GUSGUS haben seit Mai 2011 ein neues Album draußen, „Arabian horse”. Und wer GUSGUS kennt, dem wird der düstere, melancholische Grundton aufgefallen sein, der sich sonst nicht durch deren Alben zieht. Ein ungewöhnliches elektronisches Dröhnen im Opener und Dance-Hymnen mit Moll-Einschlag in den darauffolgenden Songs. Sonst schillernde Disco-Hymnen finden hier ihren nachdenklichen Ton, bewahren sich aber dank einer Abfolge an brillanten Vocals und Mitsumm-Melodien davor, zu grüblerisch zu wirken. Dass GUSGUS noch dazu eine außerordentliche Live-Band sind, muss man nicht extra erwähnen. Jeder, der diese Band schon live gesehen hat, weiß, wovon ich rede.
Nun hatte ich Anfang dieser Woche das traumhafte Vergnügen, ein wenig mit Birgir „Biggi Veira“ Þórarinsson zu plaudern, musikalischer Kopf der Band und seit der ersten Stunde 1995 neben Stephan „President Bongo“ Stephensen festes Mitglied. Dabei verriet mir Biggi unter anderem, was es ausmacht, als Künstler-Kollektiv dennoch sein Standbein zu haben und betont noch einmal die außerordentliche Expertise und Durchgeknalltheit, die GUSGUS in ihren Liveshows zutage fördern.
Was natürlich in der unweigerlichen Aufforderung meinerseits mündet, das Konzert am 4.Oktober im Uebel & Gefährlich keineswegs zu verpassen!
[F] Wenn dir jemand unterkommt, der dich und deine Band nicht kennt, wie würdest du euch vorstellen?
[A] Hmm, ich weiß nicht. Ich würde sagen, es ist geschmeidige Annäherung an einen Mix aus Kultur und Popmusik auf eine sehr soulmäßige Art und Weise. Die Stärke der Band ist definitiv die Liveshow. Um sie musikalisch zu entdecken, ist das neue Album die beste Konstellation und so erfasst man auch das gesamte Spektrum der Band.
[F] Du würdest also sagen, dass man GUSGUS auch live sehen muss, damit man die totale Bandbreite der Band zu spüren bekommt?
[A] Ich würde niemanden zwingen, zu unseren Konzerten zu kommen (lacht), aber wenn jemand die Musik mag, würde ich ihm unsere Liveshow empfehlen, sie ist überwältigend. Wir erforschen unsere Tracks live in einer „extended Version“. Man findet auf youtube auch einige gute Sachen von unserem Eröffnungsauftritt in Reykjavik: googelt mal die Begriffe „GusGus“, „live“ und „NASA“!
[F] Apropos Videos, ihr seid ja eine der wenigen Bands, die sich noch die Mühe machen und Musikvideos drehen. Wieso?
[A] Unsere Videos waren nicht sehr teuer. Wir haben viele talentierte Menschen in Island, die gerne mit uns arbeiten. Für das „Over“-Video haben wir mit einem Freund gearbeitet, der die Kleidung für das Video designed hat. Dieses Zusammenmixen war ein Aspekt des Videos. Ellen Lofts, eine gute Freundin, die schon viel mit uns zusammen gearbeitet hat, hat Regie geführt. Es ist uns wichtig, visuelle Aspekte zu der Musik hinzufügen. Ganz davon abgesehen, dass auch die Fans unsere Videos mögen…
[F] Wie ist es, in einer Band zu sein, deren Mitglieder ständig wechseln? Könnt ihr da überhaupt ein Einheitsgefühl aufbauen oder würdet ihr euch eher als Kollektiv betrachten?
[A] Wir sind schon eine Einheit. Es geht ja um die Musik, die man im Moment kreiert und da hatten wir noch nie ein Problem. Wenn allerdings Leute gehen und wir schauen müssen, wie wir an das nächste Album gehen und mit wem wir zusammen arbeiten, wird es schwierig. Natürlich befanden wir uns in einem Dilemma im Jahr 2000, als wir all unsere Sänger verloren hatten und mit unseren Produzenten allein gelassen wurden. Aber dann hat Earth uns gefunden, sie war quasi unser Diamant, hat zwei Alben mit uns aufgenommen, aber wollte 2010 eine Pause machen. Wir haben dann Daníel [Ágúst Haraldsson], einen unserer vorherigen Sänger, angerufen und ihn gefragt, ob er einige Lieder singen möchte, so dass wir wenigstens ein Album aufnehmen können (lacht). Er sagte zu, wir nahmen „24/7” auf und bei „Arabian horse” regte er an, Earth hinzuzuholen, um mehr Vielfalt zu haben. Ja und durch pures Glück kam auch Earth zurück. Man nimmt alles, wie es kommt, und ich bin der Meinung, dass wir es hier mit den drei besten isländischen Sängern zu tun haben.
[F] Würdest du dich und President Bongo als den Kern der Band betrachten?
[A] Ja, seit der Veränderung im Jahr 2000, als wir aufhörten, dieses Kollektiv zu sein. Da ging es um das Essentielle in der Musik, als President Bongo und ich mit dem Produzenten und dem Label überlegen mussten, was wir eigentlich wollen. Damals habe ich die Erfahrung gemacht, dass es sehr wichtig ist, eine Idee vom Ganzen im Kopf zu haben.
[F] Mit dieser Idee im Kopf und in Anbetracht eurer Bandgeschichte – acht aufgenommene Alben und wechselnde Bandmitglieder – wie hat sich euer Sound seither verändert?
[A] Kaum. Es haben nur die Sänger gewechselt, aber President Bongo und ich bewegen uns seit jeher auf einem relativ geraden Weg nach vorn. Wir verändern uns auf der Soundebene, rhythmisch und auch gendertechnisch. Ich wollte von diesem schrägen, poppigen Breakbeat-Zeug wegkommen und mehr in Richtung Dance gehen. Mit Earth haben wir „Attention“ und „Forever“ aufgenommen und die Musik hatte ab dann einen kleinen Girly-Einfluss. Nachdem sie ging, war es wieder an der Zeit für einen Umschwung, und ich wollte etwas mehr in die Tiefe gehen und mehr mit dem Doepfer [Anm. der Redaktion: ein modularer Synthesizer der Firma Doepfer] arbeiten, den ich Deutschland gekauft hatte. Deshalb geht „24/7“ auch mehr in Richtung Minimal Techno. „Arabian horse” ist eine Art gerade Kontinuität von „24/7” mit mehr Fokus auf das Songwriting und mehr Vielfalt, was den Gesang angeht.
[F] Im Generellen geht es hier also mehr um Fortschritt als um den Einfluss durch eure Mitglieder?
[A] Genau, es geht um Forschritt und… Erforschung.
[F] Was hat das Arabische Pferd mit eurem Album zu tun?
[A] Einer unserer Songs auf dem Album heißt „Arabian horse”.
[F] Mehr nicht?
[A] Es geht um den emotionalen Verlust, unabhängig davon, wo man gerade hingeht und dass man sich auch da verloren fühlt. Und wie man sich bei jeder Wendung wiederholt und im Kreise dreht. Das Fortbewegungsmittel ist dabei das arabische Pferd. Ich denke, der Song ist quasi ein Repräsentant von dieser emotionalen Wüste, die wir gerade erforschen.
[F] Das klingt aber sehr dramatisch.
[A] (lacht) Ja, sehr dramatisch! Das Album ist sehr melancholisch.
[F] Guter Stichpunkt! Denn wenn es um isländische Bands geht, gibt es ja immer wieder die Assoziationen zum Heimatland und dass Isländer ihrem Land stets verbunden sind, was sich in deren Musik widerspiegelt. Ihr macht Techno… inwiefern spiegelt Island sich da wider?
[A] Island hat keinen direkten Einfluss. Ich denke, dass wir uns über die Jahre weiterentwickelt haben und durch aktuelle Musik beeinflussen ließen. Natürlich hat Island unser Leben, unsere Einstellung und uns als Person beeinflusst. Das nehmen wir in unsere Musik mit auf. Aber wie das konkret aussieht, kann ich nicht sagen.
[F] Hörst du denn auch privat viel Techno/Dance/Elektro?
[A] Ja, ich höre privat meistens Dance-Musik. Das meiste Zeug von unserem Label Kompakt ist ziemlich gut, da ich sehr gerne Minimal höre. Es ist energetischer. Wenn ich Musik online kaufe, suche ich meistens nach interessanten musikalischen Aspekten, nach interessanten Grooves und auch nach obskuren Sachen.
[F] Gibt es denn irgendwelchen neuen heißen Scheiß, den du empfehlen kannst?
[A] Eines der besten Alben des Jahres ist das aktuelle PJ HARVEY-Album. Ich bin momentan auch ziemlich angetan von der kleinen Indie-Bewegung, die nun schon seit einigen Jahren präsent ist. Vielleicht gibt es ja auf unserem nächsten Album einen kleinen Indie-Einschlag, wer weiß?
[F] Klingt Spannend! Sind GUSGUS denn deine Hauptbeschäftigung oder machst du nebenbei noch was anderes?
[A] GUSGUS ist für jeden von uns die Hauptbeschäftigung. Ich habe meinen Fokus auf dieses Album gelegt, aber Daníel ist zum Beispiel noch in drei anderen Bands unterwegs und Högni [Egilsson] in einer anderen Band namens HJALTÁLIN. Ich habe einen Abschluss in Corporate Design und habe schon seit Jahren viel programmiert, aber jetzt gerade nehme ich eine kleine Auszeit und habe mich bei ein paar Universitätskursen eingeschrieben. Vielleicht kann ich mit meiner Bildung auch noch in eine andere Richtung gehen, aber momentan liegt mein Fokus auf „Arabian horse“. Ich bin wirklich sehr zufrieden mit dem Album.
[F] Was wird denn die Zukunft für GusGus bringen?
[A] Ich hab die Kids gefragt, ob sie Bock haben, noch ein Album aufzunehmen und sie haben „ja” gesagt. Ich nehme also an, dass wir ein neues Album in der jetzigen Konstellation aufnehmen werden. Für mich ist „Arabian horse“ ein Abschluss des musikalischen Aspekts, den wir mit „24/7” begonnen haben. Ich würde hier gerne eine Biegung machen und ein bisschen was verändern, vielleicht mehr Grooves reinbringen anstelle von melancholischen Akkorden (lacht). Auch mit den Vocals, die wir haben, können wir so viel anstellen. Ich bin sehr stolz auf diese brillanten Vocals, denn sie setzen all die komischen Sachen um, mit denen ich ankomme (lacht).
[F] Nun, dann bleibt mir ja nichts anderes mehr übrig als zu sagen, dass ich mich bereits sehr auf euer Konzert nächste Woche in Hamburg freue!
[A] Oh, das ist schön! Wir werden unser Bestes geben! Ich hoffe, dass viele Leute sich unsere Show anschauen werden, immerhin ist sie sehr energetisch und ein ziemlicher Trip!
GUSGUS live:
02.10. München – Backstage Werk
03.10. Berlin – Astra Kulturhaus
04.10. Hamburg – Übel & Gefährlich
06.10. Köln – Essigfabrik
07.10. Dresden – Alter Schlachthof
08.10. Stuttgart – Zapata
09.10. Wroclaw (P) – Eter Club
15.10. Reykjavik (Is) – Iceland Airwaves
19.10. Katowice (P) – Megaclub
20.10. Warsaw (P) – 1500m²
22.10. Istanbul (T) – Salon
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http://www.myspace.com/gusgus