Im vierten und abschließenden Teil unseres Interviews mit Maximilian Wilm geht es um die tägliche Arbeit des Sommeliers. Womit nerven ihn die Gäste, was begegnen ihm für Vorurteile in Bezug auf Wein, und welche Gäste sind ihm eigentlich die liebsten? Außerdem findet ihr hier die eine oder andere Querverbindung zur Musik – schließlich wollen wir das Hauptthema von Blueprint nicht aus den Augen verlieren. Viel Spaß beim Lesen!
Zum ersten Teil des Interviews geht es hier, für den zweiten Teil müsst ihr hier klicken, und hier findet ihr den dritten Teil.
Wie schwer ist es, den persönlichen Geschmack von der objektiven Beurteilung der Weine zu trennen?
Maximilian: Bei der privaten Beurteilung von Weinen ist der persönliche Geschmack ausschlaggebend – dabei spielt der Preis zunächst keine Rolle. Als Sommelier oder Weinkritiker muss ich aber die Qualität beurteilen und den persönlichen Gusto außer Acht lassen. Da geht es in puncto Wirtschaftlichkeit auch um das, was die Gäste wünschen, und das fließt in unser Angebot ein. Es ist wie bei der Musik: nicht jeder mag jeden Wein oder jeden Song, aber man kann über beides sprechen, diskutieren und streiten.
Stimmt! Als Musikrezensent muss man auch eine Gratwanderung zwischen den eigenen Vorlieben und der objektiven Beurteilung von Alben vornehmen.
Maximilian: Exakt! Da geht es um objektive Beurteilungen der spielerischen Qualität und der Produktion. Wahrscheinlich würdest du dir auch nicht jedes Album kaufen, bei dem du prognostizierst, dass es erfolgreich sein wird. Ähnlich ist es mit Komplexität in der Musik. Spielst du einem Laien Free Jazz vor, kriegt er Selbstmordgedanken. Musik und Wein hat schlicht und ergreifend mit Geschmack zu tun! Ähnlich ist es, wenn mir manche Gäste die Etiketten von Weinen zeigen und meine Meinung dazu hören wollen. Die gefällt ihnen oft nicht. Dabei ist Geschmack das Subjektivste, was es auf der Welt gibt. Gott sei Dank!
Um bei dem Vergleich von Wein und Musik zu bleiben: als ich in der „Weinwirtschaft Kleines Jacob“ den Sommelier einst nach einem Wein fragte, der ähnlich schmeckt wie ein Ribera del Duero, machte er mir klar, dass man Weine aus der deutschsprachigen Region gar nicht mit den Spaniern vergleichen kann. Vielleicht sollte man das ähnlich wie verschiedene Musikrichtungen betrachten?
Maximilian: Im „Kleines Jacob“ ist es ja Teil des Konzepts, dass sie nur Weine aus dem deutschsprachigen Raum ausschenken. Das wäre vergleichbar, wenn Du in die Elbphilharmonie gehst und auf ein Metal-Konzert hoffst. Man muss sich tatsächlich darauf einlassen. In der Region Ribera der Duero ist es durchschnittlich einfach fünf Grad wärmer als bei uns. Der Klimawandel wird es zwar irgendwann nötig machen, dass wir Tempranillo auch in Deutschland anbauen müssen, aber das werden wir zum Glück nicht mehr erleben. Man kann zwar nach einer ähnlichen Textur oder Geschmacksrichtung des Weines suchen, aber ich kann Dir keinen Ribera del Duero aus Deutschland servieren. Dass Weine aus verschiedenen Regionen so unterschiedlich schmecken, macht es gerade so spannend!
Ich muss gestehen, dass ich ausschließlich mit spanischen Rotweinen angefangen habe und mein Weinregal sich erst nach und nach für andere Länder geöffnet hat.
Maximilian: Ich habe in einer Zeitschrift mal darüber geschrieben, dass Weine von vorne bis hinten mit Vorurteilen behaftet sind. Es gibt so viele Gäste, die pauschal behaupten, dass deutsche Rotweine schlecht seien. Der Vergleich hinkt, wenn man bedenkt, dass die teuersten Weine der Welt aus Spätburgunder gemacht werden. Aber aus einem Spätburgunder lässt sich einfach kein dunkler, schwerer, 15% Vol. Rotwein machen. Stattdessen schimpfen manche Gäste, wenn ich einen Spätburgunder einschenke: „Das ist ja gar kein Rotwein – da kann ich ja durchgucken!“
Welche Gäste sind Dir als Sommelier eigentlich am liebsten?
Maximilian: Das kann ich nicht sagen. Ich mag Leute, die hier zum ersten Mal essen gehen und die ich an die Hand nehmen darf. Aber ich mag genauso gerne Wein-Freaks, wo ich eine Flasche nach der nächsten aufreißen darf. Natürlich macht auch das Fachsimpeln mit Gästen Spaß. Ich finde es wichtig, dass jeder dem Anderen Respekt entgegenbringt.
Und was gefällt Dir nicht?
Maximilian: Manche Gäste denken, man sei ihr Leibeigener. Zwar steckt in „Bedienung“ das Wort „dienen“, aber Respektlosigkeit und ein abwertendes Verhalten hat die gesamte Dienstleistungsbranche nicht verdient. Ich mache nun seit fast 18 Jahren Gastronomie, und man lernt, Menschen relativ schnell zu „lesen“. Wir haben in unserem Restaurant recht viele Dates – da bin ich völlig fehl am Platz. Dort bringe ich den Wein vorbei, schenke ab und an nach und lasse sie die Zeit genießen. Manchmal kommen aber auch Paare, wo sich die Mädels unterhalten und die Jungs bechern wollen. Mit denen unterhält man sich natürlich. Ein allein reisender Geschäftsmann will manchmal in Ruhe seine Börsenkurse checken oder etwas Unterhaltung haben. Es gehört in dieser Branche etwas Fingerspitzengefühl dazu.
Erkennst Du sofort einen Blender?
Maximilian: Ja. Aber meine Aufgabe ist es nicht, ihn vorzuführen. Ich klinke mich nur ein, wenn er mich fragt.
Hast Du ein Beispiel?
Maximilian: Bei einem Date hat ein Typ vor seiner Angebeteten mal unglaublich angegeben. Beim Wein-Service ist mir aufgefallen, was für einen Quatsch er erzählte. Er wollte etwas aus dem Burgund trinken, hat aber die Klassifizierung aus dem Burgund und dem Bordeaux komplett durcheinandergeworfen. Ich hätte mich normalerweise nicht eingemischt, aber er machte den Fehler, mich zu fragen: „Stimmt’s oder habe ich recht?“ Trotzdem finde ich, dass es nichts Schlimmeres gibt, als wenn der Sommelier den Oberlehrer spielt. Es ist zwar gut, Fachwissen zu haben, aber man sollte auch wissen, wann man es einsetzen muss.
Gibt es einen Wein, den du gerne mal probieren würdest, was aus finanziellen Gründen oder weil er so rar ist, nicht möglich war?
Maximilian: Wahrscheinlich hat jeder Weintrinker seine Löffelliste. Durch meinen Job konnte ich aber schon sehr viele Weine probieren, die bei vielen wahrscheinlich auf dieser Liste stünden. In Wien, in diesem größten Weinkeller Europas, hatten wir Gäste, die an einem Abend 100.000€ für Wein ausgegeben haben – entsprechend groß war das Sortiment. Viele Weine möchte man einfach mal probiert haben, ein persönlicher Favorit von mir wäre zum Beispiel der Barca Velha von Casa Ferreirinha, über den ich zuletzt viel gelesen habe. Er zählt zu den teuersten portugiesischen Rotweinen, ab 700€ aufwärts.
Hast Du noch gewisse Träume, was das Thema Wein betrifft? Schwebt Dir irgendwann ein eigener Weinberg vor?
Maximilian: Das wäre mir viel zu viel Arbeit. Mir macht Gastronomie wirklich unglaublich viel Spaß, und die Arbeit mit dem Gast scheint meine Passion zu sein. Winzer möchte ich auf gar keinen Fall werden, das ist mir viel zu anstrengend. Dem Weinberg ist es scheißegal, ob heute Sonntag ist. Für die Ausbildung zum Sommelier muss man ein Pflicht-Praktikum auf einem Weinberg machen. Es hilft natürlich, wenn man die Arbeit, die dahintersteckt, versteht. Wenn du aber eine Woche in der Steillage eines Weinbergs gearbeitet hast, weißt du, was du getan hast. Dann entscheidet man recht schnell, kein eigenes Weingut haben zu wollen. Falls ich irgendwann viel zu viel Geld haben sollte und nicht mehr arbeiten muss, kaufe ich mir vielleicht mal ein Weingut.
Hast Du abschließend noch eine schöne Geschichte vom Weinberg, um den Job des Winzers nicht allzu düster aussehen zu lassen?
Maximilian: Auf jeden Fall. Wir haben bei einem Winzer in Kalifornien einmal richtig gebechert, bis er um ein Uhr nachts sagte: „Okay, wir gehen nun ins Bett und stehen um vier wieder auf.“ Wir dachten alle: „Wir sind total besoffen, warum müssen wir denn um vier wieder aufstehen?“ Worauf er antwortete: „Weil wir um vier auf den Berg fahren, um uns den Nebel anzugucken.“ Am nächsten Morgen wussten wir, was er damit meinte: es gibt in Kalifornien ein Wetterphänomen, da sich rund um San Francisco besonders viel Nebel bildet, der wie eine Klimaanlage die Temperaturdifferenzen ausgleicht und somit den Weinbau entsprechend begünstigt. Man sah dort also vom Berg aus den Nebel in die Täler kriechen. Das war unglaublich!
Wow! Nun aber die wirklich abschließende Frage – für uns als Musikmagazin nicht ganz unwichtig: hast Du einen Weintipp in Kombination mit einem bestimmten Lieblingsalbum?
Maximilian: Ich habe befürchtet, dass diese Frage kommt (lacht). Die Marke Krug hat beispielsweise eigene Songs für ihren Champagner schreiben lassen, gelegentlich hört man auch, dass Weinberge mit Musik beschallt werden. Ich belächele so etwas aber nur. Ich höre gerne Musik, auch in der Kombination mit Wein, weil beides mit Genuss zu tun hat. Aber ob eine bestimmte Band zu einem konkreten Wein passt? In meinen Augen kann man auch einen feinen Rotwein mit Heavy Metal kombinieren, wenn es einem Spaß macht. Wo wir wieder bei meinem Credo wären: Wein muss Spaß machen, und man sollte häufiger auf sein Herz als auf seinen Kopf hören!