Vier Jahre nach „All we need is silence“ veröffentlichen SLUT mit „Still no. 1“ ihr neues Album – das tatsächlich so manche Veränderung mit sich bringt und von einem Zwischenspiel SLUTs bei Brechts „Dreigroschenoper“ sicherlich nicht ganz unberührt bleibt. So erhalten auf dem Nachfolgealbum erstmals Chöre, Streicher, Klavier, Akkordeon und eine singende Säge
Einzug in die Musik der fünf Ingolstädter, und auch der Gesang zeigt sich von einer neuen, ganz selbstbewussten Seite. Eine völlige Umkehr vom bisherigen Werdegang? Das sicherlich nicht, aber über die Veränderungen im Hause SLUT und ihre neue Herangehensweise beim Songwriting konnte man dem Gitarristen und der zweiten Stimme der Band, Rainer Schaller, so manche Info entlocken. Und wie man im Nachhinein zur Teilnahme beim Bundesvision Song Contest steht auch. Lest selbst, was das nur mittelmäßig funktionierende Diktiergerät und meine nicht stenogeübte Hand im Bandbus vor ihrem Konzert im Hamburger Knust festhielt:
[F] Wie war der Akustik-Gig heute Nachmittag bei Saturn?
[A] Wir haben vor ca. 40-50 Leuten gespielt. Eigentlich war’s ganz gut, weil wir ja keine Unplugged-Helden sind.
[F] Und wie sieht eure Live-Umsetzung heute Abend aus? Werdet ihr da eine genauso opulente Instrumentierung auffahren wie auf dem neuen Album?
[A] Wir sind zwar nur fünf Musikanten, aber haben in unserem Alter jetzt wesentlich mehr Instrumentarien mitzuschleppen. Vibraphon, Akkordeon, … Die neuen Sachen spielen wir tatsächlich live ein. Wir lassen dafür bewusst Sachen weg, aber so gibt es keine zusätzlichen Einspielungen vom Band. Und man muss auch nicht mit Klick spielen.
[F] Das war aber schon mal anders…
[A] Ja, auf der „Lookbook“ waren zum Teil sehr aufwändige Songs, die anders nicht umzusetzen waren. Aber wir spielen heute Abend auch nicht ausschließlich neue Sachen.
[F] War eigentlich mit eurer Inszenierung der „Dreigroschenoper“ schon klar, wie die weiteren musikalischen Wege von SLUT aussehen werden?
[A] Wir wollten nach unserer letzten, sehr rockigen Platte [gemeint ist „All we need is silence“, Anm. d. Red.] bewusst andere Wege einschlagen. Bis zu dem Zeitpunkt hatten wir mit Mario Thaler ja nur bei einem Produzenten aufgenommen.
[F] Und dann seid ihr für die Aufnahmen zur Dreigroschenoper bei Tobias „Bandkiller“ Levin gelandet. Wie auch zuletzt THE ROBOCOP KRAUS…
[A] Hans von ROBOCOP KRAUS hat uns an Tobias Levin vermittelt, und ganz einfach ist die Arbeit mit ihm tatsächlich nicht. Dazu muss man aber auch sagen, dass die Robos mit ihm eine hervorragende Platte aufgenommen haben und er eine Menge aus ihnen herausgekitzelt hat. Levin hat uns vor den Aufnahmen für die „Dreigroschenoper“ in unserem Proberaum extrem gefordert. Wir haben zwei Wochen lang von früh bis spät gearbeitet, so wie wir es zuvor nicht kannten, an jedem Detail herumgewerkelt und im Studio die Arbeit schließlich fortgesetzt. Das war zwar sehr anstrengend, aber auch sehr produktiv. Wirklich schade war dann, dass wir statt des Albums nur eine Maxi herausbringen durften. Aber es hat unsere komplette Herangehensweise nachhaltig verändert, eben auch für die „Still no1“.
[F] Und wie seid Ihr dann bei Oliver Zülch gelandet?
[A] Die Tatsache, dass wir die Aufnahmen nicht bei Levin gemacht haben, hat weniger mit ihm zu tun, als mit der Absicht, das Bestmögliche aus den Aufnahmen herausziehen zu wollen, und letztendlich war die geplante Kooperation zwischen den beiden Produzenten doch nicht so fruchtbar wie erhofft. Gut und gut ergibt eben nicht immer gut. Oliver Zülch kannten wir bereits schon lange als Tontechniker und als Assistenten von Olaf Opal. Letztendlich war es die richtige Entscheidung, und es ist ein Album dabei herausgekommen, mit dem wir alle zufrieden sind.
[F] Wie genau lief das mit dem Verbot des Albums zur Dreigroschenoper ab? Hat euch das nach den abgeschlossenen Aufnahmen nicht sehr geärgert?
[A] Die Veröffentlichung des Albums wurde von der Weill Foundation in New York nicht erlaubt, bzw. uns sogar mit Geldstrafe gedroht. Die Songs wurden abseits des Theaters auch nur ein einziges Mal, in Dessau, live gespielt, als die ganze Angelegenheit noch in der Schwebe stand. Die Resonanz war insgesamt sehr positiv, selbst die Enkelin von Berthold Brecht konnten wir damit erreichen. Aber letztlich entschied sich die Weill Foundation gegen die komplette Veröffentlichung. Wahrscheinlich, weil Kurt Weill schon zu Lebzeiten die Umschreibungen und Variationen seiner Stücke verbat und nun nach seinem Vermächtnis gehandelt wird. Fünf Songs wurden uns am Ende erlaubt. Vielleicht haben sie sich die Songs angehört und gedacht, dass sie doch ganz interessant klingen. Das war zwar am Anfang sehr ärgerlich für uns, aber die Frustration hat sich dann ganz schnell in positive Energie umgewandelt. Der Schlussstrich hat uns am Ende vielleicht auch ganz gut getan, weil es somit wieder ausschließlich um uns und unsere Musik ging.
[F] Ein Freund von mir findet, dass euer neues Album nach Operette klingt. War das gewollt, seht ihr das selbst auch so? Oder sind Veränderung nötig, um Stillstand zu vermeiden?
[A] Nein, nach Operette soll es nicht klingen. Dann schon eher nach Oper. Aber eigentlich auch nicht. Auf alle Fälle sollte es eine große Platte werden. Stillstand wollten wir schon immer vermeiden, weil Wiederholung in unseren Augen keinen Sinn macht.
[F] Wie schwierig ist bei einer so vielfältigen Musik da die Konsensfindung?
[A] Schon schwierig. Gerade wenn man versucht, etwas durchzusetzen. Es gibt bei uns auch einige Songs, die schon seit Jahren auf Halde liegen und eigentlich die perfekten Radiohits sind, wo aber die Mehrheit dagegen ist.
[F] Wie lange wart ihr jetzt im Studio?
[A] Sechs Wochen.
[F] Oh, das ist aber nicht lange für ein so vielschichtiges Album!
[A] Nein, für unsere Verhältnisse nicht. Mit der „Lookbook“ waren wir 80 Tage im Studio. Wir machen inzwischen vorher schon viele Aufnahmen zu Hause und sind mittlerweile auch geübt genug, um nicht jeden Orchesterpart vorher kontrollhören zu müssen. Tobias Levin hat uns drauf gebracht, dass ein Song nur mit Akustikgitarre und Gesang spielbar sein muss. So standen alle Lieder schon vorher und es wurde letztlich nur oben drauf gepackt, um es möglichst vielfältig und spannend zu halten.
[F] Habt ihr Sorgen, ob die Fans den mit jedem Album neu eingeschlagenen Weg mitgehen werden?
[A] Die Veränderungen sind letztlich ja nicht so gravierend, dass wir da ernsthaft drum bangen. Wenn eine Tour dann aber bereits im Vorfeld ausverkauft ist, so wie die ersten Konzerte jetzt, bestätigt und erfreut uns das aber natürlich schon. OK, „Still no. 1“ ist nicht mehr so rockig wie das Material der letzten Albums, aber letztendlich ist es auch reizvoll, mit seinen Fans einen Weg zu gehen und ihnen auch mal vor den Kopf zu stoßen als immer nur die gleichen Sachen zu machen. Bei mir selber stelle ich fest, dass mir die Bands am besten und vor allem nachhaltig gefallen, die nicht gleich auf Anhieb zusagen.
[F] Welche Alben konnten dich denn zuletzt richtig begeistern?
[A] (überlegt lange) Schwierige Platten. Zum Beispiel ANIMAL COLLECTIVE und vielleicht auch die neue RADIOHEAD. Zuerst war ich enttäuscht, aber nun gefällt sie mir doch.
[F] Hast Du sie direkt von der Band bestellt?
[A] Mhm.
[F] Was denkst Du, wie wichtig bei aller Veränderung der Gesang als gemeinsamer Nenner ist?
[A] Der Gesang hat eine immense Bedeutung, weil der Text ja auch so etwas wie ein Bindeglied ist, der die Leute im besten Fall direkt anspricht. Neben der Musik. Zwar hat sich der Gesang bei uns ebenfalls weiterentwickelt, aber die Stimme ist die gleiche geblieben.
[F] Könnte es sein, dass SLUT irgendwann wieder richtig losrocken?
[A] Mit Sicherheit. Wir schließen gar nichts aus. Unser Plan ist auch, nicht mehr viel Zeit verstreichen zu lassen, um neue Songs zu machen. Wir haben eh noch Lieder von der aktuellen Platte weggelassen, die wir noch ausarbeiten und bestenfalls im Herbst veröffentlichen wollen. Grund dafür ist auch die neue Bandenergie, die wir in Berlin bei Oliver erfahren haben. Wir ziehen alle an einem Seil und haben wieder ein klares Ziel vor Augen.
[F] Zwischen den letzten beiden Alben lagen ja hingegen ganze vier Jahre. Hing das mit dem Dreigroschenoper-Intermemezzo zusammen, oder hat das Songwriting tatsächlich so viel Zeit in Anspruch genommen?
[A] Das ganze Projekt mit der Dreigroschenoper hat uns weit über ein Jahr gekostet, und auch einige private Gründe, Nachwuchs und Beruf, waren dafür ausschlaggebend.
[F] Geht Ihr denn noch geregelten Berufen nach?
[A] Ja schon, aber eine Quintessenz von uns ist, dass wir uns alle vorrangig als Musiker sehen. Es war ein langer Prozess, wo man hin und her gerissen ist, ob es klappt, und wo man sich eigentlich noch in einem anderen Beruf sieht. Es zerreißt einen auch persönlich und verhindert, sich hundertprozentig auf die Musik einlassen zu können, wenn man sich selbst nicht eingestehen mag und verbirgt, was man eigentlich ist. Ist man Musiker, oder übt man eher einen anderen Beruf aus? Man schüttelt die Songs ja nicht so einfach aus dem Ärmel, auch wenn es gern so dargestellt wird.
[F] Auf eurer Homepage habt ihr für die einzelnen Konzerte Trompeter für „Say yes to everything“ gesucht. Eine nette Interaktion mit dem Publikum…
[A] Wir wollten in jeder Stadt ein, zwei Trompeter dabeihaben. Das hat, mit Ausnahme von gestern in Österreich, immer geklappt. Es war ganz toll, zu merken, dass es den Leuten Spaß macht und dass sie mit uns nervös sind.
[F] Wurdet ihr zuletzt schon häufiger mit KANTE verglichen, was die musikalische Entwicklung angeht?
[A] Nein, noch gar nicht. Meinst du die Instrumentierung? Ich mag die Platte auch sehr gerne, selbst wenn ich sie nicht oft gehört habe. Vielleicht ähneln wir uns von der Denke, und dass wir uns gewissermaßen von den Erwartungen an uns freimachen. Wir haben sie auf Festivals schon häufiger getroffen, und mögen sie als Menschen auch sehr gerne. Es herrscht zwar kein enger Kontakt, aber ein sehr respektvoller Umgang, wo jeder den anderen schätzt. Eine andere Kategorie von Fans.
[F] In Kürze steht ja wieder der Bundesvision Song Contest an. Verfolgt Ihr das nach eurer Teilnahme vor drei Jahren noch?
[A] Nein. Nicht, weil wir beleidigt sind, sondern weil wir nur selten fernsehen. Privatfernsehen am allerwenigsten. Es war damals aber ganz interessant, mal hinter die Kulissen zu gucken und bestimmt auch ein gut gemeinter Ansatz der Raab Produktionsfirma. Dort sind viele Leute mit einem guten Musikgeschmack, und wir fühlten uns dementsprechend geehrt, von ihnen eingeladen worden zu sein. Wir hätten es aber niemals akzeptiert, wenn unser Label uns dort eingekauft hätte.
Andererseits ist es etwas enttäuschend, wenn man mitkriegt, wie auch dort geschoben wird, und dass Bands für ein Bundesland antreten, aus dem sie gar nicht kommen.
[F] Die letzte Frage: Wie steht’s eigentlich mit SLUT im Ausland?
[A] Österreich und Schweiz ist seit langem interessant für uns, wir haben vor vielen Jahren auch mal eine Skandinavien-Tour gemacht, die ebenfalls super war. Und tatsächlich ist das Ausland für uns das Projekt der Zukunft. Wir wollen nicht hier in die Charts, sondern als Freunde neue Länder erkunden und erobern. So langsam häufen sich hier die Clubs, in denen wir schon waren, und man braucht ja ständig einen neuen Antrieb und Ziele, die man erreichen möchte. Und da das bei uns kein Nummer 1 Hit ist, ist das die logische Konsequenz.
Okay, womit wir auch die Frage nach dem Albumtitel erfreulich abgehandelt hätten…
http://www.slut-music.de/
http://www.myspace.com/slut