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BIG SPECIAL – National average

Kennengelernt habe ich BIG SPECIAL im Herbst 2023 auf dem Reeperbahn Festival in Hamburg. Damals hatte das Duo aus Birmingham gerade ein paar Singles und EPs veröffentlicht, das Debütalbum stand noch aus. Trotzdem war der enge Karatekeller im alten Molotow schon vor dem Gig bis zum Anschlag gefüllt. Und es überraschte wenig, dass sie mit ihrer energiegeladenen Performance gleich bei ihrem ersten Auftritt in Deutschland für restlose Begeisterung sorgten.
Dieser Mix aus Punk, HipHop und Blues, getragen von Joe Hicklins eindringlichem Gesang, begleitet lediglich von Drummer Cal Moloney und ein paar elektronischen Samples – so etwas hatte man bis dato nicht gesehen. Irgendwo zwischen Spoken Word, Chants, Rap und kirchenchorartigem Bariton pendelte Hicklins Stimme, während Moloney einen Soundteppich spannte, der sich irgendwo zwischen Punk, Post-Punk und düsterem Industrial bewegte. Die Texte: wütend, verzweifelt, anklagend. So stellt man sich das Leben in Birmingham vor.

Doch wie geht’s nun weiter? Ein einfaches „Mehr vom Selben“? Überraschenderweise nicht – und das ist gut so. Denn „National average“ bietet noch weitaus mehr als das, was BIG SPECIAL bisher ausgezeichnet hat. Natürlich bleibt der In-die-Fresse-Sound erhalten, doch plötzlich tauchen neue Farben auf. Mehr Instrumente, mehr Soul, mehr Tanzbarkeit – ohne die Düsternis ganz zu verlieren.
Schon die erste Single „God save the pony“ überrascht mit bluesiger Gitarre, irgendwo zwischen JON SPENCER BLUES EXPLOSION und RADIO 4 – oder, etwas aktueller, YARD ACT mit einem Schuss Garage. Das knallt gleich zu Beginn ordentlich rein. Ähnlich treibend sind „Professionals“ und „Yes Boss“, beide mit punkigem Einschlag. „Domestic bliss“ hingegen lässt erstmals ein Saxophon erklingen und erinnert damit an DEADLETTER. In „Thin horses“ schließlich entfaltet sich die volle Bandbreite von Hicklins Stimme – zart, soulig, getragen – und wird zum Songende von SLOWDIVEs Rachel Goswell ergänzt. Was für ein Duo! Mindestens so gänsehautverdächtig wie einst NICK CAVE mit KYLIE MINOGUE.
Was mich an diesem zweiten Album aber am meisten beeindruckt: BIG SPECIAL bleiben nicht stehen. Sie entwickeln sich weiter – und wie! Dass sie nur ein Jahr nach ihrem Debüt ein derart ausgereiftes Zweitwerk vorlegen, ist schlichtweg bemerkenswert.

Meine Bewertung