Wenn das mein Vater wüsste… Reicht es denn nicht aus, dass ich freiwillig mein Zimmer aufräume? Dass ich Jazz inzwischen gar nicht mehr so öde finde? Dass ich meine Schuhe ausziehe, wenn ich die Wohnung betrete? Ich hätte auch nicht gedacht, dass es mich aus freien Stücken jemals auf ein Country-Konzert ziehen würde. Dass dieses Konzert fast zwei Stunden dauert und ich tatsächlich bis zum Ende bleibe.
Möglicherweise liegt es an meiner Begleitung, und wir sind zusammen einfach für obskure Veranstaltungen prädestiniert. Damals bei Alma Hoppe gingen wir zur Pause (der Vergleich mit Max Goldt und Co hinkt nicht nur, er ist vollkommen falsch). Heute waren schon wieder kleine Stehtischchen mit Barhockern vor die Bühne gerückt. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten ein Konzert, wo wir den Altersdurchschnitt nicht anhoben sondern senkten.
Es geht um BLUE MOUNTAIN, eine Alt-Country-Band, die sich vor 18 Jahren in Oxford, Mississippi gründete, sich zwischenzeitlich auflöste und vor zwei Jahren wieder reformierte.
Herr Hudson spielt Les Pauls, manchmal auch Mundharmonika, seine Gattin Bassgitarre. Der Schlagzeuger könnte alterstechnisch auch der Sohn sein, ist es aber aufgrund der Hautfarbe offensichtlich nicht. BLUE MOUNTAIN sind so etwas wie die Mitbegründer des Alternative Country / Americana, Lauries Zwillingsschwester spielt Bass bei WILCO. Aber es ist nicht nur der Legendenbonus, der mich zu dem Konzert lockte, tatsächlich wusste ihr vorletztes Album „Omnibus“ auch nachhaltig zu gefallen. Eine bunte Mischung aus Country, Indie, Folk, Rock, Pop, Singer/Songwriter, Rock & Roll und Blues. Und so gestaltete sich auch das Live-Programm: zu Beginn des Sets ging es recht Country-, kurz danach Indie-lastig los, nach einer guten halben Stunde wechselte das Programm in Richtung Rock. Da wurde auch kaum ein Klischee ausgelassen, das Wah-Wah fast in jedem Song bedient und rumgepost wie nichts Gutes. Ohje. Aber irgendwie auch lustig. Danach flachte das Set ein wenig ab, bis es durch diverse Cover-Songs wieder aufgelockert wurde. „Es kommen noch ein, zwei Songs“, war die Ansage, tatsächlich folgten noch etwa zehn. Für eine ad hoc-BEATLES-Einlage zeigte Cary seinen Mitstreitern flugs die Akkorde, und schon ging’s los. Das nenne ich spontan. Zum Ende des Sets dann die offensichtlichen Hits, die die gute Stimmung noch weiter steigerten. Da klar war, dass die Band eine Zugabe spielen würde, verschwand man auch nicht erst hinter die Bühne, sondern unterhielt sich kurz mit den Fans in den ersten Reihen, bevor es weiterging. Fast zwei Stunden dauerte das Set, die Stimmung war gut, ebenso die Stimme von Cary, die mir am eindrucksvollsten in Erinnerung bleibt. Nach dem Set sprach ich ihn drauf an, dass ich gelegentlich auch an die LEMONHEADS oder SOCIAL DISTORTION denken musste. „You’re absolutely right“, war seine Antwort. Die LEMONHEADS kenne er zwar kaum, den Vergleich habe er aber schon mehrfach gehört. Und Punk habe man schließlich früher auch selbst gemacht. Wie ich denn auf das Konzert aufmerksam geworden sei, wollte er noch wissen. „I´ll give you my e-mail address. Please send me the link.” Ein bisschen Deutsch könne er auch verstehen, schließlich war man schon viermal hier. Na dann…