BLACKMAIL – II

Das waren noch Zeiten, als 1997 Schwester Hildegard mit aufs Plattencover durfte. Oder besser: Mit drauf musste, um mit dem damals verpönten Hairspray-Rockimage zu brechen. Ja, das war ein Hingucker! Wer hätte gedacht, dass 16 Jahre später die olle Hildi durch zwei dreckige Schrottplatz-Juggis ersetzt werden würde, die vor einem vergammelten Ami-Schlitten dann doch nicht so ganz dreckig aussehen, ja eher eine Art US-Roadmovie-Style transportieren?
Ich lass mal das ganze Vorgedöns von wegen zweites Album „II“ mit zweitem Sänger, 20 Jahre BLACKMAIL, vielleicht sogar die wichtigste deutsche Rockband, etc. weg, und komme zur Musik. Erstens: Es gibt zehn Independent-Rock-Songs (so nennt man das doch, oder?) mit dicken Oberarmen (also dann doch kein Indie?) zu hören. Doch, und das muss man den vier Jungs lassen: Die antrainierte Masse hinsichtlich Produktion, wie Arrangements steht ihnen gut. Der Song „Impact“ klingt so wie er heißt. Ein schwerer Einschlag wird durch hymnenhafte Melodie verstärkt. Zweiter Song, und gleichzeitig zweiter Anspieltip: „The rush“. Hier wird der vielleicht noch liegengebliebene Alt-Fan mit aufs Boot gehievt. Noch ein Wort zum kurzen Intermezzo „La futura“, bei dem laut Internetrecherche Kurt Ebelhäuser selbst am Mikrofon steht. Ich frage mich nur, weshalb er keinen Song in Normallänge singen durfte, denn der Wechsel tut der Platte, ohne den Einsatz von Mathias Reetz schmälern zu wollen, insgesamt gut. Wer es gern anfangs etwas balladesk mag, dem kann noch „Day of doom“ empfohlen werden.
Das Beste, was mit dieser Platte aber einhergeht, ist die Nachricht der Genesung von Drummer Mario Matthias. Auch wenn für mich die Schlagzeugarbeit der letzten Platte „Anima now!“ von Aushilfsdrummer Anton Zaslavski dadurch interessanter wirkte, weil meistens solche Bands mit Schwester Hildegard auf dem Plattencover keinen Drummer mit solch hohem spielerisch-technischem Niveau beschäftigen. Trotzdem: Genesungs-Nachrichten liest man gerne, vor allem wenn dadurch ein gutes Stück Musik gesichert wird. BLACKMAIL werden also erwachsen. Ich hoffentlich bald auch. Übrigens: der Wikipedia-Eintrag über Roadmovies gibt gut die Stimmung der Platte wieder. Ein bisschen schmalzig, ein bisschen Herzschmerz, ein bisschen von gestern, ich fühl mich wohl.