Es wurde angefragt, ob ich nicht Interesse hätte, Philipp Taraz von DER REST zu interviewen. Nachdem mich das Album schwer begeistert hatte, stellte sich diese Frage natürlich nicht lange. Einzig der Umstand, dass ich es nicht zum Konzert schaffte, stellte sich als Problem dar. Doch nicht in der heutigen Facebookzeit. Somit nutzten wir diese Form des Interviews, um ein erstaunlich ausführliches Ergebnis zu erzielen. Doch lesen Sie selbst…
[F] Wie waren die Liveerfahrung auf der Releasetour und wie läuft das Album bisher?
[A] Die Gigs, die wir um die Albumveröffentlichung herum gespielt haben, waren eine gute Sache. Wir hatten eine gute Zeit zusammen und man ist immer wieder verblüfft, dass manchmal die wenigen Leute im Publikum eine euphorischere Resonanz liefern als dann am Tag darauf in einem gut gefüllten Club.
Das Album hat natürlich ein schweres Standing, als DIY- und Independent-Platte in einer Zeit mit vielen starken Veröffentlichungen. Aber das Medienecho ist überwiegend positiv, das freut uns.
[F] Auf viele Leute, denen ich „Der Tisch ist gedeckt“ vorgespielt habe, wirkt das Album sehr düster, fast ein wenig gothiclastig. Für mich strahlt es hingegen eine enorme Kraft und viel Positives aus. Kannst du dir diesen Unterschied erklären, oder würdest du sagen, dass Musik einfach unterschiedliche Wirkungen hervorruft?
[A] Wir haben von Beginn an sicher stark polarisiert, aber der von dir genannte Aspekt des Positiven ist interessant, denn in den Texten steckt ja schon die Sicht einer Person, die vielen Widrigkeiten trotzt und eben nicht klein beigibt. Das drückt sich gleich zu Beginn in „Vorsicht“ aus: „Ich hab zuviel Schlechtes miterlebt, daran gescheitert bin ich nicht. Aber behalte mir vor, zurückzuschlagen.“ – Das bringt es eigentlich ganz gut auf den Punkt.
Live reagiert das Publikum auch sehr unterschiedlich. Manchmal ist im Publikum eine Party, manchmal sind alle in sich gekehrt. Es ist schon erstaunlich, wie unterschiedlich die Musik wahrgenommen wird.
[F] Wenn ich deine Art der Intonation höre, denke ich unter anderem an die frühen TOCOTRONIC oder auch an ERDMÖBEL, in Teilen sicherlich auch an Oswald Henke von GOETHES ERBEN. Ist das Zufall oder spielen diese Bands tatsächlich in irgendeiner Form eine Rolle in deiner musikalischen Entwicklung?
[A] Diese Bands haben für mich überhaupt keine Rolle gespielt. Ich habe mir die erste TOCOTRONIC-CD angehört, nachdem DER REST das erste Mal mit ihnen verglichen wurde. Die Einflüsse von uns kommen eher von TOM WAITS und Bands wie SOPHIA, TINDERSTICKS, PINBACK, SHEERWATER und 16 HORSEPOWER.
[F] Im eigenen Studio aufgenommen, selbst produziert, ohne Label veröffentlicht… ist DIY ein Grundsatz von dir?
[A] Nein, das ist kein Grundsatz. Ich bin jemand, der die Dinge einfach erledigt, wenn sich niemand anderes dafür findet. Der Aufwand ist dann enorm und geht sehr an die Substanz. Gleichzeitig behält man natürlich auch die volle Kontrolle über sein Werk.
[F] Wie empfindest du es, wenn dich jemand als Singer/Songwriter oder gar als Liedermacher bezeichnet? Es fällt bei euch wirklich schwer, eine musikalische Schublade zu finden, und das macht es uns Schreiberlingen nicht leicht.
[A] Liedermacher, Songwriter, das klingt völlig okay für mich. Dass wir in keine Schublade passen, scheint für die Presse manchmal ein Problem zu sein. Vielleicht führt das auch hin und wieder zu Verrissen, die eine gewisse Distanz und Sachlichkeit vermissen lassen. Aber eigentlich empfinden wir es als Kompliment oder zumindest als schönes Attribut, dass eine Kategorisierung nicht so leicht fällt. Nach eigener Erfahrung steckt dahinter doch meist die interessantere Musik.
[F] „Langjährige Erfahrung in den USA“ heißt es in der Presseinfo. Und dann singst du auf Deutsch?
[A] Tja, das stimmt, das ist ein bisschen seltsam. Ich arbeite mit meiner Schwester an meinen Texten und die kann besser Deutsch als Englisch sprechen. Und ich finde die deutsche Sprache auch einfach immer noch sehr interessant.
[F] Wen möchtest du mit euren Texten und eurer Musik erreichen? Gibt es Gruppierungen, bei denen du direkt sagst, dass du sie mit deiner Musik nicht erreichen kannst?
[A] Eigentlich können wir meiner Erfahrung nach jeden erreichen, der der Musik offen gegenüber steht. Im Indierock und auch im Punkrock scheint eine große Engstirnigkeit zu herrschen, die für etwas Neues recht unempfänglich macht. Was natürlich schwierig ist, da dort ein guter Teil unserer Zielgruppe vermutet werden könnte.
[F] Als ich den Albumtitel „Der Tisch ist gedeckt“ las, hatte ich sofort „Tabula rasa“ von den Neubauten im Kopf, und in meinem Kopf hat sich euer Album in gewissen Momenten als verspäteter Vorgänger dieses Albums festgesetzt. Besonders aufgrund der Intellektualität der Texte. Nachvollziehbar für dich oder völlig aus der Luft gegriffen?
[A] Absolut nachvollziehbar. Wenn es eine deutsche Band gibt, die mich und meine Schwester Luisa geprägt hat, dann sind es die Neubauten, allen Werken voran das besagte Album.
[F] Gibt es Bands, die du mit DER REST gerne mal supporten möchtest?
[A] Die eben erwähnte! Bei KANTE wären wir, denke ich, auch nicht falsch.
[F] Thema myspace: Was hältst du persönlich von den neuesten Entwicklungen dieser eigentlich als Musikerbörse gedachten Oberfläche und bist du der Meinung, dass facebook auf dem Wege ist, myspace den Rang in punkto Bandpromotion abzulaufen? Ihr seid ja in beiden Netzwerken recht aktiv…
[A] Myspace hat viel an Popularität eingebüßt, in letzter Zeit hat facebook natürlich zugelegt. Aktuell scheint myspace zumindest für Bands noch nicht unrelevant geworden zu sein, die Zukunft liegt aber aktuell bei facebook.
Nach eigenen Erfahrungen und was man so um sich herum hört, werden die privaten Profile bei myspace immer mehr zu Karteileichen. Es scheinen dort eher noch die Bands aktiv zu sein, da myspace auch oft als erste Web-Referenz zum Reinhören genutzt wird. Auch die Kommunikation unter den Bands, um zum Beispiel Gigs zu koordinieren, läuft ja noch oft über myspace.
Den einzelnen „Fan“ erreicht man inzwischen aber wohl gezielter über facebook.
[F] Mit welchen Musikern und Bands möchtest du auf keinen Fall verglichen werden, obwohl sie möglicherweise in euer musikalisches Umfeld passen? Überhaupt: wie sinnvoll ist ein Vergleich von Bands und Musik?
[A] Ich finde die Vergleiche manchmal dümmlich, manchmal lustig, manchmal schmeichelhaft. Und dass wir dann am Ende in die Hamburger Schule gesteckt werden, belastet und deprimiert mich. Es gibt so viele Vergleiche, die sich durchaus widersprechen, dass man fast darüber lachen kann. Alle konzentrieren sich auf deutschsprachige Künstler, und da ist dann alles dabei: von REINHARD MEY bis hin zu RAMMSTEIN. Wenige Leute geben sich Mühe wie du, durch den ich FLIEHENDE STPRME für mich entdeckt habe.
[F] Bei mir – und auch vielen anderen – gibt es Songs, von denen ich behaupte, sie wären ganz und gar und allein nur für mich geschrieben bzw. sie basieren auf meinem Leben (so geschehen auch bei „Wenn die Dämonen kommen“). Gibt es solche Songs auch für dich, von denen du sagst, dass du sie gerne selber geschrieben hättest?
[A] Klar, auf jeden Fall. Das spornt dann an, finde ich!
„Die Wahrheit“ von KANTE wäre so ein Lied für mich und sicher alles von AMRI PARDO.
[F] Du hast ja sehr viel Erfahrung im Genre Film. Hast du für deine Filme auch die Musik geschrieben und wie wichtig ist dir Musik im Film? Könntest du dir einen Film vorstellen, in den Musik von DER REST passen würde?
[A] Ich habe noch keine Musik für einen Film von mir selbst gemacht, aber ich werde es tun. Klar, zu Filmen wie „Zero Effect“, „Illtown“ und „Thursday“ würden wir auch gut passen.
[F] Ist Jeannine Max eine Bekannte von euch, oder wie seid ihr auf ihre Bilder gestoßen, die ja die Stimmung des Albums einmalig wiedergeben?
[A] Jeannine kenne ich seit vielen Jahren und eine Seelenverwandtschaft lässt sich nicht leugnen.
[F] Wer wird am Ende der Letzte sein, der steht?
[A] DER REST wird immer der Letzte sein, der steht. Mit so viel Würde und Haltung wie irgend möglich.
Herzlichen Dank an Philipp Taraz für die Bereitschaft und Offenheit und die ehrlichen Antworten.
http://www.derrestmusik.de/
http://www.myspace.com/captainsdiary