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CHILLY GONZALES – Mehr Punk als die SEX PISTOLS!

Wohin? Die WEAKERTHANS im Grünspan oder CHILLY GONZALES auf Kampnagel? Ich entschied mich für letzteres. Nicht, weil das Kampnagel näher liegt und die nettere Location ist, sondern weil ich Herrn Gonzales noch nie live gesehen habe und ihm der Ruf als formidabler Liveact vorauseilt. Auch wenn mir sein letztes Album „The unspeakable Chilly Gonzales“ nicht so recht gefallen wollte und ich Gefahr lief, dass er in Begleitung von einem klassischen Orchester vorrangig neue Songs spielt. Ich sollte meine Entscheidung nicht bereuen, und wenn ich bereits gewisse Erwartungen hatte, so wurden diese sogar bei weitem übertroffen. Was für eine Show!
Wunderte man sich vor dem Konzert noch, welcher Praktikant das Mikrofon da bloß so laienhaft seitlich neben das Klavier gestellt haben mag, stellte sich der Sinn und Zweck davon bald herausstellen. Auch wenn CHILLY GONZALES vorrangig das schwarze Flügel malträtierte, war ihm die Kommunikation mit dem Publikum mindestens genauso wichtig. Entertainment in Perfektion! Dazu ein schlurfiger Morgenmantel, grüne Hauslatschen und fettige Haare. Beethoven sah damals bestimmt nicht viel anders aus.
Was folgte, war ein zweistündiges Happening mit einer ausgewogenen Mischung aus klassischer Musik, Entertainment, einem Einblick ins Komponieren, Diskussionen mit dem Publikum und dem Orchester, Jazz-Akrobatik und Selbstdarstellung. Sein Begleitorchester stammt, wie er sein Publikum wissen ließ, zu 80 Prozent aus Hamburg. Und es sei viel besser als sein gecastetes Orchester in Paris. Überhaupt sei er ja erstaunt, wie einfach man heute Geld verdienen könne, da er seine Musik zusammen mit einem klassischen Orchester als „kulturelle Veranstaltung“ absetzen könne. Dabei bestimme er zudem darüber, was die anderen zu spielen haben, auch wenn dies der letzte Scheiß sei. Und trat im selben Atemzuge den Beweis an. „Du spielst jetzt irgendwas Gruseliges. Nein, etwas richtig Schreckliches, spiel mal Nazi-Mist!“ An Kommandos an seine Begleitmusiker sparte er nicht, und wenn sie diese nicht sofort umsetzten, stellte er sogleich ihr Können in Frage. Sympathie-Punkte ernten? Wofür? In manchen Momenten konnte man Einblicke in die Gedankenwelt des studierten Jazz-Pianisten gewinnen und zugleich daran teilhaben, wie er Ideen ausarbeitet. Und die sind nicht selten abstrus. Aber was erwartet man auch von einem selbsternannten „musical genius“, das seine Genres häufiger wechselt als andere Leute ihre Bettwäsche. Wie dicht Genie und Wahnsinn beisammen liegen, wurde der ausverkauften größten Halle des Kampnagels klar, wenn er die Tasten seines Klaviers mal streichelte, dann darauf herumhämmerte wie Don Music aus der Sesamstraße, mit seinen Füßen bestieg oder unter dem Klavier sitzend bearbeitete. Dabei kriegte er im richtigen Moment immer wieder die Kurve, wenn das Programm in eine allzu diffuse Improvisation zu kippen drohte. Die 800 anwesenden Zuschauer dankten es ihm mit frenetischem Applaus und Herr Gonzales revanchierte sich, indem er sich dreimal in Folge in Stagediving-Manier auf den Händen der Zuschauer die Tribüne hinuntertragen ließ. Was für ein Konzert! Der absolute Wahnsinn!

Eindrücke vom Konzert:
http://www.youtube.com/watch?v=snZK5coc4nk
http://www.youtube.com/watch?v=dpHtyhyN5WQ
http://www.youtube.com/watch?v=hy-7Jqwpymk