Man kann wohl ruhigen Gewissens von zwei hochkarätigen Bands sprechen, die sich hier gemeinsam auf Europareise begeben haben: Zum einen SAMIAM, die zweifelsohne zu den Pionieren des emotionalen Hardcores gehören und unzählige Songs im Repertoire haben, die das Prädikat "Klassiker" verdient haben. Zum anderen die sehr populären Post-Hardcoreler THE CASTING OUT, die leider vor wenigen Wochen aufgrund der Reaktivierung von Sänger Nathan Grays vorheriger Band BOYSETSFIRE ihre (zumindest vorübergehende) Auflösung bekannt gegeben haben und somit quasi auf Abschiedstour waren. Weshalb sich letztendlich trotzdem nur geschätzte 350 Leute ins gut und gerne doppelt soviel Zuschauer fassende Grünspan verirrt haben, bleibt wohl das Geheimnis derer, die an diesem nasskalten Oktoberabend zu Hause geblieben sind…
Die Anwesenden kamen jedoch zunächst in den Genuss der mir bis dato unbekannten A DEATH IN THE FAMILY aus Melbourne. Die Australier haben mit Sicherheit die eine oder andere LEATHERFACE- und HOT WATER MUSIC-Scheibe zuhause im Schrank stehen und hauten emotionalen Punkrock mit entsprechend rauem Gesang raus. Eigentlich machten sie ihre Sache auch ganz gut, doch irgendwie mangelte es den meisten ihrer überwiegend im Midtempo-Bereich angesiedelten Songs ein wenig an Spritzigkeit und so wirkte ihr halbstündiger Support-Slot gegen Ende hin doch ein wenig zäh.
Mangelnden Drive kann man THE CASTING OUT dagegen bekanntermaßen nicht unterstellen, ganz im Gegenteil! Rampensau Nathan Gray sprang mal wieder wie von der Tarantel gestochen über die Bühne, geizte nicht mit theatralischen Gesten und wirkte auch sonst ungemein dynamisch. Das Set war eine recht ausgewogene Mischung von Songs des ersten Albums ("Dial 9-1… and wait", "Walk away", "Lullaby", "Don´t forget to breathe" etc.) und Material des neuen Longplayers ("Say it", "The power & the glory", "Everybody down", "Wait"…), während von der allerersten EP lediglich die Halbballade "Alone" zum Besten gegeben wurde. Auffällig war, dass einige überwiegend junge und weibliche Gäste anscheinend nur wegen der Truppe aus Delaware ins Grünspan gekommen sind und durch euphorisches Dauertanzen und schrille Jubelschreie auffielen. Nachdem THE CASTING OUT mit "Heaven knows" ihren Auftritt beendet hatten, wurden auch noch die Drumsticks als Souvenir eingefordert und die jungen Damen aus der ersten Reihe wurden fortan (zumindest im vorderen Bereich des Ladens) nicht mehr gesichtet.
Bei SAMIAM bildete sich dagegen binnen kürzester Zeit ein stets größer werdender Pogo-Mob vor der Bühne, und auch das Durchschnittsalter der vorderen Zuhörerreihen stieg merklich an. Als Teenieschwarm hätten vor allem der glatzköpfige und mit dem dezenten Ansatz eines Wohlstandsbäuchleins gesegnete Sänger Jason Beebout sowie der im lupenreinen 70er Jahre-Look (imposanter Oberlippenbart, Leinenturnschuhe, Röhrenjeans und Vintage-Shirt aus Polyester) angetretene Gitarrist Sean Kennerly allerdings auch nicht gerade getaugt… Die Stärke der Band liegt eher in der Musik, und die ist bekanntlich über jeden Zweifel erhaben. Erwartungsgemäß wurden überwiegend Songs ihrer beiden erfolgreichsten Alben "Astray" und "Clumsy" sowie des letzten Studiowerks "Whatever´s got you down" gespielt, erst gegen Ende des Auftrittes fanden noch Stücke wie "Factory", "She found you" oder "Clean" den Weg ins Programm. SAMIAM waren sichtlich gut drauf und konnten ihre Fans scheinbar mühelos mitreißen – selten habe ich erlebt, dass ein Publikum so inbrünstig und überzeugt Texte mitgesungen hat. Und wenn man, so wie ich, noch zwei Tage nach dem Konzert einen Ohrwurm von dem Song "Capsized" hat, dann kann man sicherlich ohne Übertreibung behaupten, dass dieses Konzert einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat.