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MALM – Hüllenlos

„Lauter! Schneller! Härter!“ Ganz früher hat man so Knüppelbands angefeuert, wenn man sich wünschte, dass sie live über ihre Grenzen gehen sollten. Vermutlich ist MALM (die es schon seit 15 Jahren gibt, nervt mich ziemlich, dass das bislang an mir vorbeigegangen ist) das nie passiert, denn obwohl es eine Menge schnellerer Bands gibt, kann ich mir gerade kaum was Härteres vorstellen. Nun münden solche Überlegungen meist umweglos in den Bereich des Schwanzvergleichs (wo sich eine Band, die Verse wie „Meine Birne (?) ist so weich, dafür ist mein Schwanz umso härter, was für eine Nacht!“ brüllt, gar nicht so unwohl fühlen dürfte), was in Zeiten, in denen wahrscheinlich so ziemlich jedes Subgenre mit jedem anderen schon auf möglichst schmerzhafte Weise kombiniert worden ist und dank moderner Technik selbst in Jugendzimmern akustische Tornados erzeugt werden können, noch weniger Sinn ergibt als ohnehin schon. Wenn ich hier also von Härte rede, dann meine ich damit die Fähigkeit dieser Band, meinen Blick auf sich zu lenken, ihn festzuhalten und mich dann vierzig Minuten niederzustarren. Und es fühlt sich auch noch gut an. Härte im Sinne von Konsequenz, die irgendwann in Aufdringlichkeit umschlägt, aber das ist dann auch schon egal, man kann sich ohnehin nicht mehr aus der eisernen Umklammerung lösen.
MALM spielen Noiserock, eher die kontrollierte Variante in der Tradition von BIG BLACKs Klassiker „Songs about fucking“, wenn auch nie so steril. Lieder mehrheitlich im Midtempo-Bereich, grobschlächtig, wie dreibeinige Herrscher voranschreitend, stark verzerrter Bass, häufig klirrende Gitarren, das Schlagzeug wird ohne große Fisimatenten verdroschen. Soweit, so halbwegs normal – auch wenn es sehr gut und liebevoll gemacht ist, hat man Ähnliches schon von einer Reihe von Bands gehört, UNSANE kommen dem hier von den mir bekannten Gruppen aus dieser Ecke am nächsten. Distinktionsgewinn verschafft ihnen vor allem der völlig durchgeknallte Gesang. Das Album klingt dadurch im Ganzen so, als hätte man einem Borderliner, der normalerweise U-Bahn-Abteile leerpredigt, eine therapeutische Sitzung verordnet, die dieser jetzt auch durchzieht, obwohl er den Psychiater schon ganz am Anfang in einen Schrank gesperrt hat. Und hier liegt wohl der eigentümliche Reiz dieser Stücke, im Kontrast zwischen seinem manischen Gebrüll und dem beherrschten Zusammenspiel der drei Instrumentalisten, das immer ein bisschen so klingt, als müssten sie ganz fest den Deckel auf diesen Topf mit siedender Suppe drücken und sich nur manchmal gegen Ende der Lieder ein bisschen Eskalation gönnen, ohne je in völliges Chaos abzudriften (z.B. bei „Entzug“ und „Anker“, einem regelrecht ergreifenden Liebeslied). Insgesamt variiert die Band zwischen epischeren Nummern mit gewissem Spannungsaufbau (wie „Blass und aufgebläht“ oder eben „Anker“) und Liedern, die durchgehend knallen („Abgehackt“ und das ein bisschen an PARTY DIKTATOR erinnernde „Alles Fassade“).
In den Texten geht’s – für das Genre ja nicht unüblich – oft um das Verzweifeln des Einzelnen an der Gesellschaft, wobei man sich auch selbst nicht schont („Als Mann geboren, als Lusche gelebt, als Nichts gestorben – geiles Leben“). Dem Albumtitel entsprechend werden einem hier ständig irgendwelche nicht immer angenehmen Geständnisse um die Ohren gehauen. Vermutlich haben sich die Leute, die in den Siebzigern festgestellt haben, das Private sei politisch, das irgendwie anders vorgestellt.
Leider ist Noiserock ein Genre, das schon nicht besonders viele interessiert hat, als es Anfang der Neunziger seinen Zenith erreichte – so dass nicht anzunehmen ist, dass „Hüllenlos“ reihenweise Leute hinter ihren Öfen hervorlocken wird (obwohl es diese Öfen eigentlich komplett zerlegt), sonst wären MALM für Noiserock im Moment vielleicht das, was TURBOSTAAT für Deutschpunk sind. Vielleicht kommt ja mal jemand auf die Idee, sie mit den PISSED JEANS auf Tour zu schicken, dafür würde ich anreise- und übernachtungstechnisch einiges in Kauf nehmen, denn ich will MALM unbedingt mal live sehen.