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SLUT – Talks of paradise

 
Als ich von einem neuen SLUT-Album erfuhr, löste dies ambivalente Gefühle in mir aus. Zum einen eine nostalgische Freude, schließlich kannte und mochte ich die Band schon verdammt lange. Sie gehörten zum Kreis der Auserwählten, die von MOTORPSYCHO für gut genug befunden wurden, um auf ihrem hauseigenen Label Stickman Records zu veröffentlichen. Ihre ersten Alben nahmen sie im NOTWIST-Umfeld in Weilheim bei Produzenten-Legende Mario Thaler auf. Als diese irgendwann vergriffen waren, wurden sie zwischenzeitlich auf diversen Plattenbörsen zu wahnwitzigen Preisen gehandelt. „Nothing will go wrong“, ihr mittlerweile viertes Album, rotierte dauerhaft auf meinem Plattenteller, zudem sah man die Ingolstädter regelmäßig auf geschmacksicheren Festivals wie dem Immergut in Neustrelitz. Es folgten Beiträge zu Soundtracks erfolgreicher Filme wie „Crazy“, die musikalische Vertonung der Dreigroschenoper am Theater in Ingolstadt, die Teilnahme an Raabs „Bundesvision Song Contest“ (der damals coolen Alternative zum verstaubten Grand Prix) und eine Zusammenarbeit mit der Autorin Julia Zeh.
Ab 2014 herrschte schließlich Funkstille, die Band zog sich zurück und konzentrierte sich auf ein Leben abseits des großen Musikbusiness: Familie, Hobbies, Nebenprojekte et cetera. Bis es ihren Gitarristen Rainer Schaller schließlich in den Fingern kribbelte, er bei Sänger und Gitarrist Christian Neuburger anrief und zum gemeinsamen Musizieren nach Athen einlud.
Aber kommen wir nun zu meinen entgegengesetzten Gefühlen: wenn nach längerer Abstinenz einer ehemals geliebten Band plötzlich wieder ein neues Album von ihr erscheint, kommt dies nur selten an die damaligen Lieblingsplatten heran. Zu oft versuchen diese Bands eine Kopie ihrer erfolgreichsten Alben zu produzieren, was oft misslingt, oder aber der eigene Musikgeschmack hat sich in der Zwischenzeit weiterentwickelt und man schafft es nicht, die Euphorie damaliger Tage wieder nachzuempfinden. Wenn dann das Bandinfo noch von einer kompletten Restaurierung des alten Bandsounds spricht, vom Verlassen ausgetretener Pfade, einem Wechsel der Instrumente (Christian spielt nun vermehrt Keyboards statt Gitarre), einem modernisierten Klangbild, kann dies durchaus in die Hose gehen.
Doch diese Umstrukturierung in Athen hat der Band tatsächlich sehr gutgetan. „Talks of paradise“ klingt nicht mehr nach dicken Gitarrenwänden, stattdessen werden Songs durch atmosphärische Sounds in ihrer Spannung aufgebaut, die fein eingewobenen Melodien entfalten erst nach und nach ihre volle Pracht. Das erinnert in der Summe ein wenig an THE NOTWIST in weniger verschachtelt, die Synthies lassen an METRONOMY erinnern und letztendlich klingen SLUT auch 2021 immer noch nach SLUT. Update 2.0 also erfolgreich umgesetzt. Der Sound insgesamt wesentlich luftiger, man hat das Gefühl, dass die einnehmenden Melodien nun noch besser zur Geltung kommen als zuvor. Dass hier Achtziger Synthies durchklingen, ohne dass die Songs kitschig wirken, dem Bass etwas mehr Geltung zugutekommt und nichts an Eingängigkeit eingebüßt wird, zeigt, dass SLUT ihre Songwritingqualitäten in der Auszeit keineswegs verlernt haben. Schon jetzt eines der Anwärter auf den Titel „Album des Jahres“.