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RENTOKILL – Das Herz am linken Fleck

Als die Blueprint-Chefetage einst gönnerhaft die regelmäßige Vergabeliste mit Promo-CDs rumschickte, um ihre Schreibsklaven zu beschäftigen und bei Laune zu halten, wusste sie wohl noch nicht, was für eine Perle sie soeben vor die Säue geworfen hatte. Denn hinter dem auf besagter Liste feilgebotenen Album „AntiChorus“ der Wiener Band RENTOKILL verbirgt sich für mich definitiv einer DER Abräumer des Jahres, wie man bereits dem von mir verfassten Review entnehmen konnte. Eine derart explosive Mischung aus schnellen, harten Punkrockriffs, eingängigen Melodien und mitreißenden Sing-A-Longs hatte ich schon lange bei keiner europäischen Band mehr gehört. Und da die Österreicher auch textlich das Herz am linken Fleck haben, war mir schnell klar, dass ich Sänger Jack mit ein paar Fragen löchern muss. Also, here we go…

[F] Euer großartiges Album „AntiChorus“ war eine ziemliche Überraschung für mich, denn ehrlich gesagt hatte ich bis dahin noch nichts von euch gehört, obwohl ihr schon seit über zehn Jahren existiert. Wart ihr vor RENTOKILL bereits in anderen Bands aktiv? Gebt doch bitte den Lesern unseres kleinen Online-Fanzines einen kurzen Überblick über euer bisheriges Schaffen!
[A] Also erstmal danke für das Lob! RENTOKILL existiert tatsächlich schon seit über zehn Jahren, war aber in der Anfangsphase nicht besonders aktiv. Wir mussten schließlich mal lernen, unsere Instrumente zu spielen, und im Alter von 18 Jahren hat man viel Blödsinn im Kopf. Da sind wir einfach zuviel auf unseren Ärschen gesessen, um nennenswerte Fortschritte zu erzielen.
Als unser Schlagzeuger und ich schließlich 2003 sagten „ganz oder gar nicht“ haben die anderen zwei prompt die Band verlassen, und mit zwei neuen Mitgliedern auf Gitarre und Bass fanden wir unser aktuelles Line-Up. Sozusagen könnte man „Rentokill davor“ als die Band betrachten, in der wir vorher gespielt hatten.
Ab 2003 gab’s neue Songs, ein Jahr später das erste volle Album, und inzwischen um die 250 Konzerte in den letzten vier Jahren.

[F] Gehe ich recht in der Annahme, dass euer Bandname in Anlehnung an die Schädlingsbekämpfungsfirma „Rentokil“ entstanden ist?
[A] Nun, äh … ja.

[F] Live seid ihr in den letzten Jahren ziemlich viel herumgekommen. In welche Länder hat es euch bereits verschlagen?
[A] Wir begannen uns 2003 langsam hinauszutasten in die Nachbarländer, hatten einzelne Gigs in Deutschland, Ungarn, Italien. Alles entweder in ’nem PKW oder Bussen, die wir uns von Freunden ausborgten. Also mühsam und kostspielig. Anfang 2005 stand dann die erste selbstgebuchte Tour in Großbritannien am Plan, mit Shows auch in Belgien und Holland. Da haben wir uns schließlich einen eigenen Bus besorgt, und das erste Mal 20 Konzerte mit 9000 km gemacht, eine lohnende Erfahrung. Es folgten Schweiz, Tschechien, Slowenien, Kroatien, Frankreich, und 2007 schließlich Spanien und Portugal.

[F] Während die Vinyl-Version von „AntiChorus“, wie schon euer erstes Album, auf dem österreichischen Label Broken Heart Records veröffentlicht wird, erscheint die CD-Version des Albums auf dem italienischen Label Rude Records. Letzteres ist normalerweise eher für Poppunk-Veröffentlichungen bekannt. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Rude Records?
[A] Nun, wir haben Promo-CDs an ca. 80 Labels weltweit verschickt, davon ungefähr die Hälfte in Europa. Von den positiven Antworten waren Rude Records jenes Label mit dem besten Angebot bzw. der besten Verhandlungsbasis. Es ist schwierig, eine derart weitreichende Entscheidung zu treffen, vor allem, wenn man die andere Seite nicht mal persönlich kennt, aber wir haben in weiterer Folge viel telefoniert, und Rude hat auf unsere Ideen und Forderungen sehr positiv reagiert. Gerade Broken Heart war auf unserer Wunschliste für die Vinyl-Veröffentlichung, weiter wollten wir außerhalb Europas völlig freie Hand haben für das Release, und das war schon mal eine gute Ausgangsbasis für weitere Gespräche.

[F] Euer Album schlägt die musikalische Brücke zwischen melodischem Punkrock und Hardcore. Ein wenig aus dem Rahmen fällt dabei meiner Meinung nach der Song „Primetime killers“, der auch von einer Streetpunk-Band stammen könnte. Wo seht ihr selber eure musikalischen Einflüsse?
[A] Also, die vorrangigen Einflüsse liegen doch eindeutig im Punk/Hardcore-Bereich, vor allem dem der späten Neunziger und danach. Selbst wenn wir viel Oldschool HC hören, hat das weniger Einfluss auf unsere Musik, denke ich. Es hat jeder von uns so seine bestimmten Phasen und Vorlieben, da kommen schon verschiedene Sachen mit rein, und jedesmal, wenn ich das Gefühl habe, es würde sich eine „Richtung“ herauskristallisieren, gibt’s erst wieder eine Überraschung. „Primetime killers“ war so ein Fall, da kam unser Drummer mit dem Beat, auf den der Song aufgebaut hat, der sonst so vermutlich nicht entstanden wäre.
Ich denke, jeder von uns hat so seine Ideen und Vorstellungen, und unter’m Strich kann man dann ohnehin nur zusehen, was sich ergibt. Wir waren nie eine Band, in der einer die gesamte Musik schreibt und den anderen raufdrückt. Vermutlich spielen wir dafür nicht gut genug.

[F] Auf eurer Myspace-Seite gebt ihr, wie auf dieser Plattform üblich, eine ganze Reihe von Bands an, die euch in irgendeiner Weise geprägt haben. Darunter fallen auch die Bands SLIME oder …BUT ALIVE, die ja als Meilensteine der deutschsprachigen, politischen Punkmusik gelten. War es für euch jemals ein Thema, auf Deutsch zu singen?
[A] Eigentlich nicht. Es gab zwar kurz mal ’ne Diskussion über den einen oder anderen Song auf Deutsch, nachdem Vitaminepillen Records das vorgeschlagen hatte (Anm.: Vitaminepillen hatte 2005 das erste Album „Back to convenience“ in Deutschland re-released). Das wäre quasi notwendig gewesen, um einen Song auf einem der klassischen Deutschpunk-Sampler zu platzieren, und das kann’s ja auch nicht sein, haben wir uns damals gesagt.
Die englische Sprache reizt mich einfach mehr, das gilt übrigens genauso für Spanisch, aber das kann ich nun mal nicht gut genug, um Texte zu schreiben. Unterm Strich geht’s aber vermutlich auch darum, dass die meiste Musik, die uns inspiriert – oder auch inspiriert hat – in Englisch ist. Das macht schon was aus, denke ich.
Ich spiele noch in einer Hobby-Band – namentlich FAMILIE RUPPERT, und deren Texte sind auf Deutsch. Das macht auch super Spaß, aber die Frage hat sich für RENTOKILL nie ernsthaft gestellt.

[F] Eure Texte sind ja definitiv sehr politisch. Hattet ihr bereits vor der Band einen politischen Background, so dass von Anfang an klar war, dass ihr eure Texte als politisches Sprachrohr benutzt?
[A] Politischen Background gab’s schon vor der Band, ja, aber als ausschließliches „Sprachrohr“ war das wohl nicht geplant. Im Gegenteil, anfangs gab es sehr wohl Songs mit persönlichen Inhalten oder irgendeinem Scheiß. Aber die meisten Texte kommen von mir, und nachdem ich als Fan von Bands mit politischem Inhalt schon immer stark in diese Richtung tendierte, war das von daher vorprogrammiert, denke ich. Ich bin inzwischen an einem Punkt angelangt, wo es mir schwer fällt, über Dinge zu singen, die mir nicht wirklich wichtig sind. Ich könnte nun mal in einen Song über Sonne, Strand oder Liebe nicht die gleiche Energie hineinlegen wie in einen politischen Song, und das ist gut so.

[F] Inwiefern betätigt ihr euch denn auch außerhalb der Band politisch?
[A] Um ehrlich zu sein – momentan eher sporadisch. Die intensiveren Antifa-Zeiten sind vorbei, ich hab in jüngster Zeit öfters in einer österreichischen Menschenrechtsorganisation mitgearbeitet. Unser Drummer hat letztes Jahr ein ganz spannendes Projekt betreut, rund um das Thema Zeitzeugenberichte und Widerstandskampf in der NS-Zeit. Eine wichtige Sache, wenn man bedenkt, dass jene Menschen, die aus erster Hand davon erzählen können, schließlich aussterben.
Ich hatte schon lange den Plan, für Konzerte eine Distrokiste mit politischen Büchern aufzubauen, aber ich hab momentan leider echt keine Kohle, um das umzusetzen. Das wäre eigentlich das Mindeste, was man als politische Band tun kann, wenn eh sonst schon kaum Zeit bleibt, um irgendwas aktiv zu machen. Mal sehen.

[F] Wie steht ihr eigentlich zu der Entwicklung von Bands wie ANTI-FLAG, die nach eigenen Angaben ihre Alben mittlerweile auf einem Major-Label veröffentlichen, um auf diese Weise mehr Leute mit ihren Texten zu erreichen? Auf der einen Seite hat eine Band ja hierdurch tatsächlich die Möglichkeit, junge Menschen zu politisieren, andererseits stellt sie sich aber in den Dienst der Musikindustrie und verlässt dabei die Strukturen, die eine Subkultur wie Punk erst ermöglichen…
[A] Ein schwieriges Thema – das Problem liegt doch darin, dass Major-Labels die Verkaufbarkeit von politisierender Musik entdeckt haben. Und ich persönlich kann es niemand übel nehmen, wenn er nach einem Jahrzehnt ohne Kohle ein finanziell lohnendes Angebot annimmt.
Das Argument, seine Message damit an eine größere Masse herantragen zu können, dient dabei allerdings nur als Ausrede, meiner Meinung nach. Schließlich erreicht man zwar viele Leute, aber der persönliche Kontakt geht von einer großen Bühne aus komplett verloren. Und was bringt es schon, wenn tausende Kids das Gefühl haben, ein Konzert lang subversiv und politisch „aktiv“ zu sein, wenn sie sich nichts davon mitnehmen? Wie Janis Joplin schon sagte: „On stage I make love to ten thousand people, then I go home alone.“
Schließlich erlebt das Publikum Bands wie ANTI-FLAG als Stars und nicht als ganz „normale“ Menschen, die eine politische Richtung leben, wie sie für jeden anderen auch möglich wäre. In meinen Augen braucht eine alternative Form des Zusammenlebens eindeutig mehr als nur die einseitige Verbreitung von Meinungen, und das liegt vermutlich nicht im Interesse der Majors.

[F] Während viele politische Punk-/Hardcore-Bands gerne die kriegsführende Rolle der USA (z.B. im Irak oder in Afghanistan) thematisieren, handelt euer Song „War in the shadows“ vom Tschetschenien-Konflikt. Was hat euch dazu bewogen, dieses Thema aufzugreifen?
[A] Also, ich finde es seltsam, wenn österreichische Kids tausende Fäuste in die Höhe schmeißen, nur weil eine Band – egal woher – einen Anti-Bush-Song singt, um nur ein Beispiel zu bringen. Zumal die US-Außenpolitik vermutlich kaum eine Auswirkung auf deren Leben hat. Sicher, das Thema hat eine globale Größenordnung, aber dennoch ist es nicht das einzige, worüber man sich Gedanken machen sollte.
Wenn ich mir die aktuelle Asylpolitik in Österreich ansehe, spüre ich weitaus mehr persönlichen Bezug als zum Krieg im Irak. Hierzulande leben rund 25.000 Tschetschenen, teilweise unter unmenschlichen Bedingungen, wie viele Asylsuchende in Österreich. Diese Menschen sind zum Teil erheblich traumatisiert vom Krieg und stecken in einem regelrechten Culture-Clash. Wer verlässt schon gerne seine Heimat, um als Immigrant in einer Gesellschaft zu leben, die weitaus mehr verspricht als sie halten kann?
Und spätestens nach dem Mord an Anna Politovskaya sollte die Medienwelt endlich ein bisschen Anteil nehmen an der ganzen Geschichte.

[F] Wobei es ja auch immer schwierig ist, solch ein komplexes Thema in einem kurzen Songtext darzustellen, gerade bei einem Konflikt, über den – wie du ja bereits angedeutet hast – in den Medien nur wenig und oftmals undifferenziert berichtet wird. Ich persönlich denke, den Tschetschenien-Konflikt kann man nicht nur auf die Besetzung des Landes aus wirtschaftlichen Interessen Russlands (z.B. Erdölvorkommen in der Region) und Putins „Anti-Terror-Offensive“ reduzieren, sondern er muss auch unter weiteren Punkten wie den geostrategischen Interessen Russlands oder dem historischen und religiösen Kontext betrachtet werden, um nicht Gefahr zu laufen, bei Leuten mit einem geringen politischen Hintergrundwissen ein Schwarz-Weiß-Bild zu produzieren. Hast du beim Schreiben der Texte manchmal das Gefühl, aufgrund der songbedingt stark begrenzten Möglichkeiten ein Thema nicht so ausführlich behandeln zu können, wie du es eigentlich gerne tun würdest?
[A] Nun, es ist ja ohnehin müßig, als Mitteleuropäer daher zu kommen und quasi zu sagen: „He, ich weiß, was da abgeht und verpacke das nun in einem Song.“ Wer weiß schon, was im Kaukasus wirklich los ist oder was in den letzten Jahrhunderten los war?
Ein klein wenig ist der Song davon beeinflusst, wie es einer tschetschenischen Familie geht, die seit Jahren in Österreich lebt und zu der ich vage Kontakt habe. Aber selbst das ist nur ein winziger Bruchteil des Gesamten.
Politovskaya hat als Russin das Krisengebiet bereist, immer und immer wieder, und ihre Eindrücke waren offensichtlich so intensiv, dass sich das in ihrem jüngsten Buch nachhaltig widerspiegelt. Und dafür hat sie mit ihrem Leben bezahlt. Aber klar, in diesen Ausmaßen wird man in einem Song nie auf ein Thema eingehen können, und es besteht wohl immer die Gefahr, ein Schwarz-Weiß Bild zu hinterlassen. Aber die Musik soll doch zum Nachdenken und gegebenenfalls zum Nachforschen anregen, und das muss dann schon jeder selbst in die Hand nehmen.

[F] Ihr seid Teil des „Neustadtpunknetwork“. Was hat es mit diesem Netzwerk auf sich?
[A] Neustadtpunk.net wurde von zwei Freunden von uns gegründet, ursprünglich eigentlich als Fortführung einer „Schülerzeitung“. Die zwei haben vor zirka sechs Jahren begonnen, lokalen Bands unter die Arme zu greifen, sofern die jeweilige Band von sich aus bereits Engagement geliefert hatte. Faire Sache also, zumal niemand irgendwann Geld von irgendwem bekommen hat. Es entstand eine Webseite, wurde Promomaterial zusammengestellt, und inzwischen wird eines der größten Internetforen im Punk/HC-Bereich hierzulande betrieben. Im Grunde geht es viel um Informationsaustausch, gegenseitige Hilfe beim Booking und dergleichen. Und nachdem einige der Bands inzwischen Proberaum-Nachbarn geworden sind, passiert auch viel musikalischer Austausch. Unbedingt auf die Webseite schauen und die Bands auschecken, vor allem die zwei jüngsten Releases von ASTPAI und DIMITRIJ gehören unbedingt gehört!

[F] Mit dem neuen Album im Rücken habt ihr die besten Voraussetzungen geschaffen, um 2007 kräftig durchzustarten. Was ist bei euch in den nächsten Monaten geplant?
[A] Nun, nachdem unsere Releasetour durch Ösiland abgeschlossen ist, gönnen wir uns ein paar Wochenenden Pause, um wieder ein bisschen an neuem Material zu arbeiten. Danach stehen ein paar einzelne Gigs an, unter anderem mit STRIKE ANYWHERE in Prag und in Graz. Mitte Juli geht’s ab nach Belgien und England, danach ein paar Festivals hierzulande, und im September steht eine Deutschlandtour im Programm. Bis zum Winter wird uns also sicher nicht langweilig, und dann werden wir mal sehen, ob wir genug neues Material haben, um an die nächsten Aufnahmen zu denken.

[F] Na dann, vielen Dank für das Interview und viel Erfolg mit dem Album!
[A] Ebenfalls vielen Dank, alles Gute!

http://www.rentokill.com/
http://www.neustadtpunk.net

Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.