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ABSTÜRZENDE BRIEFTAUBEN – Bravo-Punks not dead!

Die 80er Jahre haben musikalisch so manches Kuriosum hervorgebracht. Eines davon hört auf den Namen „Fun-Punk“ und umschrieb hierzulande Bands wie MARIONETZ, DIE MIMMIS, SCHLIESSMUSKEL und natürlich auch DIE ÄRZTE. Ebenfalls an vorderster Front dabei waren die ABSTÜRZENDEN BRIEFTAUBEN, denen sogar die Aufmerksamkeit der Bravo zuteil wurde, was den Hannoveranern neben der Häme der Politpunk-Fraktion im Gegenzug reihenweise volle Konzertsäle bescherte und das Duo zwischenzeitlich nach den bereits erwähnten ÄRZTEN und den TOTEN HOSEN zu einer der populärsten deutschen Punkbands werden ließ. Auch für meine persönliche Punk-Sozialisation waren die ABSTÜRZENDEN BRIEFTAUBEN von elementarer Bedeutung, denn im zarten Alter von zwölf Jahren bekam ich von meinem Cousin eine Kassette in die Hand gedrückt, auf der sich neben dem „Never mind the bollocks“-Album der SEX PISTOLS auch deren „Entschuldigen Sie bitte“-Mini-LP befand und die meine erste zarte Berührung mit der Punk-Materie darstellte. Nach der Auflösung der Band im Jahre 1997 galt das Kapitel Brieftauben dann abgeschlossen, und allerspätestens als mit Konrad einer der beiden Protagonisten vor sieben Jahren starb hätte wohl niemand auch nur einen Cent darauf gewettet, dass noch einmal Konzerte unter diesem Namen stattfinden. Doch da sich Revivals derzeit vor allem im Punk-Bereich einer außerordentlichen Beliebtheit erfreuen, suchte sich das verbliebene Bandmitglied Micro zwei Mitstreiter, um solch alten Säcke wie mich in Form von Konzerten in Erinnerungen schwelgen zu lassen. Dass der Hamburg-Auftritt zudem im Skorbut, Hamburgs wohl ehrlichster Punk-Kneipe mit einem sehr überschaubaren Fassungsvermögen von ca. 80 Personen, stattfinden sollte, machte die Sache nur noch reizvoller. Doch leider teilten nicht alle meine Euphorie. So antwortete ein Kumpel von mir auf die Frage, ob er mich zu dem Konzert begleiten möchte, mit den süffisanten Worten „Oha, Seniorenball! Werde aber Samstag wohl eher in der Sauna sein – da ist es auch warm und schrumpelig…“ Na gut, wer nicht will, der hat schon, und so ging es letztendlich ohne ihn in das angenehm heruntergerockte Kellergemäuer in der Hopfenstraße.
Als hätten sie die skeptischen Worte meines Kumpels gehört, eröffneten die Tauben das Set dann auch mit „Das Grauen kehrt zurück“ und gaben damit den Startschuss für ein exzessives Pogo-Getümmel, das bis zum letzten Lied anhalten sollte. Zwar konnten Micro und seine beiden Kollegen das alte 80er Jahe-Feeling nicht mehr zu 100% in die Gegenwart transportieren, und man hatte eher das Gefühl, einer ABSTÜRZENDE BRIEFTAUBEN-Coverband zu lauschen, aber ungeachtet dessen war die Performance sehr anständig, und das Publikum genoss es augenscheinlich, Lieder wie „Faxen ´81“, „Zwei Pullen Korn“, „Was ich nicht mag“ oder „Love Song“ nach so langer Zeit endlich wieder live zu hören. Und als dann zum Abschluss der traditionelle Rausschmeißer „Tränen“ gespielt wurde und gestandene Alt-Punks ebenso freude- wie volltrunken jede Textzeile mitsangen, konnte man sich keineswegs sicher sein, ob es sich bei der Flüssigkeit auf ihren Wangen letztendlich um Bierspritzer, Schweiß oder gar die eine oder andere Nostalgieträne handelte…

Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.