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JOMI MASSAGE – Kritische Kunst

Das Cover ziert eine Frau, die ihren Kopf in eine lila Strumpfhose gesteckt hat. Laut Presseinfo handelt es sich dabei um eine Künstlerin, die an PJ HARVEY erinnert und ihren Gefühlen durch mehr oder weniger musikalische Grenzenlosigkeit Ausdruck verleiht. Ich gebe zu, dass ich mich schon ein wenig grusele, als ich zum Uebel & Gefährlich laufe, um mit der Dänin zu sprechen.

[F] Als erstes würde mich interessieren, warum Du Deinen Musikstil geändert hast. Ist Dir etwas Persönliches passiert, oder war es eine Frage des Geschmacks, dass LoFi-Aufnahmen so einen Platz eingenommen haben?
[A] Warum denkst Du, bei der Musik, die ich spiele, müsse mir etwas passiert sein?

[F] Ich denke, wenn ich Musik machen würde, hätte sie wahrscheinlich einen persönlichen Bezug, und wenn ich etwas ändern würde, hätte das etwas zu bedeuten.
[A] Ah, ok. Das ist lustig, das erinnert mich an das erste Mal, als ich in Russland spielte. All diese Männer und Frauen kamen auf mich zu und waren erstaunt, dass ich nicht hässlich und schwarzhaarig bin, da sie dachten, ich würde diese Musik spielen, da ich keinen Mann bekommen würde.
Ich denke, niemand (es sei denn, man ist ein Therapeut) ist sich selber im Klaren über die Dinge, die einen wirklich bewegen. Zum Beispiel arbeitet jemand bei einer bestimmten Firma, weil ihn früher ein Hund gebissen oder sein Freund ihn verlassen hat. Ich kann Deine Frage so nicht beantworten. Aber natürlich sind mir Dinge widerfahren. Wir sind keine Lemminge, sondern Menschen. Und das sind die Dinge, über die ich singen möchte. Wir alle haben ein Leben, das manchmal durcheinander ist, und ich kenne niemanden, der keine emotionalen Sorgen hat.

[F] Ich dachte nur, dass man manchmal sehr modebewusst ist und mit dem Zeitgeist geht, und dann, wenn einem etwas widerfährt, sich eher zurückzieht und gar nicht so viel zeigen möchte.
[A] Da kann ich Dir jetzt nicht die perfekte Geschichte liefern. Für mich ist es ein ehrlicher und individueller Weg, an der Welt teilzuhaben. Deshalb mache ich Musik. Ich denke, ich bin gut im Musik machen und darin, ehrlich zu sein. Ich denke, ich bin ein ehrlicher künstlerischer Typ, der seine Mission kennt und durch Musik und andere Sachen verfolgt. (lacht)

[F] Siehst du dich dabei selbst als Gesamtkunstwerk, oder denkst Du, die verschiedenen Dinge, die du machst, stehen für sich selbst?
[A] Ich denke, alles ist miteinander verbunden. Wenn wir noch eine Stunde reden würden, würdest du die Wörter "Weltverbindung" und "Welt" deshalb immer wieder hören. Und weil momentan jeder nur mit sich selbst beschäftigt ist, führt dies dazu, dass die Welt auseinander fällt. Darum ist alles, was ich tue, sei es eine Installation oder ein Rockkonzert wie heute Abend, irgendwie miteinander verbunden. Ich wusste, dass die Leute sofort denken, dass die Musik für mich als Frau ein persönlicher Verarbeitungsprozess wäre.

[F] Ich hätte meine Eingangsfrage aber auch einem Mann gestellt…
[A] Dann lass uns weitergehen, dann ist der Geschlechterfrage wohl nicht so viel Bedeutung beizumessen.
Sobald Du Dich auf eine Bühne stellst und persönliche Themen ansprichst, denken die Leute, es handele sich um Dein Tagebuch. Das ist der einfache Weg, Dinge zu betrachten. Nicht, dass es mich nicht kümmert, aber du wirst niemals erfahren, worum es wirklich geht. Wichtig ist, wofür Du es gebrauchen kannst. Das ist für mich der wichtige Teil und hoffentlich auch für die Leute, die es hören – es sei denn, sie sind Voyeure und wollen einfach nur unterhalten werden.

[F] Gibt es spezielle Themen, die Dich reizen und die Du ansprechen möchtest?
[A] Ja, als jemand der in der westlichen Welt groß geworden ist, ist man es gewöhnt, in gut und schlecht, schwarz und weiß zu denken. In dieser Weise beurteilen wir Dinge. Es gibt eine strikte Hierarchie, ein Stufensystem. In diesem bewerten wir, was gut und schlecht ist. Leute versuchen, das Artwork meiner CD und die Musik in ein solches einzuordnen. Wenn Du versuchst, Gefühle zu beschreiben, wirst du irgendwann den Platz außerhalb dessen finden, und dann beginnst Du zu verstehen, worum es geht, anstatt zu sagen, das mag ich oder nicht. In diesem Fall können wir einen gemeinsamen Nenner finden, der es vielleicht schafft, die Welt zum Positiven zu verändern.
Um das zu vervollständigen, ist es auch ein Auftrag an mich, mit diesen Vorurteilen zu spielen. Zum Beispiel, dass die Welt Hass, Wut und Liebe ist. Und da jedes Klischee auch eine Wahrheit ist, werden sie nicht grundlos immer und immer wiederholt.

[F] Dänemark ist so ein kleines Land, kennt Ihr Euch als Künstler untereinander besser als vielleicht anderswo?
[A] Man kann nicht Berlin oder Hamburg als Beispiel für Deutschland nehmen, und genauso kann mach auch nicht Kopenhagen als ein solches für Dänemark anführen. Natürlich kann es in Städten familiär werden, aber nicht im ganzen Land. Ich bin viel durch Dänemark gereist, um die unterschiedlichen Mentalitäten kennenzulernen. Aber die Städte unterscheiden sich sehr voneinander, sobald ein kleines bisschen Wasser dazwischen liegt, ändert sich alles rapide. (lacht) Das Familiengefühl kann sich in jeder Umgebung einstellen, ich habe zum Beispiel in New York gelebt, da fühlt man sich auch verdammt schnell familiär, wenn man für vier Monate da war. Das ist wohl in jeder Stadtkultur so, wenn man einen Fuß zu fassen bekommt.

[F] Arbeitest Du lieber alleine oder mit Band? Oder kann man das nicht vergleichen?
[A] Ich vergleiche keine Sachen. Wir haben uns gerade über Schwarz/weiß-Denken unterhalten, das mache ich nicht mehr (lacht). Es hat mich Jahre gekostet und manchmal klappt’s auch nicht ganz. Ich würde es eher so beschreiben, dass ich nicht auf der Suche nach dem perfekten Sound bin, der mich beschreibt. Manchmal sind die Leute zu Recht auch etwas verwirrt davon. Ich trete alleine auf, habe ein Big-Band-Projekt gehabt, englische Rockversionen, und vor zwei Tagen stand ich mit einem Saxophonisten auf der Bühne. Für mich ist es eher eine Suche nach der Möglichkeit, etwas geben zu können. Wenn ich etwas sagen möchte, überlege ich, wie ich es am besten rüberbringen könnte, und dann suche ich die Leute, die mir dabei am besten helfen können und mit denen es interessant ist zu arbeiten. Das müssen nicht unbedingt nette Leute sein. Mit einem Mann, mit dem ich gerade zusammen gearbeitet habe, habe ich die meiste Zeit damit verbracht, zum Himmel zu schreien, aber die Musik, die herauskam, war fantastisch, auch wenn ich nie wieder mit ihm zusammen arbeiten werde. Ich denke, das Ergebnis ist wichtiger als die Produktion. Es muss nicht immer alles harmonisch sein. Es gibt so viele Wege zu arbeiten, ich möchte jeden einzelnen kennen lernen.

[F] Strebst Du nach Erfolg?
[A] Ich denke, ich bin ziemlich erfolgreich. Ich weiß, normalerweise wird Erfolg in Einheiten gemessen, zum Beispiel, wie lange Deine Tour dauert und wieviel Geld Du auf der Bank hast. Ich mache Musik seit ich 15 bin, hatte den ersten Plattenvertrag mit 18. Ich fühle mich privilegiert, Menschen haben mir soviel gegeben, vor allem auch die Möglichkeit, meine Talente zu entfalten. Auch wenn dies nicht immer im herkömmlichen geradlinigen Sinne zum Erfolg führte, konnte ich mich als Künstler weiterentwickeln und mich zum Teil selbst überraschen. Und verhungern tu ich auch nicht. Mir geht es gut. Ich habe zwei Rollen über meinen Hüften, einen Freund, das ist mehr als genug.

[F] Ist Musik das einzige, was Du machst, um Deinen Lebensunterhalt zu verdienen?
[A] Es gab Zeiten, da hatte ich auch einen so genannten bürgerlichen Beruf, ich war eine sehr gute Kellnerin. Es hat mir wirklich Spaß gemacht, ihnen einen guten Abend zu bereiten, guten Wein und gutes Essen zu servieren – diese ganze Dekadenz und Schönheit zum Beispiel eines solchen Abends ist, glaube ich, auch sehr wichtig für die Welt.

[F] Und was würdest Du machen, falls Musik nicht existieren würde?
[A] Oh, Malen oder so etwas Kreatives wahrscheinlich. Ich weiß es nicht, Musik ist so normal für mich, dass ich sie mir nicht als nicht existent vorstellen kann. Wahrscheinlich wäre ich schon gebildeter in Theaterkünsten, mit denen ich gerade anfange. Wenn Du mich in zehn Jahren interviewst, rede ich wahrscheinlich nur über Tanztheater und Musicals. Noch verstehe ich nichts, aber es ist soo interessant!

[F] Und Kunst könntest Du Dir also auch vorstellen?
[A] Oh, ich male wie eine Dreijährige, aber ich würde es liebend gerne können. Ich habe eine kleine Galerie, die aber mehr für anderer Leute Kunst gedacht ist. Wenn ich etwas in der Richtung mache, dann eher bestehende Dinge zerstören oder ihnen etwas hinzufügen. PopArt vielleicht. Kennst Du das Bild, das bei uns in jeder Pizzeria hängt, auf dem ein amerikanisches oder italienisches Mädchen an einer Ecke vorbei läuft und alle Männer ihr hinterherpfeifen? Ich habe ein Skalpell genommen und alle Männer in Pferde verwandelt, ihr habe ich einen Hut und eine Zigarette verpasst. Und ich habe es "Sometimes I wish they would be as aggressive as men" genannt. Das ist so in etwa, was ich der Richtung mache. Vielleicht sollte ich das weiterverfolgen, falls das mit der Musik nicht mehr läuft. (lacht)

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