Die Sinnhaftigkeit des Reeperbahn-Festivals zeigt sich an Konzerten wie diesem. Da ich mich jedes Jahr brav und pflichtbewusst durch mehr als 400 Bands höre, findet man unter den vielen Newcomern und No Names jedes Jahr auch wieder neue Künstler/Innen, die mir ohne diese Vorbereitung durch die Lappen gegangen wären und die schnurstracks zu meinen neuen Favoriten avancieren. Meine Neuentdeckung des Reeperbahn-Festivals 2023 waren EGYPTIAN BLUE, die kurze Zeit später auch mein persönliches Album des Jahres veröffentlichten: „A living commodity“. Ein toller und eingängiger Mix aus Postpunk, Math Rock, New Wave und Garage Rocks, der vor allem auch Fans von den FOALS gefallen sollte. Apropos FOALS: wahrscheinlich kein Zufall, dass auch EGYPTIAN BLUE-Gitarrist Leith Ambrose eine Travis Bean-Gitarre spielt wie auch FOALS-Gitarrist und Sänger Yannis Phillippakis. Diese Gitarren sollen sich durch mehr Sustain auszeichnen und durch ihren Aluminium-Hals weniger verstimmen. Was für beide Bands mit ihren ausgefeilten Gitarrenpickings nicht ganz unwichtig sein dürfte.
Und anscheinend hatten die Briten auf dem Reeperbahn-Festival auch schon andere Zuschauer für sich begeistern können. Denn ein Konzert an einem Wochentag mit ca. 70 Besuchern ist für eine Band, die just ihr Debütalbum veröffentlicht hat, durchaus beachtlich. Zwar war die Stimmung nicht ganz so ausgelassen wie auf dem vollen Backyard im Herbst letzten Jahres – aber legendäre Konzerte sieht man auf dem Reeperbahn-Festivals ja gar nicht mal so selten. Ich erinnere mich an ein Konzert von SHAME im Jahre 2016, als sie kurz nach Mittag dem Publikum ihren Kater entgegenschrien. Großartig! Doch auch heute war die Stimmung ausgesprochen gut, es wurde mitgetanzt, mitgesungen und anschließend ordentlich gejubelt. Das Set bestand, klar, größtenteils aus Songs ihres Debütalbums, aber auch drei ältere Singles waren dabei, während mit den Stücken „Who’s pulling the strings?“ und „Kimono“ (auch bei Bandcamp zu finden) bereits ein Einblick in das neue Material gewährt wurde. Neu schien mir übrigens auch ihr Schlagzeuger, aber mehr habe ich da nicht in Erfahrung bringen können.
Zum Ende des Sets gab übrigens Leiths Verstärker den Geist auf, es wurde sogar schon ein Ersatz besorgt, bis er doch wieder funktionierte – solche Dinge kennt wohl jeder Musiker. So knüpfte man die Zugabe direkt an die Zwangspause an, bis mit „Nylon wire“ der Abend abgeschlossen wurde.
Bitte bald wiederkommen und gerne ein neues Album mitbringen!