You are currently viewing LOVE OF EVERYTHING – Ghosts & friends

LOVE OF EVERYTHING – Ghosts & friends

„Über Musik schreiben ist wie zu Architektur tanzen“, heißt es so schön abfällig über den verzweifelten Versuch, anderen zu erklären, warum diese oder jene Scheibe nun so geil ist wie eine Affäre mit Urszula (aus der Lindenstraße) oder so unangenehm wie eine Affäre mit Carsten Flöter (aus der Lindenstraße). Neben der Tatsache, dass das Zitat grammatikalisch schon nicht ganz sauber ist, würde ich ihm auch inhaltlich nicht zustimmen. In diesem Fall jedoch dürfte mein ehrenvolles Anliegen, die Platte „Ghosts & friends“ anzupreisen, scheitern wie der klägliche Versuch, den Hundertwasser Bahnhof in Uelzen zu tanzen. Ich versuche es trotzdem mal und starte mit ein paar Hard Facts.
Bobby Burg ist ein Spross der sog. JOAN OF ARC-Family, einem bunten Strauß an Chicagoer Bandprojekten mit Wurzeln im 90er-Emo, die sich mit wahren Perlen wie THE PROMISE RING oder AMERICAN FOOTBALL schmücken können. Neben zahlreichen Beteiligungen an anderen Bands aus dem Umfeld trommelt Bobby, der im übrigen aussieht wie Ray aus „Alle lieben Raymond“, auch beim schrägen JOAN OF ARC-Sondereinsatzkommando MAKE BELIEVE. Unter dem gewagten Namen LOVE OF EVERYTHING betreibt er alleine oder mit wechselnder Besetzung seit nunmehr zehn Jahren sein eigenes Projekt, dessen Alben bislang größtenteils auf dem hauseigenen Label „Record Label“ erschienen sind. Der jetzigen Veröffentlichung auf Coraille verdanken wir es, dass auch mal wieder eine Vinyl-Scheibe in unsere voll digitalisierte Blueprint-Kommune Einzug erhält. Apropos, neulich erzählte ich einem 17jährigen, dass ich mir noch gerne Platten kaufe. Der guckte mich an wie ein Auto. Als ich ihm dann weiter offenbarte, dass ich zum Einschlafen Kassette höre und mich auch gern in Second Hand-Läden nach Klamotten umschaue, explodierte ihm der Kopf. Paff! Raumverteilung. Naja, die Jugend von heute und so… . Auf „Ghosts & friends“ präsentiert uns Bobby Burg quasi zwei Minialben in einem, da die B-Seite „Friends“ ein ReRelease der EP von 2002 ist. Einen Bruch hört man dem Album aber nicht wirklich an. Eher eine selten erlebte Spielfreude auf Basis kleiner Ideen auf der Gitarre, die eifrig mit unterschiedlichen Sounds und Effektspielereien unterstützt werden. Dazu eine wackelige, eher dünne Stimme, die in der Joy Flemming Gesangsschule wohl nicht mal für eine 6- reichen würde, die von mir jedoch einen lachenden Fu mit Lob vor der gesamten Klasse erhält. Auch den rohen Lo-Fi-Sound der offensichtlich im heimischen Living Room eingespielten Songs finde ich großartig. Ein paar kleine Mini-Hits sind mit „Birds, icecream and whales“ und dem wunderbar entspannten „I love all you guys (slow)“ zwar auch dabei, aber letztendlich sind es gar nicht mal die Songs, die mich begeistern. Es ist in erster Linie die Stimmung, die der gemütliche Schlafzimmer-Emopunkrock von LOVE OF EVEVRYTHING erzeugt. Irgendwie hat man das Gefühl, der sympathische Bobby sitzt da direkt neben einem auf dem Sofa und probiert so ein bisschen rum. „Ja, das ist ganz geil“, würde ich ihn am liebsten manchmal anstoßen. Ziemlich minimalistisch geht er zu Werke, lässt die kleinen Themen im Kreis laufen, quakt und säuselt, durchaus mit Humor, über „Cowboy hats & jeans“ und „Safety first“.
Für mich absolut kein großes, aber ein sehr charmantes, verspieltes, feines Album, welches einmal mehr aufzeigt, wie wenig aufgeblasen und produziert Musik sein muss, um Spaß zu machen. Und welches mich ermuntert, endlich auch eine Bedroom-Musiker Karriere zu starten. Erste Namensidee: „Oh, if I could only see the clear blue sky from my office window.” 90er Emocore, I salute you.