Vor fünf Jahren machten wir ein Interview mit RUE ROYALE, dem anglo-amerikanischen Pärchen, das unermüdlich auf Tour war und mit seinem verträumten Indiefolk die Herzen seiner Fans eroberte. In der Zwischenzeit hat sich viel getan. Die beiden bekamen eine Tochter, nahmen sich eine Auszeit, in der sich bei Brookln jedoch eine Depression manifestierte.
Nun ist das Duo mit einem neuen Album zurück, in dem die bewegenden Zeiten auch musikalisch verarbeitet wurden. Vor ihrem Konzert auf der MS Stubnitz stellten sich Ruth und Brookln unseren Fragen, und heraus kam ein sehr persönliches Interview, das Einblicke in das veränderte Leben der beiden gewährt.
Während Ihr auf „Remedies ahead“ erstmals mit elektronischen Elementen experimentiert habt, scheinen die Songs auf „In parallel“ wieder mehr songfokussiert zu sein und ein wenig „back to the roots“. Wie sehr Ihr das?
Brookln: Als Songwriter kann ich das nicht so analysieren wie Du. Wir können auch nicht objektiv beurteilen, ob unsere Tochter hübsch oder hässlich ist. Für uns ist sie natürlich hübsch! Aber in einer Sache kann ich Dir auf jeden Fall Recht geben: Paul Pilot brachte als Co-Producer viele neue Ideen auf der „Remedies ahead“ mit ein, gerade auch, was die Electronics betrifft, während ich das neue Album produziert habe und wir somit wieder einen Schritt zurückgegangen sind. Cool, wenn Du das tatsächlich gefühlt hast, hast Du ein ähnlich feines Gespür wie ein Weintester.
Ruth: Vielleicht spielt auch mit rein, dass wir auf dem neuen Album mit Sean Carey einen echten Drummer hatten, während wir auf „Remedies ahead“ alles selbst zusammengebastelt haben und uns dabei überlegen mussten, wie wir das live umsetzen können.
Im letzten Interview fragte ich nach, ob Ihr Euch vorstellen könntet, RUE ROYALE zu einer „richtigen“ Band auszubauen. Auf „In parallel“ habt Ihr es mit Sean Carey als Drummer tatsächlich umgesetzt. Wollt Ihr das fortsetzen?
Ruth: Auf der letzten Tour waren wir mit einem Drummer unterwegs. Das war super, und wir haben das Album ziemlich originalgetreu wiedergegeben. Trotzdem war es eine andere Energie auf der Bühne und eine andere Verbindung zum Publikum. Deshalb sind wir im Dezember noch mal ohne Drummer auf Tour gegangen und fühlten uns dem Publikum etwas näher.
Brookln: Wir werden es auf alle Fälle fortsetzen, mit einem Schlagzeuger auf Tour zu gehen, zum Beispiel auch auf Festivals, aber hauptsächlich machen wir als Duo weiter.
Euch fehlte vor allem die Intimität?
Brookln: Absolut!
Ruth: Und die Kommunikation.
Brookln: Durch das Schlagzeug hat man automatisch eine starke Erhöhung der Lautstärke, die jegliche Kommunikation erschwert.
Man findet auf Eurem neuen Album einerseits Hoffnung und Zusammenhalt („Thrown by the wind“), andererseits aber auch eine melancholisch-fragile Seite („I don’t know what it is“, „All signs are gone“). Wolltet Ihr das mit dem Albumtitel „In parallel“ ausdrücken?
Ruth: Vor allem ging es darum, dass wir das Leben mit einem Kind sehr unterschiedlich wahrgenommen haben. Es ging auf und ab. Brookln war eine Zeitlang mit dem Songwriting auf sich allein gestellt, durchlebte aber auch einige ernste Depressionen, während ich wegen des Kindes ganz euphorisch war. Diese starken Emotionen empfanden wir teils zusammen, teils getrennt.
Brookln: Wenn man eine ganze Zeitlang zu zweit nebeneinander lebt und plötzlich ein kleines Kind dazukommt, die Familie also um 50 Prozent anwächst, sind das schon beeindruckende Gefühle, auch eine neue Form der Liebe. Aber es traten auch Seiten hervor, die ich noch nicht kannte. Mit einem Baby ist das Leben gleichzeitig verdammt hart und ermüdend. Man hängt nicht mehr mit Freunden ab und führt plötzlich ein ziemlich einsames Leben. Zudem ging es mir persönlich schlecht, ich fühlte mich psychisch schwach und hatte mit mir zu kämpfen. Während Ruth durch das Baby an Kraft, Tapferkeit und Leidenschaft dazugewann, wurde mir bewusst, dass ich fast nichts mehr fühlte, wo ich mich doch eigentlich hätte freuen müssen. Das verwirrte und verärgerte mich umso mehr, machte mich traurig und verletzte mich. Es fällt mir schwer, das zu sagen, aber plötzlich war Ruth der wichtigste Elternteil, während ich auf der Strecke blieb. Zu dem Zeitpunkt lebten wir zwar sehr nah beieinander, hatten aber komplett verschiedene Sichtweisen auf das Leben. Dies soll „In parallel“ ausdrücken.
Oh, das ist sehr persönlich.
Brookln: Ja. Wobei unsere Songs schon immer sehr persönlich waren.
Denkst Du, dass auch die gesellschaftliche Erwartungshaltung dabei eine Rolle spielt, wo Nachkommen ja quasi mit dem Begriff „Babyglück“ gleichgesetzt werden?
Ruth: Richtig! Keiner spricht darüber!
Brookln: Genau das denke ich! Und das ist ein Problem. Natürlich ist es toll, wenn man ein Kind kriegt, während andere sich das vergeblich wünschen. Aber es wäre auch gut, wenn einem Freunde nicht nur mit Euphorie, sondern auch mit Warnungen und Ratschlägen beiseite stünden.
Zugleich hat sich Euer Leben durch das Baby ja um 180 Grad gedreht.
Ruth: Ja, alles hat sich geändert. Wenn wir die ersten sieben Jahren nicht gerade auf Tour waren, haben wir zu Hause gedanklich bereits die nächsten Konzerte geplant und fühlten uns dabei unterwegs am wohlsten. Plötzlich: keine Konzerte mehr. Stattdessen hatten wir zu Hause das, was Freunde als absolutes Glück bezeichneten, in der Wirklichkeit aber wie ein unberechenbar Balanceakt war. Erfreulicherweise hatten wir aber ein paar Freunde, die sagten, dass es mit einem Baby härter wird als wir es uns vorstellen können.
Brookln: Zufälligerweise kommen diese Freunde aus Hamburg und ich respektiere es so sehr, dass sie so ehrlich waren. Das hat aber auch dazu geführt, dass wir nun aufrichtiger über das Thema Kinder reden, wenn wir darauf angesprochen werden. Die Darstellung von Babys auf Instagram ist hingegen zutiefst unehrlich. Eigentlich ist jeder Schuld, der Instagram, facebook usw. nutzt und nur die schönen Seiten des Lebens darstellt.
Um noch mal auf die Depression zurückzukommen: denkt Ihr, dass man dieser Zeit rückblickend betrachtet auch positive Seiten abgewinnen kann, dass sie Euch vielleicht noch enger zusammengeschweißt hat?
Brookln: Ja, wir haben in dieser Zeit und auf „In parallel“ neben dem Negativen auch immer das Positive betrachtet. Alles wurde ins Extreme gepuscht: aus gut wurde großartig, und aus schlecht wurde schrecklich. Und aus schrecklich wurde unerträglich. Ich neige von meinem Temperament eh manchmal zu Manie, insofern waren mir die Extreme bereits bekannt, aber nun schauten wir noch hinter die Extreme.
Ruth: Gleichzeitig denkt man aber, was Dich nicht umbringt, macht Dich stärker. Für uns war immer klar, dass wir nicht aufgeben, sondern durch diese Phase hindurch kommen. Wir waren so viele Jahre im Tourleben so eng beisammen, dass wir diese kritische Zeit nie in Frage stellten.
Brookln: Daran arbeiten wir nach wie vor.
Ruth: Und durch unser Kind kommunizieren wir auch ganz anders miteinander.
Brookln: Irgendwie hat das Kind auch dazu geführt, dass man sich, ähnlich wie eine Eidechse, die ihren Schwanz verloren hat, psychologisch regeneriert und neu erfinden muss, dass man sich mit der Vater- und Mutterrolle zunächst einmal arrangieren muss, bis es sich wie eine Bestätigung anfühlt.
Fühlt es sich für Euch gut an, mit RUE ROYALE wieder aktiv zu sein?
Ruth: Es fühlt sich richtig gut an, wieder auf Tour zu sein, live zu spielen. Alles ist perfekt geregelt, Babysitter unterstützen uns, das Kind ist im Bett, und wir spielen unsere Show. Gleichzeitig fühlt es sich total anders an als früher, auch weil sich unser Leben zu Hause so sehr verändert hat. Ich gehe dort nun einem geregelten Job nach…
Brookln: Kennst Du die Serie „Zurück in die Vergangenheit“? Es geht dort darum, dass ein Quantenphysiker durch Zeitsprünge in die Vergangenheit und zum Teil in andere Körper versetzt wird, um deren Leben neu zu gestalten und Tragödien zu verhindern. Manchmal fühlt sich das für mich ähnlich an. Wie spielen zwar wieder Shows, genauso wie früher, sind aber inzwischen andere Leute. Irgendwie ist das vertraut, aber gleichzeitig auch neu und aufregend.
War es auch aufregend und neu für Euch, mit Sean Carey einen dritten Musiker in Eure Band aufzunehmen?
Ruth: Sean war nicht am Songwriting beteiligt. Brookln brachte ihn mit, als wir mit dem Songwriting und der Produktion schon fast fertig waren. Er ergänzte und veränderte aber manche Passagen, und er ist ein toller Drummer.
Brookln: Einen Song, „Parallel lines“, hat Sean aber komplett verändert, hier war er definitiv ein Co-Producer. Ursprünglich ähnelte das Stück mehr „Thrown by the wind“, doch Sean strich alle Drums und Sounds und ließ den Song dadurch total anders klingen. Aber bei den übrigen Stücken spielte er nur die Drums ein oder die Sachen, die ich ihm zeigte. Er ergänzte ein paar eigene Ideen, ein paar Vocals und spielte etwas Klavier ein. Insofern war er zwar als Co-Producer tätig, aber die meisten Ideen stammen von mir. Nichtsdestotrotz war es toll, mit ihm zu arbeiten.
Könntet Ihr Euch vorstellen, die ursprüngliche Version von „Parallel lines“ als B-Seite zu veröffentlichen?
Ruth: Haben wir die Version eigentlich noch?
Brookln: Nein, das könnte ich mir nicht vorstellen. Weil die neue Version besser klingt. Ich verstehe sowieso nicht, was die Absicht von vielen Künstlern ist, verschiedene Versionen von einem Song zu veröffentlichen. Aber ich möchte auch nicht ausschließen, dass wir das irgendwann machen. Allerdings wären wir wahrscheinlich sehr selektiv. Verschiedene Versionen von den Songs gibt es jedenfalls auf meiner Festplatte.
Was hat sich in Eurem Touralltag geändert, seitdem ihr ein Kind habt?
Ruth: Unsere Tochter ist nun vier Jahre alt und nicht mehr ganz so klein. Manchmal lassen wir sie zu Hause bei meinen Eltern, aber meistens nehmen wir sie mit. Das ist gut für sie und gut für uns. Als Babysitter engagieren wir jeden, der sich anbietet: enge Freunde, Großeltern… Zum Glück ist unsere Tochter tapfer, was die Autofahrten betrifft. Aber unsere Touren sind nun nicht mehr so lang wie früher. Fünf Tage reichen aus.
Brookln: Außerdem bleiben wir nicht mehr so lange wach und trinken weniger Wein als früher.
Hat sich dadurch auch der Kontakt zu Euren Eltern vertieft?
Brookln: Der war eigentlich schon immer sehr eng.
Ruth: Aber vorher haben unsere Eltern uns nicht auf Tour begleitet.
Und was hat sich bei Euch zu Hause verändert? Nimmt Musik noch eine so bedeutende Rolle in Eurem Leben ein wie früher?
Ruth: Die Wichtigkeit der Musik hat sich nicht geändert, aber Zeit spielt inzwischen eine andere Rolle. Wir verbringen nun auch weniger Zeit zusammen. Brookln konzentriert sich mehr auf die Musik, da er der bessere Songwriter ist, während ich mich ums Haus kümmere und etwas Geld verdiene.
Brookln: Alles läuft etwas strukturierter ab, aber wir tarieren noch das Gleichgewicht aus. Ich denke inzwischen etwas geradliniger und fokussiere mich mehr auf die Kreativität. Das ist auch ein Teil meiner Genesung und der Neusortierung. Unsere Wünsche und Intentionen sind zwar dieselben geblieben, aber die Rahmenbedingungen haben sich verändert. Wir denken etwas mehr an die Zukunft, sind verantwortungsbewusster geworden und widmen auch der wirtschaftlichen Seite mehr Aufmerksamkeit als früher. Allerdings läuft das getrennt vom Songwriting-Prozess ab. Und so kamen auch mein Nebenprojekt LAMBERT & DEKKER und mein Soloalbum, das nun fast fertig ist, zustande. Es stehen außerdem noch einige andere Alben an, an denen ich mitwirke, von Ruth soll noch ein Soloalbum folgen, und außerdem arbeiten wir schon an der nächsten RUE ROYALE-Platte.
Das klingt fast so, als ob ihr musikalisch noch aktiver seid als je zuvor.
Brookln: Wir haben zwar weniger Zeit, aber nutzen diese sinnvoller als bisher. Früher habe ich mir erst ein Glas Whiskey eingeschenkt, um mich in die Stimmung fürs Songwriting zu versetzen. Nun wird ein Schalter umgelegt und zack! Los geht’s!
Lasst uns zum Abschluss noch kurz auf die Sozialen Medien zu sprechen kommen. Ihr habt kürzlich dazu aufgerufen, dass sich Eure Fans in Eure Newsletterliste eintragen. Warum?
Ruth: Es fühlt sich so an, als ob facebook seine Algorithmen geändert hat und man inzwischen dafür zahlen muss, wenn unsere Fans die News sehen sollen. Deshalb haben wir etwas oldschoolmäßig den Newsletter reaktiviert.
Brookln: Zu Beginn war myspace eine wichtige Plattform für uns. Darüber haben wir unsere ersten Konzerte organisiert und überall aus Europa in ziemlich kurzer Zeit sehr viel Feedback bekommen – als wir noch in den Staaten wohnten und lange vor unserer ersten Europa-Tour. Plötzlich wurde facebook populär und überholte myspace. Ich denke nach wie vor, dass myspace für Bands die bessere Plattform war, aber facebook war kraftvoll und funktionierte, und Einträge wurden gesehen. Das hat sich aber inzwischen geändert, und Postings werden nicht mehr wahrgenommen, selbst wenn uns Leute folgen. Das sieht man an schwindenden Likes und selteneren Kommentaren, selbst bei wichtigen Einträgen. Und das ist eine Krux, weil Konzerte schlechter besucht werden und wir weniger Geld verdienen, was wir für facebook aber bräuchten. Zukunftsfähig ist das jedenfalls nicht. Wir werden aber trotzdem in den Social Media-Kanälen bleiben, weil sie für uns wichtig sind, um unsere Realität mit den Fans auszutauschen. Aber die Mailing-Liste soll zur Verbreitung der wirklich wichtigen Infos dienen.
Wir wünschen Euch dabei viel Glück und alles Gute für die Zukunft!