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DRITTE WAHL – 10

Was DRITTE WAHL auf ihren beiden vorangegangenen Alben „Gib acht!“ und „Geblitzdingst“ bereits angedeutet hatten, hat sich mittlerweile bestätigt: Das einstige Aushängeschild des Heavy Metal-affinen Polit-Deutschpunks ist mit seinem zehnten Album (aus musikalischer Sicht) endgültig im Deutschrock-Sumpf angekommen. „Klingt wie ONKELZ für Linke“ hat mir gar ein Kumpel per WhatsApp-Nachricht geschrieben, nachdem er dieses Album das erste Mal gehört hatte. Soweit würde ich allerdings nicht gehen, denn auf den im Deutschrock-Bereich stark ausgeprägten Hang zum selbstbemitleidenden Opferrollen-Pathos verzichten die Rostocker glücklicherweise nach wie vor komplett. Stattdessen beziehen sie in „Wenn ihr wüsstet“ klar Position gegen Verschwörungstheoretiker jeglicher Art, rufen in „Was wirst Du tun“ zur Zivilcourage gegen rechte Umtriebe auf oder prangern in „Zum Licht empor“ die Auswüchse eines neu aufkeimenden nationalliberalen Bewusstseins an. Zugleich läuft die Ostsee-Hymne „Der Himmel über uns“ aber auch Gefahr, von national gesinnten Idioten als Symbol für Heimatverbundenheit fehlinterpretiert oder gar gezielt missbraucht zu werden. Ein, wie ich finde, schmaler Grat, auf dem man sich hier bewegt. Abgesehen davon, dass DRITTE WAHL musikalisch inzwischen überwiegend mit angezogener Handbremse fahren, haben sie das Song-Schreiben aber keineswegs verlernt: Beim zweiten Mal hören kann man bereits fast jeden Refrain mitsingen, und es ist immer wieder faszinierend zu sehen, wie scheinbar selbstverständlich tonnenweise perfekte Harmonien aus dem Ärmel geschüttelt werden. Trotz allem kann ich eine gewisse Enttäuschung bezüglich der Entwicklung dieser eigentlich von mir sehr geschätzten Band nicht verleugnen.

Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.