Mitte der Neunziger. Ich bin gerade 14 geworden, und in mir wächst langsam aber sicher die Erkenntnis, dass es abseits des 60er und 70er dominierten Plattenschranks meiner Eltern und dem unvermeintlichen Dancefloor (ich war in der ATB= Anti-Techno-Bewegung) doch noch irgendwas anderes da draußen geben muss. SUCH A SURGE und THUMB hießen damals zum Beispiel Antworten auf meine Fragen. With Full Force Festival. Red Alert. Harte Zeiten.
Heute ist Crossover lange tot. Glücklicherweise ist man geneigt zu sagen. Und bei mir ist heute auch nur ein nostalgisches Gefühl dafür verantwortlich, dass diese Alben nach wie vor im Plattenschrank ihre Daseinsberechtigung finden. Auch wenn heute viele das Gegenteil behaupten: Die waren schließlich mal wichtig!
CLAUS GRABKE. Alte Helden in neuem Gewand. Kann hier jemand nicht loslassen von einem Erfolg, der längst verblichen ist? Wird hier verzweifelt probiert; im Spiel zu bleiben? Trendanbiedernd in der Konsequenz. Oder etwa noch immer der gleiche, inzwischen abgeschmackte, ranzige 90er Sound? Bitte nicht! Oder doch alles ganz anders?
Ich glaube, aus Angst vor Antworten auf diese Fragen, habe ich seine erste Solo-Platte „Dead hippies – sad robots“ einfach ignoriert.
Gut, dass ich jetzt eine zweite Chance bekomme. Nähern wir uns unbefangen: „Deadly bossanova“ ist ein Monster an Sound. Ungeschliffen und roh, und trotzdem hört man in jeder Sekunde die Umwege der Effektschleifen, durch die hier nicht nur die Gitarren gelaufen sind.
Auf CLAUS GRABKE wäre ich nie gekommen. Das hier klingt nach Garage und Schweiß, erinnert an Bands wie VINES und DATSUNS (letztere hat er übrigens auch schon in seinem eigenen Studio produziert)! Gitarre und Noise.
Und: Das hier überrascht zunächst sehr positiv! Man möchte den Hut ziehen vor jemandem, der es schafft, beim Beschreiten neuer Wege mit soviel Konsequenz zu Werke zu gehen.
Hier kracht und rumpelt jeder Ton. Der markante Gesang befindet sich stets kurz vor der Grenze zur Hyperventilation. Das Rad wird hier nicht neu erfunden. Aber für das, wo diese Platte hin geht, vieles richtig gemacht.
Allerdings fällt die Platte qualitativ mit zunehmender Länge der Spieldauer ab. Für eine ganze Plattenlänge sind die Songs dann doch recht gleichförmig. Und das KRAFTWERK-Cover „Radioactivity“ hätte für meine Begriffe auch nicht sein müssen, obwohl es sich hier nahtlos in den Gesamtsound der Platte einfügt.
Für den kommerziellen Erfolg kommt diese Platte wohl ein paar Jahre zu spät. Entweder ist CLAUS GRABKE inzwischen jemand, der probiert, längst vorbeigezogenen Trends hinterher zu laufen, oder er macht schlicht und ergreifend, worauf er Bock hat und schert sich um das andere nicht. Und ich glaube Letzteres.