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KALTFRONT – Totgesagte leben länger

Vor einigen Jahren keimte das Interesse an der Punkkultur der ehemaligen DDR verstärkt auf und mündete sogar in einigen Ausstellungen, die sich mit dem Thema beschäftigten. Im Zuge dieses kleinen, postmortalem Ost-Punk-Hypes reformierte sich auch die Band KALTFRONT, die in den Achtziger Jahren zu den sowohl technisch als auch textlich versiertesten Punkbands in Ostdeutschland zählte. Nachdem zuletzt bereits diverse alte Demo- und Live-Aufnahmen der Dresdner auf CD und Vinyl (wieder-)veröffentlicht wurden und die Band gelegentlich wieder live zu sehen war, erschien Ende letzten Jahres mit „Zwischen allen Fronten“ sogar ein neues Studio-Album. Somit bot sich also genügend Gesprächsstoff für ein Interview, in dem Bassist Jörg sowohl über den Punkalltag in der früheren DDR, als auch über die neuen Aufnahmen Auskunft gibt.

Eigentlich galt das Kapitel KALTFRONT seit 1990 als beendet. Was gab damals den Ausschlag für die Auflösung der Band, und wie kommt es, dass ihr euch fünfzehn Jahre später wieder zusammengefunden habt?
Die Band ist eigentlich schon im Herbst 1989 auseinandergebrochen. Es war eine wilde Zeit. Ständig „verschwanden“ Leute aus dem Bekanntenkreis. Auch zwei Bandmitglieder sind Hals über Kopf in den Westen gegangen. In einer Art Notbesetzung haben wir im Dezember 1989 ein Konzert gespielt und im Januar 1990 das „Kaltfront Mini Tape“ aufgenommen. Im April 1990 rauften wir uns für ein Konzert noch mal in „richtiger“ Besetzung zusammen. Aber die Luft war danach raus. Wie wir wieder zusammengefunden haben, kann ich nicht genau erklären. Die Reunion wurde irgendwie von Außenstehenden herbeigeredet. Anfang 2005 haben wir uns unserem Schicksal ergeben und die Sache ernsthaft in Angriff genommen.

Seid ihr immer noch in Originalbesetzung unterwegs, oder gab es im Rahmen eurer Reunion personelle Veränderungen?
Gitarrist Blitz und ich sind Gründungsmitglieder. Tom war Sänger von 1987 bis 1988. Da wir keinerlei Kontakt zu unserem alten Schlagzeuger mehr hatten, mussten wir Ersatz suchen. Micha war schon seit den Neunzigern in diversen Dresdner Bands aktiv. Unter anderem hat er, wie unser Sänger Tom, bei C4 SPACE gespielt. Dazu kommt Malo, der uns oftmals live als zweiter Gitarrist unterstützt.

Blicken wir einmal zurück zu den Anfängen von KALTFRONT. Wir kann man sich die Dresdener Punkszene Mitte der Achtziger Jahre vorstellen?
Genau genommen waren wir 1986, als wir KALTFRONT gründeten, schon raus aus der Punkszene. Anfang der Achtziger Jahre habe ich mit ein paar Schulkameraden angefangen, Punk zu hören und wenig später zu spielen. Wir versuchten, uns darüber zu informieren, was in Dresden, wo man kein Westfernsehen empfangen konnte, nicht leicht war. Aber es ging irgendwie. Relativ zeitig konnten wir auch Kontakte in andere Städte und in den Westen knüpfen. Die Dresdner Punkszene war nicht sehr groß. In dieser Zeit bestand sie aus ca. 20 bis 30 Personen. 1983 entstand aus diversen Kurzzeitprojekten PARANOIA, 1984 kam SUIZID dazu (beides KALTFRONT-Vorläuferbands).

Als Punkband in der DDR hatte man es bekanntlich mit erschwerten Rahmenbedingungen zu tun. Zu den fehlenden Möglichkeiten, offizielle Konzerte zu spielen oder gar Platten unter professionellen Bedingungen aufzunehmen, kamen teils massive Repressionen seitens der Staatsorgane, die beispielsweise in einem gezielten Einberufen von Protagonisten der Punkszene in die Armee oder gar in Gefängnisaufenthalten unter Berufung auf abenteuerliche Tatbestände wie „Staatsverleumdung“ oder „Rowdytum“ mündeten. Ein weiteres Problem war die Anwerbung von Punks zur Informationsweitergabe an die Stasi. Wart ihr damals auch von derartigen Repressionen betroffen, oder habt ihr im Nachhinein Informationen darüber erhalten, dass ihr bei der Staatssicherheit unter spezieller Beobachtung standet?
Als ich nach der Wende meine Stasi-Akten eingesehen habe, fand ich weder eine Erwähnung der Gruppe KALTFRONT, noch irgendwelche Eintragungen aus dieser Zeit. Vorher wurde ich ausgiebig bespitzelt. Aber mit dem Ende von PARANOIA schien es sich größtenteils erledigt zu haben. Dazu muss man erwähnen, dass sich die Situation in der DDR ab Mitte der Achtziger Jahre etwas entspannte. KALTFRONT konnte eine Einstufung machen und dadurch öffentlich auftreten. Wobei ich nicht ausschließen kann, dass wir beobachtet wurden. Aber wirkliche Repressionen gab es nicht.

Kommen wir zur Gegenwart. Euer neues Album hört auf den Namen „Zwischen allen Fronten“. Die ersten Lieder hiervon wurden bereits 2008 aufgenommen. Warum erscheint das Album erst jetzt?
Weil wir so lange gebraucht haben, bis genug Lieder für eine Platte fertig waren. Wir haben seit der ersten Studiosession im Januar 2008 immer wieder längere Pausen eingelegt, wo wir mit anderen Projekten beschäftigt waren. KALTFRONT ist keine Band, die regelmäßig probt, spielt und im Studio arbeitet. Manchmal sehen wir uns ein halbes Jahr lang nicht.

Was mir an dem Album sofort aufgefallen ist, ist die Produktion. Zwar wart ihr mit KALTFRONT erstmalig in einem richtigen Studio, aber zugleich klingt der Sound auf „Zwischen allen Fronten“ an heutigen Maßstäben gemessen erstaunlich unmodern und verleiht euren Liedern automatisch dieses gewisse Ost-Punk-Feeling. War dies von Anfang an so beabsichtigt?
Wir haben nicht auf einen bestimmten Sound hin gearbeitet. Wie es am Ende klingt, liegt zu einem großen Teil an den Leuten, die es spielen. Wir haben alles ziemlich schnörkellos live eingeknüppelt und nachträglich nur den Gesang und ein paar Gitarren-Overdubs aufgenommen. Es sollte authentisch rüberkommen, ungefähr so wie wir live klingen, wenn wir mit zwei Gitarren spielen.

Neben den neuen Liedern habt ihr auch alte Klassiker wie „Von hier bis zur Ewigkeit“, „Klimawechsel“ und „Totentanz“ neu eingespielt. Weshalb habt ihr entschieden, diese Stücke neu aufzunehmen?
Wer die alte Aufnahme zum Beispiel von „Klimawechsel“ kennt, wird verstehen, dass wir es unbedingt noch mal ordentlich aufnehmen wollten. Ein guter Song, aber bisher gab es davon nur eine miese Proberaum-Demo-Aufnahme von 1987. Ähnlich ging es uns auch bei den anderen neu aufgenommenen alten Liedern. Es gibt zwar auch Leute, die den alten Kellersound charmant finden, weil sie vielleicht Erinnerungen an diese Zeit damit verbinden. Aber das war für uns kein Grund, nicht noch mal ein paar alte Lieder neu aufzunehmen. Im Gegenteil, es gibt noch mehr, die wir gerne in guter Qualität verewigt hätten.

Wenn ich mich nicht täusche, dürftet ihr mittlerweile ungefähr Mitte 40 sein. Inwiefern sind Punk als Subkultur bzw. seine Ideale für euch heutzutage noch von Bedeutung?
Punk hatte für den einen oder anderen von uns in einem bestimmten Lebensabschnitt große Bedeutung. Punk hat sicher zu unserer Sozialisierung beigetragen und wirkt bis heute nach. Allerdings ist mir so eine „Punk ’til I die“-Einstellung längst zu albern.

Abschließend bitte noch ein kleinen Ausblick aufs Wetter: Wo zieht die KALTFRONT hin?
Es ist schlichtweg nichts geplant. Die Prioritäten liegen bei keinem von uns bei der Gruppe KALTFRONT. Wir werden hin und wieder spielen, wenn der Rahmen passt. Neue Aufnahmen sind nicht in Aussicht, wir haben erstmal unser Pulver verschossen. Das sehe ich jetzt nicht als Problem. Im Gegenteil, ich fühle mich befreit, dass dieses Projekt abgeschlossen ist und ich mich stärker anderen Dingen widmen kann.

http://www.kaltfront-dresden.de

Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.