Waren Sie mal als Schreihals in einer erfolgreichen Punkband tätig und möchten sich beruflich weiterentwickeln? Dann begeben Sie sich noch heute auf Solopfade in den Wilden Westen der Musik: dem Country/Folk. Ein Karriereschritt, der sich bezahlt machen wird. Sie werden sehen, durch Ihre Credibilty aus vergangenen Tagen machen Sie der Crowd ein Genre zugänglich, welches es sonst gleichgültig in den Plattenschränken seiner Eltern verstauben lässt. Hören Sie unsere Testimonials! CHUCK, 35, aus Gainesville meint: „You know, I thought I was too old for da punkrock shit and just quit, but I kind of like missed the road. So, I just packed my bags, grabbed my old string acoustic guitar and bye bye guys, you know? (lacht)”. (Interview teilweise gänzlich erfunden).
Das klang jetzt zwar lästerhaft, aber bei mir funktioniert das „Konzept“. Wobei, ich bin sowieso Freund der von manchen als lagerfeurige Hippiemusik verschrienen Akustikgitarrenmusik, wenn die Songs denn geil sind. Ein Genre kategorisch scheiße zu finden, ist sowieso scheiße. Hauptsache der Song ist geil, die genre-spezifische Verpackung ist doch erstmal nebensächlich. Letztendlich ist das sogar die eigentliche Bestandsprobe: schockt ein Song pur und unverpackt auf der Akustikgitarre nicht mehr, war es wahrscheinlich nur Effekthascherei. Ob nun allerdings eine Kerze in der Kathedrale meines Herzens (um passenderweise mit OLLI SCHULZ zu sprechen) für FRANKYBOY TURNER entzündet worden wäre, wenn dort nicht schon längst ein ganzer Adventskranz für seine einstige famose Post-Hardcore-Gruppe MILLION DEAD brennen würde, vermag ich nicht zu sagen. Ich mag ihn jedenfalls. Ihn und die kleinen, sympathischen Geschichten, die er in seinen Songs erzählt. Ihn und seine verdammte Authentizität. Ich mag ihn sogar so sehr, dass ich mir vor geraumer Zeit seine bisherigen EPs aus England einfliegen ließ. Und nun das: ein Album namens „The first three years“, das sämtliche EPs und Compilation-Beiträge vereint. Ich will mein Geld zurück. Nein, Quatsch! War ich doch schon oft genug selbst Nutznießer solcher Anthologien. Sei es bei PIEBALD oder CAP’N’JAZZ. Also tolle Sache, das! Und unter den 23 Stücken befinden sich auch drei Songs, die es bisher nur live zu hören gab. Darunter ein Cover von „Dancing queen“, das ich allerdings ziemlich unerträglich finde. Dafür auch eine Akustikversion des MILLION DEAD-Songs „Smilling at strangers on trains“, die ich dagegen ziemlich grandios finde. Typischerweise wird man auf so einer gnadenlos vollständigen Zusammenstellungen nicht – wie bei einem Best Of – 23 Smash-Hits vorfinden. Vielmehr ist das hier etwas für den Sowiesoschon-Fan und Alleshabenwill-Neurotiker. Mehr ist nicht zu sagen. Bleibt nur die Frage: Warum nur müssen alle ihre Version von „You are my sunshine“ aufnehmen? Sogar KEVIN DEVINE und BJÖRN KLEINHENZ fielen diesem Schmalzkuchen von Folksong zum Opfer. Da schreie selbst ich: Hippiekacke!