Es ist Sommer, es ist Open-Air-Zeit, und es regnet. Mal wieder. Irgendwie hat es die ganze Zeit geregnet. Also geht es warm angezogen und wetterfest verpackt los auf eine kleine Expedition nach Wilhelmsburg. Mit Bus, Bahn, Bahn, Bus, bzw. Taxi. Zwei Euro plus Schlange und Gedränge für den Bus oder 8 Euro zu viert für ein Taxi. Hmmm… Taxi!
Am Gelände angekommen geht die Expedition weiter. Zum einen, weil Sand, Rasen, Regen, viele Menschen und Fahrzeuge leider Matsch, Modder und Schlamm ergeben, zum anderen, weil man beim Dockville nicht nur ein Festival-Gelände hat, sondern mehrere kleine Waldwege. Zwischen Kunstinstallation und Müllhaufen gibt es hier vieles zu entdecken. Ach Moment – der Müll war ja auch Kunst.
Jedenfalls kamen wir leider gerade erst zu BERNG BEGEMANN an. Er selbst gewohnt abdreht, aufgedreht und eigentlich auch immer wieder komisch, wenn auch musikalisch ein wenig anstrengend. Jedenfalls macht er nicht nur bei den Leute gute Laune, sondern schafft es sogar, die Sonne herbeizusingen. Schöne Sache. Hosenbeine abgetrennt, jetzt wird es noch mal richtig angenehm warm und sonnig. Und so entschließen wir uns zu einem kleinen Rundgang zur Wäldchenbühne. Dort spielen die ELEFANTS, eine STROKES-Coverband mit semi-lustigen Brillen. Ganz langweilig und uninspiriert, obwohl die Band nur von CD bestimmt erträglicher ist, als wenn man sie live sieht.
Zurück zu BLIND TERRY. Über die kann man ja nichts Böses sagen. Und das ist positiv wie negativ gemeint. Sie machen wunderschöne Popsongs, nur leider machen 80% der Bands in Schweden gerade solche Musik und entsprechend austauschbar wirkten sie. Obwohl sie doch immer wieder diese kleinen Feinheiten hatten, die den Fuß und den Kopf in emsiges Nicken versetzen. Passend zum Wetter wurde die Laune wieder besser.
Wieder eine kleine Expedition zurück zur anderen Bühne und zu THE RIVER PHOENIX, die irgendwo zwischen PLACEBO und Nu-Metal ihre Songs spielten. Live eigentlich ganz nett, auf CD würde ich mich schämen, so etwas zu besitzen, aber so waren die lauten Gitarren doch eine angenehme Abwechslung. Was allerdings noch viel mehr Abwechslung war, waren JURI GARGARIN. Einfacher C64-Techno, aber mit zu viel Charme, dass man einfach dazu feiern musste. Ich wünsche mir diese Bands für mehr Festivals, allerdings immer so gegen 1 Uhr morgens auf einer Zeltbühne, und alle rasten aus. Großes Tennis, das will ich öfter.
ALEXANDER MARCUS hingegen kann nach Hause gehen. Sorry, aber das ist so ein Hype, den ich weder verstehe, noch gut heißen kann. Dann lieber ins Dockville, eine kleine Westernstadt mit allem, was so dazu gehört. Und dazu noch direkt an der Elbe. Ein besserer Gelände kann man eigentlich nicht schaffen. Diese gemütliche Atmosphäre lässt sogar diesen Schlager-Schmalz-Typen vergessen. Obwohl in meinem Kopf immer diese Cover-Version TURBOSTAAT vs. ALEXANDER MARCUS herumschwirrt. Das wäre mal was…
Irgendwann kommen wir bei JOHNOSSI vorbei, die sind wie immer. Ein wenig limitiert in ihren Möglichkeiten, aber eigentlich ganz gut. Mittlerweile ist es auch recht voll auf dem Gelände. Wir entscheiden uns, aus der Ferne zu lauschen und dabei Chili sin Carne zu essen. Muss ja auch mal sein, denn das Angebot ist trotz der nicht so ganz günstigen Preise wirklich gut.
Zum Abschluss TOMTE. Wie immer mit einem polarisierenden Thees Uhlmann. Aber auch wie immer gut. Auch wenn DER HUND MARIE irgendwie nicht so der Schlagzeuger ist. Sah schon ein wenig unbeholfen aus. Ach ja: ich freue mich schon sehr auf die neue TOMTE-Platte! (ob)
Bevor wir uns am Samstag wieder auf den Weg nach Wilhelmsburg machten, statteten wir dem Flohmarkt am Knust noch einen kleinen Besuch ab und nahmen Otto-Platten und Spreewaldgurken-Käppies mit. Für lau, wohlgemerkt.
Jetzt aber zackig, denn EXITS TO FREEWAYS begannen ihr Set ja bereits um 15:20. Ein tolles Hamburger Trio, das im September sein Debüt-Album auf nois-o-lution veröffentlichen wird. Augen auf, wenn Ihr auf frickeligen Postcore mit tollen Melodien steht. CAVE-IN kommen mir da gelegentlich in den Sinn, wobei die neuen EXITS TO FREEWAYS-Songs etwas poppiger scheinen als das ältere Material. Keine Sorge, trotzdem gut!
Man solle um acht zur Waldbühne kommen, wenn einem das etwas zu laut war. Häh? Lassen wir uns also überraschen, was es da zu sehen gibt, aber erstmal rauf auf den Kiesberg, den man im Hintergrund des Geländes sah:
Ein schöner Ausblick von dort oben auf das gesamte Gelände, nur leider wurden wir anschließend von den Securitys aufgeklärt, dass das Betreten wohl nicht ganz legal sei. Okay, wussten wir ja nicht. PETERS fielen leider aus, da der Fuchs zu tief ins Glas geschaut hatte und schließlich mit blauem Auge und Platzwunde am Kopf auf der Intensivstation wieder aufgewacht ist. Aua! Gute Besserung und nicht so viel trinken!
Apropos trinken: die Fischerkneipe lud uns ein, aber an den Wodka Hering trauten wir uns dann doch nicht. Zünftig war es dort trotzdem, und hier fühlten sich die vielen Zimmerleute, die neben der Westernstadt und der Fischerhütte unter anderem auch eine funktionstüchtige Sauna (!) aufgebaut hatten, sichtlich wohl.
Die letzten Akkorde von SPORT mitgenommen, deren neues Album „Unter den Wolken“ noch rockiger ausfällt als der Vorgänger „Aufstieg und Fall…“. Bombastisch! Für THOSE DANCING DAYS konnte sich dann eher Ulrike als ich begeistern. Sixties Swing All Girls Indiepop aus Stockholm. Angeblich sollen die Mädels zum Teil erst 18 sein. Aha!
Danach 1000ROBOTA, von denen ich schon viel Gutes gehört hatte, nur ihre Musik bislang noch nicht. Bamm! Was ist das denn? Schnelle, fetzige Beatmusik mit einem fetten, knarzigen Bass, einer schrammeligen Gitarre und deutschsprachigen hingerotzen Vocals. Das sitzt! Wenn’s nicht auf Deutsch wäre, hätte ich drauf gewettet, dass die drei Jungs aus England kommen. Doch nein, Hamburger! Und offensichtlich nichts älter als die Band davor. Prognose: die werden richtig groß!
Danach also rüber zur Waldbühne, um das Rätsel von vorhin aufzulösen: CHEATMODEL REPUBLIC heißt das Nebenprojekt von zwei der drei ETF-Leuten. Der Gitarrist bediente jetzt vornehmlich ein E-Piano, der Schlagzeuger spielte etwas langsamer, etwas jazziger, und ergänzt wurden die beiden um einen Bassisten und einen elektrischen Soundbastler. Wow, egal, was die Jungs anpacken – es wird gut. Zum Dahinschwelgen schöne Postrock-Songs mit ordentlich Pathos und Dramaturgie. In den kraftvolleren Momenten ein wenig an PLACEBO erinnernd, in den ruhigeren Passagen an Bands wie THE ALBUM LEAF. Geheimtipp!!
SUPERPUNK im Anschluss daran sympathisch und erwachsen und zum ersten Mal nicht schief. Zumindest hatte ich sie bislang immer verstimmt in Erinnerung behalten, heute kamen sie aber unbeschwert unterhaltsam rüber. Die Euphorie für DÚNÉ kann ich hingegen nur schwer nachvollziehen. Okay, die sieben Dänen machen auf der Bühne natürlich gut was her, aber musikalisch ist das viel zu glatt, viel zu viele Refrains und viel zu offensichtlich. So begeistert man anscheinend Massen – uns nicht. Den BLOC PARTY-Vergleich im WOM-Journal kann man jedenfalls als absoluten Unsinn bezeichnen.
Gut, als nächstes dann eben DEICHKIND. Ich hasse Remmi Demmi, aber okay. Ich werde sie mir heute mal ganz unkritisch reinziehen. Und gebe mich am Ende geschlagen. Ja Jungs, ihr habt auch mich gekriegt. Dickere Beats gibt es wohl nirgendwo anders, und wenn man das Rumgeprolle mit einem schmunzelden Auge sieht, muss man geschlagen zugeben, dass die Deichkinder Entertainer par excellence sind. Nichts, was das Publikum nicht macht, wenn es denn befohlen wird. Da wurden komplette Texte mitgesungen, tausend (!) Bierdosen geschüttelt und auf Kommando geöffnet. Was für ein Fest.
Dass danach kein anderer Act mehr die Stimmung toppen konnte, war klar, wobei wir noch mal anmerken möchte, dass wir noch nie so eine grottig schlechte Band wie die TELEVISION PERSONALITIES auf einer Headliner-Position gesehen haben. Wir machen dann mal los – bon voyage! (jg)
Juhu, juhu ich fahr zum Dockville! Kurzerhand selbst von allen Lernverpflichtungen befreit, fahre ich mit Bus und Bahn hinaus ins Hamburger Umland und frage mich, wie der Senat allen Ernstes Wilhelmsburg als neues Studentenviertel etablieren möchte. Wie eine lichtgestalte Oase kommt dann zum Glück auch schon das Festivalgelände immer näher. Als solches eher klein, mit einer Haupt- und Nebenbühne ist es dank Wald- und Wiesenpfaden doch recht weitläufig und mit einer westernartigen Dockville-Holzstadt zentriert in der rund um die Uhr Background-Techno läuft. So weit, so gut.
Begonnen habe ich mit PARK. David, der unter der Sternschanzenbrücke mit einigem Charme jugendlichen Britpopherzschmerz verkörpert, konnte diesen leider nicht auf die Bühne retten. Stimmlich auch etwas daneben wurde der Auftritt jedoch dank der Verstärkung durch DJ Patex und Nik Du Sky noch ganz ordentlich. Weiter ging’s mit Bruchstücken von GISBERT ZU KNYPHAUSEN, der mich fast zum Weinen gebracht hätte. SABOT€waren wie zu erwarten großartig und kriegten auch den Mitglieder-/Instrumentenwechsel nach Jan-Eikes Ausscheiden hin als wäre nie etwas gewesen. Auf der Hauptbühne spielen jetzt FOTOS. Ja, Geschmacksache. Es gibt jedoch bestimmt schlimmere Bands, die junge Menschen am Anfang ihrer musikalischen Sozialisation hören könnten, und es kommt zu einem der wenigen Momente jugendlichen Tumults am Nachmittag. ME SUCCEEDS begeistern auf ganzer Linie und sind meiner Meinung nach der beste Auftritt des Sonntags. Mona Steinwidder singt wunderschön, spielt Schifferklavier, Klarinette und wer weiß was, Lorin Strohm sieht hinreißend aus, und zusammen mit Sebastian Kokus kommen die besten Beats des Tages heraus. Während den TING TINGS habe ich mir dann beim China-Mann die Sonnenbrille klauen lassen. (vv)
Abschließend dann der Sonntags-Headliner: FETTES BROT. Pünktlich um 21 Uhr fanden sich nahezu sämtliche noch anwesende Festivalbesucher vor der Hauptbühne ein, um das Wochenende gebührend ausklingen zu lassen. Für mich bedeutete der Auftritt der Brote vor allem eine Reise in die eigene Vergangenheit: Etwa Mitte der Neunziger hatte ich zwischenzeitlich ein Faible für HipHop-Musik und habe die Band zu der Zeit ziemlich oft gesehen. Ob bei kleinen Jams vor 200 Leuten im Hamburger Umland, bei den legendären HipHop-Open-Airs im Garten des Schenefelder Jugendzentrums, oder mit meiner damaligen Clique als einzige anwesende Nicht-Schlipsträger bei einer peinlichen Werbeveranstaltung einer Bankfiliale, die sich durch die Vorstellung moderner „Jugendtrends“ als kreativer Finanzpartner für junge, erfolgreiche Leute profilieren wollte – wenn das Trio irgendwo im Umkreis von 30 Kilometern den DAT-Rekorder anschmiss und zum Mikro griff, war ich meistens mit dabei. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich in dieser Zeit mit zwei Schulkameraden auch selber zum Mikrophon gegriffen und zu den Instrumentals der ersten ABSOLUTE BEGINNER- und eben FETTES BROT-Singles rappend von einer Karriere als MC geträumt habe. Wir haben aufgrund unseres Unvermögens nach kurzer Zeit das Rappen aufgegeben, lediglich unser damaliger Kumpel, der die Platten auf den Plattenteller bugsiert und dazu begeistert rumgescratcht hat, ist dem HipHop treu geblieben. Er nennt sich heute „Excel. Pauly“ und ist seit einigen Jahren der DJ von FETTES BROT…
Wenn man die Konzerte von damals mit dem Auftritt beim Dockville vergleicht, dann liegen dazwischen nicht nur Welten, sondern ganze Universen. Der DAT-Rekorder ist einer Live-Band gewichen, Jeans und ausgewaschene Kapuzenpullover wurden gegen eine stilvolle Garderobe eingetauscht, und das Publikum vor der Bühne hat sich vervielfacht. Was sich nicht verändert hat, ist die Leidenschaft, mit der die sympathischen (Ex-)Pinneberger ihr Ding durchziehen. Sie zelebrierten ihren, nennen wir es mal „Post-HipHop“, mit voller Hingabe und wussten die Massen vom ersten Ton an mitzureißen. Die ausgereizte Bezeichnung „Hitfeuerwerk“ könnten FETTES BROT-Fans für den Auftritt wohl guten Gewissens anwenden: Ob aktuelle Songs wie „Bettina, zieh dir bitte etwas an“ und „An Tagen wie diesen“ (mit Gastauftritt von Pascal Finkenauer), Stücken aus der Anfangsphase ihres kommerziellen Durchbruchs, wie „Da draußen“ und „Welthit“, oder auch der Klassiker „Jein“ – die Brote haben beim Dockville ihre erfolgreiche Karriere in komprimierter Form Revue passieren lassen und setzten mit ihrem Auftritt ein imposantes Ausrufezeichen hinter ein Festival, welches durch seine kreative und unkonventionelle Art wohl zu den interessantesten in Deutschland zählen dürfte. (bc)