Am 13. Mai 2007 spielte auf, im Uebel & Gefährlich in Hamburg: Nils Koppruch, ehemaliger Frontmann der Hamburger Band FINK, im Rahmen seiner ersten Solo-Tour, um sein Album "Den Teufel tun" vorzustellen. Dabei bot das Programm, belebt von Gastauftritten und literarischen Leckerhäppchen, Nils selbst natürlich, der nicht nur neue Stücke spielte, sondern sich auch aus alten FINK-Sachen und anderen Einflüssen bediente, einiges an Unterhaltung. Das Konzert fand statt in und vor schwarz-weißer Papp-Kulisse, die verworren, verspielt, trügerisch und vor allem unvoreingenommen vieles über Nils und sein noch ziemlich frisches Solo-Projekt verriet. Weniger assoziativ, aber dafür umso einnehmender, verlief das Interview mit dem Nun-nicht-mehr-FINK-Mann, in dem Vergangenes, Beginnendes, Traumhaftes und Visionäres zur Sprache kamen.
[F] Wie ist die Tour bis jetzt verlaufen?
[A] Wir sind noch am Experimentieren, wie das Konzert werden wird. Es ist jetzt jeden Abend anders gewesen, also war eigentlich an jedem Abend das erste Konzert. Heute ist auch wieder sehr besonders, weil wir sehr viele Gäste auf der Bühne haben und dieses Ganze mit den Kulissen da machen.
Ein Typ kommt und fragt: „Wann wollt ihr essen?“
Nils: „Ach du, kannste das nicht eben mit Timo besprechen? Der soll auch nicht zu mir kommen und mich wieder fragen…!“
[F] Es sind ja ziemlich viele Leute dabei, die schon bei FINK mitgemacht haben…
[A] Naja, auf der Bühne sind wir im Prinzip nur zu dritt. Christoph Kehler hat bei FINK getrommelt, nach der "Haiku Ambulanz"-Tour und für die "Bam bam bam"-Platte, und Lars Petzel, der Bassspieler, hat auf der ersten FINK-Platte Bass gespielt, war aber nie mit auf der Bühne. Sie haben – oder hatten – was mit FINK zu tun, aber das ist jetzt kein neues oder ein anderes FINK, was wir da machen.
[F] Auf der CD haben ja auch einige ehemalige Mitglieder mitgespielt.
[A] Ecki Heinz hat viel mit FINK gemacht, war aber nie wirkliches Bandmitglied, war immer ein Dauergast. So sind ein paar Leute dabei. Und, naja, von welcher FINK-Besetzung reden wir?
[F] Ja, die Besetzung hat da wirklich oft gewechselt.
[A] Das ist auch ein Auslöser dafür gewesen, dass ich nicht mehr weitermachen wollte. Es wird immer schwieriger, wenn man den Anspruch hat, eine Band zu sein, also auch Band-Arbeit zu machen, gemeinsam etwas zu entwickeln, gemeinsam eine "Vision" zu haben und sich als Band zu definieren. Das wird immer schwieriger, je häufiger die Wechsel sind. Es hätte jetzt wieder eine Neubesetzung gegeben bei FINK. Das war dann der Moment für mich, wo ich gesagt habe: "Das möchte ich nicht mehr." Denn wenn ich mich hinstelle und sage: "Hallo, wir sind FINK!" – Von welchem FINK spreche ich dann eigentlich? Dann meine ich natürlich die Band, die es seit 1997 gibt, aber auf der Bühne stehen vielleicht Leute, die erst seit gestern dabei sind. Wenn es dieselbe Besetzung von der letzten Platte gewesen wäre, dann hätte es sicherlich eine neue FINK-Platte gegeben.
[F] Also warst du sozusagen der Initiator zur Trennung?
[A] Es gab gar keine richtige Trennung. Wir sind nach der letzten Tour auseinander gegangen, und es war tatsächlich so wie man sagt: Die Band hat sich irgendwie aufgelöst. Alle waren plötzlich weg und so ein bisschen aus dem Blickfeld. Viele haben noch eigene Projekte bzw. andere Bands, und dann war klar, dass Andreas nicht mehr mitmachen würde. Ich habe einfach nicht versucht, alles wieder neu zu starten. Das ist eigentlich alles. Ich bin in den letzten Jahren da eh so sehr der Motor gewesen, und das hat mir keinen Spaß mehr gemacht. Aber es waren jetzt fast zehn Jahre, und dann ist es ja auch mal genug, oder?
[F] Ja, und Ihr habt tolle Musik gemacht!
[A] Ja, wir haben tolle Musik gemacht! Und alle Besetzungen waren auch toll. Es gab mal eine Zwischenbesetzung, als Ecki Heinz dann tatsächlich mal eine Tour mitgefahren hat. Jens Mertens, der auch mit auf der Platte ist, hat Bass gespielt, und Andreas hat Gitarre gespielt. Das waren alles total tolle Besetzungen. Aber irgendwann wird es eben schwierig zu sagen, wir definieren uns gemeinsam als Band und streiten möglicherweise auch darüber, was wir eigentlich machen wollen. Das hört irgendwann auf, wenn die Leute so viele Nebenprojekte haben und sich immer mehr nach denen richten. Ich war am Ende der Einzige, der kein Nebenprojekt hatte.
[F] Und wie ist es jetzt – alleine?
[A] Im Moment ist es anstrengend. Die Produktion gar nicht, also die Platte aufzunehmen und die Songs zu schreiben. Da habe ich auch mit Leuten zusammen gearbeitet, was extrem einfach und entspannt war, weil es die ganzen "bandpolitischen" Sachen nicht gab. Zum Beispiel hatte ich jetzt die Idee, möglichst wenig Schlagzeug zu verwenden. In der Band fühlt sich dann gleich jemand überflüssig – darüber brauche ich mir keine Gedanken zu machen. Die Arbeit war einfach und total schön, und die Leute, die mitgearbeitet haben, waren alle sehr dabei. Jetzt auf Tour merke ich schon, dass es anstrengend ist, alleine zu arbeiten.
[F] Du bist jetzt der erste Ansprechpartner, alle kommen zu DIR…
[A] Mir wäre es eigentlich schon lieber, wenn ich mich mehr auf meine Show konzentrieren könnte, als den Kram zu machen, den ich im Moment mache. Ich bin jemand, der gerne viel macht, aber im Moment ist es echt anstrengend.
[F] Hast du überhaupt noch Zeit für dich? Hast du noch Freizeit?
[A] Naja, das ist alles meine Zeit, das ist alles nur für mich. Ich hab da keine Trennung von Hobby und Privatleben – nee, Beruf und Privatleben… Man kann das ganz bescheuert sagen: Ich verwirkliche meine Träume. Wir haben jetzt ein Video gedreht zu "Den Teufel tun", mit den Kulissen von Torsten Passfeld. Die Idee zu dem Song hatte ich, weil ich sowas ähnliches geträumt habe. Neulich dachte ich: Jetzt hab ich schon den Song geschrieben und visualisiere das auch noch, also im Prinzip verwirkliche ich ja meine Träume… Trotzdem ist es anstrengend.
[F] "Den Teufel tun" – Warum hast du deine Platte so genannt? Gefiel dir einfach der Song am besten oder ist das so ein Motto von dir?
[A] Nee, das ist kein Lebensmotto von mir. Aber der Song, seine Aussage, ist wichtig gewesen. Als dann klar war, dass ich nicht mehr mit FINK weitermachen würde, entstand natürlich die Frage: Wie mache ich denn weiter? Und: Will ich eigentlich in diesem Business weitermachen, das ich eigentlich total zum Kotzen finde? Das ganze Drumherum, das dazu gehört, um eine Platte zu machen und auf Tour zu gehen, das sind alles Sachen, die keinen Spaß machen.
[F] Interviews geben auch?
[A] Nee, nicht Interviews geben. Sondern Sachen wie eine Plattenfirma suchen, feilschen um Geld, eine Booking-Agentur suchen – da muss jemand wie ich, der eher spezielle Musik macht, plötzlich konkurrieren um Plätze in den Zeitungen und Plätze im Fernsehen, mit Leuten, die Budgets haben, die sich quasi sowas kaufen können. Mittendrin bewege ich mich und versuche, mich irgendwie über Wasser zu halten und zu paddeln und was auf die Bühne zu stellen. Das alles muss ich alleine machen, weil ich keine Leute habe, die das für mich machen, weil meine Musik nicht so kommerziell erfolgreich genug ist. Darum habe ich mich echt gefragt, ob ich das noch mal will. Ich kann ja auch Songs schreiben, ohne sie zu veröffentlichen. Die kann ich dann meinen Freunden vorspielen oder mir zu Hause selber vorsingen, wenn ich traurig bin. Es war also für mich nicht selbstverständlich, dass ich wieder in dieses Haifischbecken reingehe und mitmache. Naja, das hat ein bisschen mit "Den Teufel tun" zu tun. Dass ich mir sage, ich werde den Teufel tun, ich gebe noch nicht auf, ich werde noch ein bisschen weitermachen.
[F] Was heißt es also für dich, wenn du den Teufel tust?
[A] Ich versuche den Teufel. Normalerweise ist es ja eine Redewendung – ich mache etwas nicht. Bevor ich das und das mache, werde ich den Teufel tun. Der Satz hatte aber beim Schreiben der Songs noch eine andere Dimension. Ich habe gedacht: "Wenn ich den Teufel tue, was heißt das denn eigentlich? Wie tut man den Teufel?" Man fordert den Teufel heraus. Das bedeutet, ein Risiko einzugehen und eine Herausforderung anzunehmen und nicht einfach zu kneifen. Wenn jemand den Teufel tut, bevor er etwas anderes macht, dann muss er also eine Menge Mut haben.
[F] Also kann man dich auch als mutig betrachten?
[A] Das sind ja alles Songtexte. Das ist vielleicht Poesie. Das ist eine Idee. Ich habe eben gesagt: "Ok, ich mache das jetzt, auch den ganzen Kram, den ich eigentlich nicht mag. Ich will auf die Bühne und lasse mich noch mal auf das ganze Spektakel ein, ich nehme es an. Das ist wirklich das, was ich machen will." Es geht mir nicht darum, mit meinen Kumpels rumzufahren und mich jeden Abend zu besaufen. Ich möchte tatsächlich Songs schreiben und aufnehmen und vorführen. Das ist mein Weg, bestimmte Sachen sehr konkret auszudrücken.
[F] Wie entstehen deine Songs denn? Denkst du dir einfach: "Ach, das klingt gut!" Und schreibst das dann auf?
[A] Nein. Da ist kein Wort und kein Ton zufällig. Das war auch bei FINK nicht so. Viele Leute sagen ja, es wäre kryptisch, was ich da schreibe und verstehen es nicht. Aber für mich ist es die konkreteste Art. Es ist schwierig, weil es eine Reduktion ist. Aber konkret zu sein, bedeutet ja, etwas auf das Wesentliche zu reduzieren. Viele Leute haben auch gesagt, es wäre Alltagslyrik. Es ist überhaupt keine Alltagslyrik! Es ist eine Kunstform, die aus einer Idee entsteht. Ich sage das mal an einem Beispiel: Ich habe ungefähr fünf Sätze gebraucht, um dir diese Idee vom Teufel tun zu erklären. Dieser Song hat aber nur drei, vier Strophen. Das, was ich jetzt versucht habe zu erklären, habe ich auch im Song schon versucht zu erklären, und es ist da wesentlich kürzer gewesen.
Das Schreiben der Songs war für mich auch eine Neupositionierung: Was will ich eigentlich genau von Musik? Warum mache ich das eigentlich? Man gräbt so in sich herum und findet angenehme und unangenehme Sachen. Und wenn man nicht die Augen verschließt, weder vor dem einen noch vor dem anderen, dann muss man was daraus machen. Ich habe die Idee, zeitlose Sachen zu machen, möglichst universell, die jeder verstehen kann und die auch noch in 15 Jahren funktionieren – oder in 50 Jahren am besten – und die auch schon vor 50 Jahren funktioniert hätten. Ich glaube, das geben die Sachen auch her, weil sie einerseits so simpel sind und andererseits auch "Widerhaken" haben. "Den Teufel tun" kennt ja jeder als Ausdruck. Wenn man das bei mir liest oder hört, kann man sich aber auch fragen: "Was meint der denn jetzt damit?" Außerdem wollte ich Sachen machen, die man gebrauchen kann.
[F] Was meinst du damit?
[A] Irgendwann haben die Leute angefangen, Musik zu machen und zu singen. Das muss ja Gründe gehabt haben. Der Sänger fuhr von Dorf zu Dorf und verbreitete Nachrichten, oder die Leute machten sich Mut durch Singen. Wie die Leute in diesem "Quo vadis"-Film. Die sitzen im Kerker und sollen verbrannt werden und singen alle. Oder das Schiff fährt raus – bei "Moby Dick" – und die Frauen stehen am Kai und singen. Und die Seemänner singen bei der Arbeit. Da hat das Singen eine Funktion. Die Idee oder die Frage "Was sollten Songs, warum gibt es Lieder, wofür gibt es heute noch Musik?" schwamm immer mit. Am konkretesten kann man es bei "Komm küssen" sehen, aber auch bei Liedern wie "Noch nichts ist verloren". Manche Stücke sind auch einfach wie ein Rätsel oder wie Unterhaltung – was ja auch eine Funktion ist. Warum es heute noch Musik gibt, hat wahrscheinlich ähnliche Gründe wie früher, es gibt sie auch, damit die Leute tanzen können und damit die Leute getröstet werden. Aber vordergründig ist Musik zur Ware geworden, und die Wertschätzung von Musik wird immer geringer. Ich habe auch einen Ipod, aber ich lade mir deshalb nichts aus dem Internet runter. Der Künstler will mir doch irgendwas sagen, jedenfalls gehe ich davon aus. Das Cover ist auf eine bestimmte Art gestaltet, die Auswahl der Songs ist nicht zufällig. Das heißt, er muss sich Gedanken gemacht haben, und bestenfalls nicht nur kommerzielle. Aber die Leute wollen heute viel Musik, die sie sammeln können wie Steine am Strand. Dabei geht es gar nicht mehr um den einzelnen Song, der dadurch entwertet wird. Die Leute haben nicht mehr das Bewusstsein dafür, dass hinter so einer Platte wie meiner über ein Jahr Arbeit steckt – und auch Geld, mit dem ein Künstler natürlich ein Risiko eingeht.
[F] Das Risiko gehst du jetzt ein?
[A] Natürlich. Das sind wir auch mit FINK eingegangen.
[F] Die Platte ist insgesamt recht leise. Ist sie für dich sowas wie ein vorsichtiger Schritt auf neues Terrain?
[A] Zu den ganzen Gründen, die ich schon genannt habe, kam noch hinzu, dass wir die Platten "Bam bam bam" und "Haiku Ambulanz" in einem Zeitraum von immerhin vier Jahren gemacht haben. Wir haben uns also ziemlich lange mit der Musik beschäftigt, wie wir sie da gemacht haben. Ich wollte mich einfach mal etwas Ruhigerem und Introvertierterem widmen. Und ich wollte auch, weil ich das jetzt alleine mache, dass die Musik möglichst rudimentär ist, dass man durchgucken kann. Es gibt da kein Gemogel und Geschummel, man hört genau das, was drin ist. Dann kam noch die Idee hinzu, dass diese ganzen digitalen Dinger eines Tages auf dem Schrott landen. Meinetwegen – ganz abstrakt: Vulkane brechen aus, es gibt keinen Strom mehr. So. Dann kann man meine Songs mit den einfachsten Mitteln reproduzieren und weitergeben. Mit elektronischer Musik geht sowas nicht. Die verschwindet dann einfach.[/A]
[F] Aber der Strom wird nicht ausfallen.
[A] Warten wir’s ab…
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