPANKS stammen aus Kanada, und daher ist es vielleicht auch kein Zufall, dass sie sich mit ihrem Sound an amerikanischen Bands aus grenznahen Gebieten wie Seattle (L7) oder Michigan (THE STOOGES, MC5) orientieren… Auf jeden Fall gibt es hier eine muntere Mischung aus Grunge, Garage Rock und Proto-Punk zu hören, garniert mit einem dezenten Riot-Grrrl-Feeling. Auffällig ist die Produktion, die Liedern wie „Wanna feel good“ oder „I want fire“ mit Fuzz-Sounds und viel Hall einen gewissen Retro-Touch verleiht.
https://www.facebook.com/mandthespanks

NEW PAGANS – The seed, the vessel, the roots and all (Label: Big scary monsters, VÖ: 19.03.2021)
(so) Die NEW PAGANS präsentieren einen echten Rock-Brecher. Direkt nach vorne, ohne Vorwarnung, ohne Anlauf, mitten ins Gesicht (um einen netten Ausdruck zu verwenden). Die Band nutzt ihre Musik, um ihre Botschaften zu transportieren, ihre Fragen zu stellen und auf Antworten zu bestehen. Dabei gehen sie den Weg des Lauten, erinnern an SONIC YOUTH (oder stellenweise auch an die frühe SINEAD O’CONNOR) in ihrer Direktheit, Unbekümmertheit und Ausgelassenheit. „The seed, the vessel, the roots and all“ ist ein ziemlich gutes Rockalbum, aber eben nicht nur das. Versucht ruhig mal, mehr darin zu entdecken!
https://www.facebook.com/newpagansband

PAAR LINIEN – s/t (Label: Discobole Records, VÖ: 02.04.2021)
(jg) Es sind nicht die zwei Saxophone, die bei PAAR LINIEN im Vordergrund stehen und mich stören. Es ist auch nicht der Jazz im Allgemeinen. Aber wenn der Schlagzeuger den Begriff Geschwindigkeit dermaßen frei interpretiert, dass man keinen klaren Rhythmus mehr erkennen kann, während die Saxophone zum Duell ansetzen und dabei klingen wie zwei Erpel, die sich zur besten Brunftzeit um das weibliche Gegenstück streiten, hört selbst bei mir das Musikverständnis auf. Wie sagte kürzlich der Gründer des philosophischen Fußballmagazins „Der tödliche Pass“ so schön? „Mich interessieren mehr das Ungewöhnliche, die Ecken, die Kanten. Dinge, die man nicht sofort sieht. Ich mag Free Jazz, Improvisation.“ Ihm würde ich PAAR LINIEN vielleicht empfehlen.
https://nicolasstephan.bandcamp.com/album/paar-linien-2

PHILIP LASSITER – Live in love (Label: Leopard, VÖ: 04.06.2021)
(jg) PHILIP LASSITER kann alles. Er kann Big Band, er kann Funk, genauso gut aber auch Soul, Jazz, Reggae, HipHop – und vor allem kann er die große Bühne. Ja, er will nicht nur können, er kann es wirklich. Da überrascht es kaum, wenn man erfährt, dass er zuvor bereits Trompete bei PRINCE gespielt hat, Stücke für Künstler wie TIMBALAND und MARIAH CAREY arrangiert hat und nebenbei elf Grammys einheimsen konnte. Außerdem gab es noch Zusammenarbeiten mit STEVIE WONDER, SNARKY PUPPY und diversen weiteren großen Künstlern, die ihn immer wieder die Bläser arrangieren ließen. Hier nun also ein neues Soloalbum von dem großen Multiinstrumentalisten, bei dem er selbst zahlreiche Gäste versammelte. Man kann PHILIP LASSITER bedenkenlos als einen der größeren Slots bei jedem Festival aus der Schnittmenge von Elbjazz, Summerjam und Hurricane hinstellen. Nur schwebt über allem am Ende leider doch das große Popsiegel – perfekt, aber ohne jegliche Ecken und Kanten.
https://philiplassiter.bandcamp.com/

RIKKE NORMANN – The art of letting go (Label: Rikkileaks, VÖ: 19.03.2021)
(so) Es sei vorweggenommen: Das kann BILLIE EILISH besser, so viel steht fest. Nichtsdestotrotz arbeitet sich RIKKE NORMANN ganz ordentlich am Thema „verspielter Pop“ ab, klingt dabei ziemlich unbeschwert, obwohl die Themen ihrer Texte auch anderes vermuten lassen. Eingängig ist das auch, was die Norwegerin hier hinlegt, lässt durchaus die Beine zucken und auch mitlächeln. Dennoch ist „The art of letting go“ letztlich ein bisschen dünn geraten, es mangelt für mich ein wenig am Mut zu etwas unbequemeren Songs. Ein unbeschwertes, fröhliches Album. Das ist auf der anderen Seite doch auch mal was – und „Unfollow“ geht durchaus schon in die richtige Richtung.
https://www.facebook.com/Rikkileaks

SINIESTRO – Vortexx (Label: Black Lodge Records, VÖ: 14.05.2021)
(bc) Heute aus der Kategorie Fratzengeballer: SINIESTRO. Das schwedisch-chilenische Duo lässt mit „Vortrexx“ ein dynamisches Thrash-Metal-Album auf die Menschheit los, das nicht zuletzt aufgrund seines Punk-Spirits Fans von Acts wie SEPULTURA, ENTOMBED oder NAPALM DEATH ansprechen dürfte. Also nichts für zarte Gemüter, zumal Songtiteln wie „Escape by death“, „Black acid rain“ oder „Anti human commando“ auch nicht gerade die Sonne aus dem Arsch scheint. Trotzdem (oder gerade deswegen) irgendwie geil.
https://de-de.facebook.com/siniestrosweden

THE BOATSMEN – Versus the Boatsmen ((Label: Ghost Highway, VÖ: 23.04.2021)
(bc) Skandinavien, ein Faible für schwarzes Leder & arschtretender Punk´n´Roll… wer da unwillkürlich an TURBONEGRO denkt, liegt gar nicht so verkehrt, denn THE BOATSMEN schlagen genau in diese Kerbe. Songtitel wie „Friday night forever“, „When I´m drunk“ oder „Afterparty in hell“ deuten zudem an, dass hier gerne dem Exzess gefrönt wird. Das Ganze ist auch über weite Strecken recht unterhaltsam, nutzt sich im Laufe des Albums aber leider auch ein bisschen ab. Als Hintergrundbeschallung zu einem gut gekühlten Hopfen-Smoothie geht „Versus the Boatsmen“ jedoch definitiv klar.
https://de-de.facebook.com/theboatsmen/

THE DUST CODA – Mojo skyline (Label: Earache, VÖ: 26.03.2021)
(so) Ich frage mich doch immer wieder: Wie kommen manche CDs oder Veröffentlichungen eigentlich zu mir? So auch bei THE DUST CODA. Classic Rock ist doch so gar nicht meine Baustelle. Daran wird auch „Mojo skyline“ nichts ändern, bei allen Vergleichen zu LED ZEPPELIN oder GUNS’N’ROSES, die durchaus ihre Berechtigung haben. Nein, das ist mir zu abgedroschen (im wahrsten Sinne des Wortes), zu sehr entstaubte Geschichte, die den Staub schnell wieder annimmt. Zwar sagte Charlotte Roche mal richtigerweise: „Wenn’s nicht rockt, isses fürn Arsch!“, aber nicht immer rettet der Rock auch die Welt. „Mojo Skyline“ hat zwar sicherlich mächtig Eier und Mojo, aber ich betrachte die Skyline doch lieber aus der Ferne.
https://www.facebook.com/TheDustCoda

THE PIGHOUNDS – Hilleboom (Label: Noisolution, VÖ: 23.04.2021)
(bc) Oha, das hier klingt nach den gitarrenlastigen Neunzigern. Nach Grunge, Alternative und Stoner-Rock. Und obwohl wir es hier lediglich mit zwei Personen zu tun haben, fahren THE PIGHOUNDS einen verdammt druckvollen Sound auf. Würde mich ja mal interessieren, ob es das Duo schafft, die auf „Hilleboom“ eingefangene Energie auch live in vergleichbarer Weise umzusetzen. Auf Platte funktionieren Songs wie „Doing doe“ oder „Superstar“ auf jeden Fall wunderbar und verschaffen den Schweinehunden einen respektablen Platz auf der hiesigen Rock-Landkarte.
https://de-de.facebook.com/ThePighounds

TIM THOELKE – Böse See (Label: Noise Appeal, VÖ: 09.04.2021)
(so) Der Titel ist gut gewählt, geht es auf „Böse See“ doch eben um die See. Sehr schunkelig-wohlig, dann auch mal etwas treibender oder auch ruhiger – TIM THOELKE liefert das, was man verlangen kann, wenn man sich landläufig ein Seemannsalbum vorstellen mag. Für mich fehlt hier die wirkliche Tiefe, das wirklich Besondere, das Überraschende. Die „Böse See“ ist doch recht vorhersehbar und auch ein bisschen anbiedernd. Halt ein bisschen so, wie der Verein, dessen Stadionsprecher er ist. Möglicherweise hat man so aber durchaus Erfolg, eben weil die Erwartungen erfüllt werden.
https://www.facebook.com/timthoelke

THE TREMOLO BEER GUT – You can’t handle (Label: Crunchy Frog, VÖ: 16.04.2021)
(jg) Und noch eine Band, die dem alten Sixties-inspiriertem Western/Garage Blues/Surfrock frönt und dabei auf einen Sänger verzichtet. Insofern würden THE TREMOLO BEER GUT perfekt ins Vorprogramm von CAPTAIN RICO & THE GHOST BAND (s.o.) passen oder umgekehrt. Was im direkten Vergleich aber für THE TREMOLO BEER GUT spricht: sie haben auf ihrem neuen Album zahlreiche namhafte Gastmusiker versammelt (u.a. von THE RAVEONETTES, JON SPENCER BLUES EXPLOSION, THE SONICS und THE COURETTES), die zum Teil auch ein paar Stimmen beisteuern dürfen. Auch wenn es sich dabei meist nur um Backing Vocals, Shouts o.ä. handelt, lockert das die Stimmung in meinen Augen insgesamt doch ein wenig auf. Aber auch hier bin ich der Meinung, das ein „richtiger“ Gesang die ganze Sache noch etwas aufwerten könnte.
https://thetremolobeergut.bandcamp.com/

TSCHAIKA 21/16 – Prinzessin Teddymett (Label: Noisolution, VÖ: 28.05.2021)
(bc) Okay, das hier ist so ziemlich das Schrägste, was bei mir in den letzten Monaten auf dem Promo-Stapel gelandet ist. TSCHAIKA 21/16 nehmen Zutaten aus Jazz, Progressive Metal, Industrial und klassischer Musik, jagen das Ganze durch den Häcksler und garnieren das Ergebnis mit durchgeknallten Einspielen und kuriosen Songtiteln wie „Kekse kaputt“, „Mutti ist vom Klettergerüst gefallen“ oder „Prinzessin Ausbau’s argwöhnische Ornithologie“. Fast so, als hätten sich HELGE SCHNEIDER mit J.B.O. zusammengetan, um ihre gegenseitigen Toleranzgrenzen auszutesten. Die Frage nach Genie oder Wahnsinn muss in diesem Fall wohl jeder für sich selbst beantworten.
https://de-de.facebook.com/tschaika2116

WE WILL KALEID – Aphasiac (Label: Sinnbus, VÖ: 21.05.2021)
(jg) Das Intro zu ihrer EP klingt recht steril und futuristisch. Und tatsächlich ist das Songwriting des Berliner Duos ziemlich progressiv. Vocals werden zum Teil stark verfremdet, mit Keys und E-Drums unterlegt, und am Ende vereinen WE WILL KALEID diverse Elemente miteinander, die bei mir nur selten wohlwollend betrachtet werden: Autotunes, Trap-Rhythmen und Pop. Es geht eben doch, wenn man es nur richtig macht! Wahrscheinlich ist dies der experimentellen Herangehensweise der beiden geschuldet. Hier wird nicht wiederholt, was gut läuft, sondern ein sehr eigener Weg gewählt, der auf den Hörer eine hypnotische Wirkung ausübt. Mir gefällt’s!
https://wewillkaleid.bandcamp.com/album/aphasiac

WYVERN LINGO – Awake you lie (Label: Rubyworks, VÖ: 26.02.2021)
(so) Ohne jede Frage: „Awake you lie“ ist künstlerisch wertvoll. Diese Mischung aus Folk und R&B ist auch wirklich interessant. Und, ja, die Stimmen können auch überzeugen. Und dennoch… der letzte Tropfen fehlt, um mir dann doch durch die Kehle zu fließen. Dafür ist es dann doch zu chartig, zu sehr R&B, zu viel Siebziger-Gitarre und zu wenig Folk, um mich mitzunehmen. Spannende Musik, die bei mir an den falschen Rezipienten geraten ist. Kann passieren und tut mir auch leid, aber so läuft es manchmal. In den Abspielgeräten anderer Menschen sicherlich ein Hit, bei mir nur geskippt.
https://www.facebook.com/wyvernlingo

Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.