Tag 1: Endloser Sommer, oder was?! // Wer denkt bei dem Begriff „Endless Summer“ nicht zuerst an den gleichnamigen Surfer-Kultfilm von 1966? Regisseur Bruce Brown begleitete in diesem zwei Surfer, die den Sommermonaten auf der Welt hinterher reisen und somit in den Genuss eines nahezu endlosen Sommers mit idealen Wellenreitvoraussetzungen kommen. Kontrastreicher als diese unbeschreiblichen Filmaufnahmen voller Sonne, Strand und braungebrannten Menschen konnte das Bild unser Abreise zum Endless Summer-Festival im sächsischen Torgau dagegen nicht sein: Fröstelnd und vom Gepäckschleppen genervt wartete ich Donnerstagmorgen im Nieselregen vor dem Hamburger Hauptbahnhof auf unseren Autofahrer, der sich zu diesem Zeitpunkt noch durch den hektischen Großstadtverkehr quälen musste. Dank erlesener Bordbeschallung, dem ein oder anderen Kaltgetränk und einer nach Osten hin ständigen Verbesserung der meteorologischen Rahmenbedingungen stieg die Stimmung in unserer Reisegruppe jedoch zunehmend an, und als wir das Festivalgelände erreichten, zeigte das Thermometer immerhin stolze 26,5 Grad an. Na bitte Petrus, geht doch!
Aber was hatten wir überhaupt bereits an einem Donnerstagnachmittag auf einem Festival zu suchen? Ganz einfach: Das Endless Summer hat die Eigenart, bereits am Donnerstag zu beginnen, im Gegenzug gibt es dafür allerdings kein Sonntags-Programm. Der Vorteil: Man kann am Sonntag entspannt abreisen, und für den Donnerstag kann man als Veranstalter eines relativ kleinen Festivals auch preisgünstig so manche Band buchen, die am Wochenende wohl nur deutlich teurer zu haben wäre. Folglich standen mit COMEBACK KID und STRIKE ANYWHERE bereits die ersten beiden Highlights auf der Donnerstags-Agenda. Zunächst eröffneten jedoch FIGHTBALL, die aufgrund der kurzfristigen Absage von LIVING WITH LIONS ins Line-Up gerutscht sind, mit ihrem rockigen Midtempo-Streetpunk das Festival und machten dem Hören nach einen guten Job, wobei wir zu dem Zeitpunkt eher damit beschäftigt waren, das Festivalgelände zu erkunden und die Band dabei nur am Rande mitbekamen. Dennoch erkannte ich zahlreiche Stücke ihres Debütalbums wieder. Von den darauffolgenden SOIFASS hatte ich bis dato dagegen nur wenig bis gar nichts gehört. Das Skinhead-Trio spielte einfachen, mitgrölkompatiblen Oi!-Punk und sagte mir persönlich weniger zu, konnte aber ansonsten schon ziemlich viele Leute vor die Bühne locken.
Erstaunlicherweise verließen im Anschluss relativ viele wieder das Zelt, so dass STRIKE ANYWHERE vor einer für ihre Verhältnisse eher kleinen Audienz beginnen mussten. Doch wer die Band um Sänger und Energiebündel Thomas Barnett kennt, der weiß, dass sie auch unter widrigen Umständen mit vollem Elan zur Sache geht. Dementsprechend sprang der Funke schnell über und im Laufe des Sets strömten immer mehr Menschen vor die Bühne, um den politischen Melodic-Hardcore abzufeiern. Den Schlusspunkt des ersten Abends setzten dann die kanadischen Hardcore-Helden COMEBACK KID, die musikalisch zwar durchaus überzeugen konnten, aus meiner Sicht allerdings eine etwas zu einstudiert wirkende Bühnenshow ablieferten. Das sollte es für den ersten Abend dann erstmal gewesen sein – nach dem einen oder anderen Schlummertrunk ging es ab ins Zelt. Gute Nacht da draußen!
Tag 2: Punkrock-Clowns und Hardcore-Prolls // Und wieder hatte Petrus ein Einsehen: Während es die ganze Nacht nahezu durchgeregnet hat, ließ sich pünktlich mit unserem Aufstehen die Sonne blicken. Nachdem wir uns beim nahegelegenen Bäcker mit Frühstück versorgt und die „Pfeffi“-Vorräte aufgefüllt („Pfeffi“ ist ein im Osten sehr verbreiteter Pfefferminzlikör, sehr empfehlenswert!) hatten, konnte das musikalische Tagesprogramm auf der Hauptbühne mit GROWING MOVEMENT beginnen. Ende der 80er Jahre gegründet, zählten sie ihrer Zeit zu den bekanntesten deutschen HC-Bands und wollen es nun Jahre nach ihrer Auflösung offensichtlich noch einmal wissen. Der eine Sänger sitzt mittlerweile in Folge einer Krankheit im Rollstuhl, blüht auf der Bühne aber ungeachtet dieses Handicaps regelrecht auf. Der andere Sänger zog die Blicke hingegen mit seiner knallbunten Propeller-Schirmmütze auf sich. Ein alter BLITZ-Song wurde auch noch gespielt, wobei sich trotz mehrfacher Aufforderung allerdings keiner im Publikum finden ließ, der auf die Bühne kommen und das Stück singen wollte. Ansonsten: Ein solider Gig mit hohem Sympathiefaktor. In Zelt spielten danach die DROOGIEZ, ein regionales Punkrock-Trio, das uns nicht so richtig begeistern konnte. Dann lieber zum Zelt und noch einen Pfeffi trinken…
Inzwischen war das Wetter eher als wechselhaft zu bezeichnen: Knallende Sonne, dichte Wolken und Platzregen gaben sich die Klinke in die Hand, was der guten Stimmung auf dem Festival zwar keinen Abbruch tat, aber so langsam dem Boden der ansonsten als Pferdekoppel genutzten Wiese zu schaffen machte. So verkam der Circle Pit bei DEATH BEFORE DISHONOR zu einer ersten kleinen Schlammschlacht. Der leicht prollige Boston-Hardcore kam beim Publikum sehr gut an, wobei Frontmann Bryan Harris mit Sicherheit auch seinen Teil beitrug, indem er gefühlt den halben Auftritt im Fotograben verbrachte und den Fans das Mikro kontinuierlich vor die Nase hielt. Auch PETER PAN SPEEDROCK unterstrichen im Anschluss wieder ihren Ruf als exzellente Live-Band, allerdings brauchten wir mal eine kleine Pause und sahen uns nur die ersten paar Lieder der Niederländer an.
Stattdessen nahmen wir uns die Zeit, uns ein wenig auf dem Campinggelände umzuschauen und uns mit anderen Festivalbesuchern zu unterhalten. Ein paar Meter neben unserem Schlafplatz kamen ein paar junge Leute auf die glorreiche Idee, ein Iglu-Zelt in ihr privates Dixie-Klo umzuwandeln, was nach einer kurzen Lagebegutachtung meines Erachtens allerdings keine adäquate Alternative in Sachen fäkaler Wohlfühlatmosphäre darstellt. Dann doch lieber wieder zurück Richtung Festival, genauer gesagt zu MAD SIN. Germany´s most famous Psychobilly-Institution rockte die Zeltbühne und Rampensau Köffte wirkte trotz seiner fülligen Figur agil wie ein Eichhörnchen. Auf der Hauptbühne folgten die britischen Punk-Urgesteine THE ADICTS und lieferten eine zirkusreife Clockwork-Show mit jeder Menge Luftschlangen, Konfetti und Glitzer ab. Auch musikalisch konnten die Briten überzeugen und boten zahlreiche ihrer altbekannten Hits, allen voran natürlich ihre wohl bekannteste Hymne „Viva la revolution“.
Seit ihrem Comeback im vergangenen Winter mischen BLOOD FOR BLOOD wieder kräftig die Hardcore-Szene auf. Mittlerweile verstärkt durch BIOHAZARD-Gitarrist Billy Graziadei prollten sich die selbsternannten „White Trash Hardcore Rock´n´Roller“ auch an diesem Abend gekonnt durch ihr Set, pöbelten dabei gegen alles und jeden und sorgten zum Schluss mit der Säufer-Hymne „Going down the bar“ schließlich für den totalen Abriss. Das gefiel natürlich auch dem bereits erwähnten DEATH BEFORE DISHONOR-Sänger, der während des BLOOD FOR BLOOD-Auftrittes plötzlich lattenstramm auf die Bühne wankte und in der Folgezeit zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit ungefragt den Job des Background-Shouters übernahm. IGNITE ließen es im Vergleich zu ihren Vorgängern deutlich melodischer angehen. Ich habe die Melodic Hardcore-Legende zum ersten Mal gesehen und war auf Anhieb begeistert. Allen voran Sänger Zoli war prächtig aufgelegt und ließ den Auftritt zu einem der Highlights des Festivals werden. Ebenfalls gut gefielen mir die alten Haudegen von THE CRACK, die der Jugend von heute noch einmal zeigten, wo der Streetpunk-Hammer hängt. BUSTER SHUFFLE lieferten mit ihrem poppigen 2-Tone-Ska-Klängen schließlich einen schönen Soundtrack zum Schlafengehen.
Tag 3: Barmy Army vs. Barney Army // Nach dem Aufstehen fuhren wir erstmal nach Torgau rein, um zur Abwechslung mal wieder eine richtige Toilette zu frequentieren, zu frühstücken und noch ein paar Besorgungen zu machen. Mittlerweile fing Petrus auch an zu schwächeln: Von Sonne war kaum noch etwas zu sehen, stattdessen ging der eine oder andere Platzregen nieder. Da es auch in der vergangenen Nacht wieder kräftig geregnet hatte, erinnerte das Festivalgelände langsam aber sicher an das Niedersächsische Wattenmeer. Während THE RUCKERS, DEVIL IN ME und DISTURBANCE schon wieder in die Saiten griffen, sprangen Punk, Skins und Hardcore-Kids zwischen den Schlammpfützen von einer trockenen Grassode zur nächsten und wirkten dabei wie Grundschüler bei ihren Hüpfspielchen auf dem Pausenhof. BORN FROM PAIN waren mir persönlich zu Metalcore-mäßig unterwegs, sie hatten aber viele Anhänger vor der Bühne. THE OTHER brachten im Anschluss mit ihrem MISFITS-artigen Horrorpunk ein wenig Abwechslung in die Veranstaltung. Richtig kräftig abgefeiert wurden allerdings die GUMBLES: Biergetränkter Spaß-Oi! mit jeder Menge mitsingtauglicher Lieder wie „Barney Army“ oder dem SCHLEIMKEIM-Cover „In der Kneipe Zur Trockenen Kehle“. Natürlich war auch, wie man es von den Mecklenburgern gewohnt ist, der Duffman im Einsatz und hatte einen großen Feuerlöscher mit Bier für den Pogo-Mob in der ersten Reihe parat.
Danach brauchte ich erstmal eine Verschnaufpause und begab mich erst wieder zu SPRINGTOIFEL vor die Bühne. Die Mainzeldroogs sind ja nun auch nicht mehr die Jüngsten, lieferten aber mit Gassenhauern wie „Oi!-Konzert“ oder „Bierdosentwist“ einen sehr kurzweiligen, unterhaltsamen Auftritt ab. Eine etwas derbere Ausstrahlung hatten dagegen EVIL CONDUCT: Hollands Antwort auf LAST RESORT sahen aus, als wären sie eine direkt aus einem englischen Hooliganstreifen entsprungene Gruppe von Althauern. Passend dazu spielten sie einfachen, aber melodiösen Drei-Akkorde-Oi! der gaaaanz alten Schule. Smart!
THE EXPLOITED liefern dem szenekritischen Punkrocker ja eigentlich unzählige Gründe, sie richtig scheiße zu finden: Angefangen bei den abgelutschen, kommerziell gnadenlos ausgeschlachteten Totenkopf-Shirts, über den schlechten Metal-Punk, den die Band auf ihren letzten Alben spielt, bis hin zu zahllosen Gerüchten über Frontmann und Punk-Diva Wattie. Wenn die Engländer allerdings zum Pogo bitten, scheint all das plötzlich vergessen und nahezu jeder will dabei sein, wenn Klassiker wie „Dead citys“, „Sex & violence“ und natürlich auch „Punk´s not dead“ zum Besten gegeben werden. Und seien wir ehrlich: Schlecht war es nicht. SHEER TERROR dagegen enttäuschten auf ganzer Linie: Die Mitbegründer des sogenannten „Hatecore“ lieferten einen ziemlich kraftlosen Auftritt ab. Da hätte ich ehrlich gesagt etwas mehr erwartet…
Tag 4: Time to say goodbye! // Ich bin ja eigentlich kein Kaffeetrinker, aber manchmal muss es dann doch sein. Während ich morgens mit einem Becher des heißen Bohnengebräus auf einer Bierbank am Rande des Campingplatzes saß und TV SMITH in verhaltener Lautstärke aus dem CD-Player dudelte, ließ ich die letzten drei Tage noch einmal Revue passieren. Fazit: Das Endless Summer 2011 war ein entspanntes Festival mit einer, trotz des relativ testosterongeschwängerten Line-Ups, äußerst friedlichen Stimmung. Von daher würde es mich nicht wundern, wenn es mich im kommenden Jahr wieder nach Torgau verschlägt. Wetterfestes Schuhwerk sollte dann allerdings dabei sein.