„We are your numbers“ zählt für mich zu den Alben des Jahres – paaren BARRA HEAD auf diesem Werk doch die Kraft des Hardcore mit der Komplexität des Mathrock und versehen das Ganze auch noch mit den schönsten Melodien des Post-Rock. Klingt kompliziert? Keineswegs! Denn die Kombination der verschiedenen Teile gelingt ihnen vortrefflich. Umso gespannter war ich auf das Konzert in der Roten Flora, eilte ihnen doch außerdem der Ruf einer famosen Live-Band voraus. Und tatsächlich konnten die drei Dänen sämtliche Vorschusslorbeeren problemlos einheimsen. Denn sie funktionierten wie ein Uhrwerk, und Mario hatte nicht Unrecht, als er zuvor behauptete, sie würden wie ein einziges Instrument klingen. Auf Showeinlagen wurde komplett verzichtet, dafür merkte man den Jungs die Spielfreude förmlich an. Selten, dass man bei einer Band eine solche Kommunikation untereinander beobachtet. Bisweilen hatte man den Eindruck, sie hätten die Zuschauer vergessen und würden dort oben nur musizieren, um sich selbst in einen Rausch zu spielen. Nach einer guten Stunde und ordentlich Applaus der etwa fünfzig Anwesenden folgte noch eine Zugabe, bis die drei sich verabschiedeten und Sänger Mikkel und Schlagzeuger Jakob sich mir zum Interview stellten.
Tolle Show! Ihr habt heute ja bereits zum sechsten Mal in Hamburg gespielt. Habt Ihr irgendeine besondere Connection zu der Stadt, oder liegt es an der Nähe zu Dänemark?
Mikkel: Ich glaube, es fing damit an, dass Hamburg auf dem Weg nach Belgien bzw. Holland lag. Aber wir spielen hier immer sehr gerne. Ich weiß gar nicht, warum hier immer so eine gute Atmosphäre ist. Dabei haben wir andauernd in anderen Clubs gespielt.
Jakob: Auftritte in der Roten Flora waren immer sehr gut, aber die enge Astra-Stube, wo man auf einer Höhe mit dem Publikum steht, auch.
Mikkel: Stimmt, da musste man immer aufpassen, dass man den Zuschauern nicht auf die Füße tritt!
Mit Bands wie DIEFENBACH, THE MAGIC BULLET THEORY, THE KIND OF BITTER und BARRA HEAD greifen momentan ja gleich einige dänische Bands gleichzeitig nach den Sternen. Da ihr euch musikalisch alle stark voneinander unterscheidet, kann man sicherlich noch nicht von einer bestimmten Szene sprechen, aber kennt man sich untereinander?
Jakob: Ja, zumindest einige der genannten Bands sind ja auf unserem Label, Play/Rec. Und auch mit DIEFENBACH haben wir schon einige Male gespielt. Das sind gute Freunde von uns.
Mikkel: Bei THE KIND OF BITTER spiele ich ja auch mit. Dass man sich untereinander kennt, hängt aber auch sicherlich damit zusammen, dass Dänemark schon sehr klein ist.
Habt Ihr noch weitere Tipps zu Bands aus Eurer Gegend?
Jakob: MENFOLK, mit denen wir heute Abend zusammen gespielt haben, sind eine großartige Band. Und BABY WOODROSE…
Mikkel: LACK! Die nehmen gerade ein neues Album auf, das total anders klingt als die bisherigen Sachen. Das ist viel rockiger und weniger Hardcore.
Jakob: Und nicht so deprimierend. Eine sehr gute Platte, aber sie arbeiten momentan noch dran und suchen noch nach einem neuen Label.
Die Musikjournalisten tun sich ja ziemlich schwer damit, Eure Musik zu umschreiben, und kramen dabei in allen möglichen Schubladen herum. Ist Euch schon eine Beschreibung untergekommen, die Euch überhaupt nicht gefallen hat?
Jakob: Ich mag es nicht, wenn die Leute sich die Musik nicht richtig angehören. Ein Typ hat uns beispielsweise mal mit den MANIC STREET PREACHERS verglichen. Das war schon beleidigend! (alle lachen)
Mikkel: Er sagte sogar, wir würden von ihnen klauen!
Jakob: Daraufhin hat ein anderer Mitarbeiter von dem Magazin die Review geändert und geschrieben, wir würden von den PIXIES und TOOL klauen! (Erneutes Gelächter).
Mikkel: Es ist schon lustig, dass in jeder Review andere Referenzen auftauchen; MANIC STREET PREACHER, TOOL, PIXIES, FUGAZI, SHELLAC, THE POLICE. Aber eigentlich sehen wir es als Kompliment, wenn wir mit den verschiedensten Bands verglichen und nicht sofort einem bestimmten Genre zugeordnet werden.
Gibt es Referenzen, die Euch fehlen und welche, die Euch sehr gefallen haben?
Jakob: Ich habe mich sehr über den Vergleich mit THE POLICE gefreut, weil ich ein sehr großer Fan von Stewart Copeland bin. Aber insgesamt gefällt es mir mehr, wenn man die Musik ohne Vergleiche zu anderen Bands beschreibt. Vergleichen ist altmodisch!
Wie würdet ihr eure Musik denn selbst betiteln?
Mikkel: Daran arbeiten wir noch! Wenn uns jemand fragt, sagen wir immer: „Some kind of rock!“
Jakob: Oder Metal?
Ich habe gelesen, dass ihr in dieser Besetzung zusammen spielt, seit ihr das erste Mal ein Instrument in der Hand hieltet. Wie waren denn die Anfänge?
Mikkel: Als wir 1991 anfingen war’s wohl noch Punkrock. Aber wir kannten zu Beginn noch keine Akkorde und wussten nicht, wie man spielt, und so fingen wir an, uns Akkorde auszudenken.
Und wie klappt es, dass ihr dann noch immer zusammen spielt? Da muss man sich ja gleichzeitig weiterentwickeln und auch noch dasselbe musikalische Ziel anvisieren…
Mikkel: Ich glaube, gerade weil wir zusammen anfingen, Musik zu machen, haben wir alle denselben, beziehungsweise keinen Background, sondern nur den Willen, „BARRA HEAD-Musik“ zu machen, statt eine Hardcore-/Emo- oder was auch immer Richtung einzuschlagen.
Jakob: Wir investieren mehr Energie dafür, das Beste aus unseren Instrumenten zu holen und einen passenden Sound zu finden. Uns ist es wichtig, dass jedes Instrument seine eigene Persönlichkeit hat.
Wie lange dauert es, bis ein Song fertig ist?
Mikkel: Das ist unterschiedlich…
Jakob: Nicht mehr so lange wie früher!
Mikkel: Am Anfang haben wir an einigen Songs jahrelang gearbeitet. Die Songs sind zwar nach wie vor nie abgeschlossen, aber wir arbeiten daran weiter, wenn wir sie live gespielt haben oder verändern bei späteren Proben die Art des Spielens.
Sind sie denn fertig, wenn Ihr sie auf Platte gepresst habt?
Mikkel: Nein, absolut nicht. Ein aufgenommenes Stück entspricht nur immer dem jeweiligen Moment.
Jakob: Es bleiben aber immer Räume für Improvisationen übrig. Wenn wir uns richtig wohl fühlen, schaffen wir auch schon mal zwei total verschiedene Songs an einem Abend.
Mikkel: Wir arbeiten aber auch gerne unterschiedlich an den Stücken. Ein bestimmter Song braucht vielleicht ein ganzes Jahr bis er fertig ist, ein anderer nur zwei, drei Proben. Und auch die Art und Weise, wie wir das Songwriting angehen, ist immer sehr unterschiedlich.
Jakob: Es endet meist ganz anders als es anfing. Mal startet es nur mit einem Gitarrenriff oder einem Drumbeat, aber das Ergebnis hat dann mit der ursprünglichen Idee oft gar nichts mehr zu tun.
Mikkel: Als wir anfingen, die Songs für das neue Album zu schreiben, wohnte ich gerade in Italien, und da fand der Austausch nur per Tapes statt, die wir von Kopenhagen nach Italien sendeten und umgekehrt. Da schickte man sich teilweise nur einzelne Riffs uns Textzeilen zu. Das war großartig, weil jeder separat an seinen eigenen Ideen feilte, und wir uns per E-Mail sehr viel darüber unterhielten, wie wir die Stücke haben wollten.
Jakob: Wir sprechen generell sehr viel über unsere Musik. Ich glaube, dass wir beim Komponieren sogar mehr reden als spielen.
Nehmt Ihr die Musik beim Proben immer direkt auf?
Mikkel: Wir haben damit angefangen, die Sachen beim Jammen aufzunehmen.
Und wie seid ihr als Band zusammengekommen? Als Freunde?
Mikkel: Ja, wir sind alle im selben Dorf aufgewachsen und dann zusammen nach Kopenhagen gezogen.
Ihr seid eine ziemlich gute Live-Band, während viele Bands heutzutage scheinbar nicht mehr so viel Wert auf die Live-Umsetzung ihres Materials legen. Habt ihr da einen sehr hohen Anspruch an Euch selbst?
Jakob: Ja, aber das bezieht sich nicht nur auf die Live-Umsetzung. Bands, die ich wirklich mag, sind allerdings auch immer gute Live-Bands, und die gehen dann meist nur ins Studio und nehmen ihr Zeug 1:1 auf. Ich habe die PIXIES auf ihrer Reunion-Tour gesehen, und hätte vorher niemals gedacht, dass sie auch live so gut sind.
Mikkel: Mir ist es sehr wichtig, live zu spielen. Man kann sich zwar auch zu Hause hinsetzen, die Stücke anhören und die Texte lesen, aber live kann man zeigen, was sie bedeuten.
Hört ihr auch zu Hause eure CD an?
Mikkel: Direkt nachdem wir sie aufgenommen haben. Aber das war’s dann auch schon.
Jakob: Ich habe die Platte nur zwei bis drei Wochen nach der Aufnahme angehört.
Ihr habt bereits in zwölf verschiedenen Ländern gespielt. Gibt es Unterschiede?
Mikkel: Für dieses Album ist es unsere erste Tour, aber die Konzerte zu unserem Debüt waren alle sehr gut. Es gibt auf jeden Fall Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. Dänemark ist sogar der schlechteste Platz zum Auftreten.
Jakob: Aber schreib das nicht!
Ihr macht ja fast alles eigenständig – die Tourplanung, die Suche eines internationalen Vertriebs, etc. Warum?
Mikkel: Es ist schon sehr viel Arbeit. Inzwischen haben wir schon so viel Zeit investiert, dass wir es nicht mehr aus unseren Händen abgeben wollen. Aber wir suchen noch nach einem deutschen Label für die Veröffentlichung unseres aktuellen Albums, weil wir nicht die Kontakte und Zeit für den Vertrieb in Deutschland haben.
Was hat es mit dem Album- und Songtitel „We are your numbers“ auf sich, in dem es ja auch heißt “Numbers don’t lie”?
Mikkel: Es ist eine lange Geschichte. Ursprünglich geht es in dem Song um den Irak-Krieg und wie man Leute davon überzeugen kann, in den Krieg zu gehen.
Und woher kommt der Name BARRA HEAD?
Jakob: Es ist der Name eines Schiffes, das in dem Hafen lag, in dem wir damals, 1992, abgefahren sind. Als wir auf der Suche nach einem passenden Cover waren, gelangten wir in Kontakt mit der Reederei, der das Schiff gehört. Und sie haben uns letztlich die Entwürfe des Schiffes zugesandt, die man jetzt auf dem Cover zur „Arrival“-Split mit MENFOLK und dem Album wiederfinden kann.
Mikkel: Und wir mögen auch die Analogien zwischen den Nummern bzw. Entwürfen und den Songtiteln.
Vielen Dank für das Interview.