Ihr könnt sagen was ihr wollt, aber ich finde, die meisten ostdeutschen Punkbands versprühen auch 20 Jahre nach dem Mauerfall noch einen ganz speziellen Charme. Sie klingen anders als viele ihrer westdeutschen Kollegen, irgendwie authentischer. Während im Westen heutzutage verstärkt Wert auf eine aufgeblasene Produktion gelegt wird und die hiesigen Bands gerne auch mal mit Rock- oder Metaleinflüssen herumspielen, hat man bei vielen Bands aus den neuen Bundesländern den Eindruck, Punk wäre in den 80er Jahren stehen geblieben. KOLLEKTIVER BRECHREIZ ist auch so ein Fall. Hervorgegangen aus Überresten der Gruppen KOLLEKTIVER BLUTSTURZ und BRECHREIZ 08/15 und verstärkt mit dem Ur-Gitarristen der Ostpunk-Legende SCHLEIMKEIM, tingelt die Band seit Anfang 2000 durch den Osten der Republik und legt mit „Heilig scheint scheinheilig“ nun ihr zweites Album vor. Und dieses klingt, wie bereits angedeutet, erfreulich unmodern! Hier wird Punk tatsächlich noch als Lebensgefühl verstanden, das merkt man Liedern wie „Wachsfigurenkabinett“, „Kleiner Jesus“ oder „Brennendes Herz“ einfach an. Die Gitarrenriffs und -melodien sind einfach gehalten, der Gesang ungekünstelt und die Texte kommen einfach aus dem Bauch heraus. Dass die Bandmitglieder zudem auch noch Sinn für Humor haben, zeigen sie in der Psychobilly-Persiflage „Do the Halloween“ und in dem Stück „Ich lieb´ den Frühling“, bei dem ein paar Kinder (die eigenen?) mitträllern dürfen. Natürlich ist „Heilig scheint scheinheilig“ kein Meilenstein der Punkgeschichte geworden, aber es macht einfach Spaß, diesem Album zu lauschen und dabei im Gedanken alten Zeiten nachzuhängen. Wer also bodenständigen Ost-Punk à la MÜLLSTATION und Konsorten zu schätzen weiß, der sollte sich diese Band unbedingt mal zu Gemüte führen.