Ich war ein wenig überrascht, als Martin und Ingmar vom KAISER QUARTETT ihre Musik im Interview ohne Achselzucken als „Popmusik“ deklarierten. So verschieden sind die Sichtweisen, wenn man aus unterschiedlichen musikalischen Bereichen kommt. Ich als Hobbymusiker und Konzertgänger, die beiden mit einem abgeschlossenen Studium an einer Musikhochschule. Dass man die Musik von EMILIANA TORRINI & THE COLORIST ORCHESTRA als Popmusik bezeichnen kann, würde aber selbst die gebürtige Isländerin mit klassischer Opernausbildung wahrscheinlich nicht abstreiten. Und ihr achtköpfiges COLORIST ORCHESTRA aus Belgien wohl auch nicht.
Es gilt heute etwas zu feiern. Zum einen den ersten Auftritt in der Elbphilharmonie, zum anderen das Release ihres zweiten gemeinsamen Albums „Racing the storm“, das zeitlich zufällig mit ihrem Konzert in Hamburg zusammenfällt. Dabei war zunächst alles ganz anders geplant. Die Köpfe hinter dem COLORIST ORCHESTRA kannten sich bereits aus Bands wie ZITA SWOON, bevor sie als Klassik-Ensemble mit Künstlern wie HOWE GELD und LISA HANNIGAN zusammenarbeiteten, um neue musikalische Grenzen zu ziehen. Mit EMILIANA TORRINI trafen sie bereits vor einigen Jahren zusammen, und aus den geplanten fünf gemeinsamen Konzerten wurde schließlich ein ganzes Album, das 2017 erschien. Doch als das gemeinsame Projekt bereits beendet schien, fragte man sich, warum man die Zusammenarbeit nicht weiter fortsetzte.
Und so stehen sie nun heute in der ausverkauften Elbphilharmonie, zeigen sich ergriffen von dem eindrucksvollen Großen Saal und eröffnen ihr gut anderthalbstündiges Konzert mit dem sphärischen Stück „The illusion curse“ von ihrem neuen Album, gefolgt von dem traurigen, leicht orientalisch anmutendem „Thinking out loud“. Wer EMILIANA TORRINI bislang nur von ihrem großen Hit „Jungle drum“ kennt, dürfte überrascht sein, wie weit ihre musikalische Palette reicht. Im Anschluss daran mit „Right here“ die erste Single ihres neuen Album, eine mit Xylophon eingeleitete Indiepop-Nummer mit großem Wiedererkennungsfaktor. Der Vergleich mit BJÖRK mag zwar ein wenig veraltet, aber nach wie vor zutreffend sein. Das liegt nicht nur an einer ähnlichen Stimmfärbung, sondern auch an der Variabilität im Gesang und der stilistischen Bandbreite. So wird die Gefühlswelt von verletzlich und fragil bis kraftvoll und prägnant vollends ausgelotet und mit stetig wechselnder musikalischer Begleitung unterlegt. Ihr neues Album entstand übrigens mit der Absicht, erstmals zusammen zu komponieren und neue Stücke zu erschaffen, anstatt bereits bestehendes Material neu zu arrangieren. Tatsächlich hat man das Gefühl, das die gemeinsame Arbeit sie noch enger zusammengeführt hat und die Isländerin zusammen mit den Belgiern nun eine große gemeinsame Einheit bildet. Man darf also gespannt sein, ob nicht vielleicht noch ein dritter Longplayer folgen wird. Wünschenswert wäre es!