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APPARAT – Es ist ganz und gar keine Sommermusik

In stürmischer Ruhe präsentieren sich APPARAT – „Wir sind APPARAT“, so Sascha Ring – an dem lausommerlichen Dienstagabend hinter den Toren des Kampnagelareals. Das live vertonte Theaterstück „Krieg und Frieden“ von Leo Tolstoi (unter der Regie von Sebastian Hartmann, dem 1968 geborenen Intendanten des Schauspiels Leipzig) spitzt sich die nunmehr zwölfjährige Entwicklung APPARATs zu.
„DAS ist er, da, der letzte”, bemerke ich begeistert. Hinter fünf barfüßigen Gestalten – Wasser und Bier stehen schon bereit sowie eine Vielzahl von Instrumenten – hebt Sascha Ring seinen Arm, winkt und wird vom sehr gut gefüllten und bestuhlten Saal mit Applaus empfangen. Dann ist es still in meinem Rücken. Erst nach stehenden Klängen, die ausnahmsweise ohne liegende Bässe daherschweben, getraue ich mich wieder zu atmen und meinen Puls zu spüren. In eine kurze Stille fügen sich Geräusche des Publikums wie Husten und Sitzeknartschen, was mich sehr an sinfonische und dramatische Inszenierungen erinnert: Wir sind gebannt bis zum letzten Klang, der aus Zugaben von seinem vorherigen Album „Devil’s walk“ besteht; sind gebannt bis eine Person aus der ersten Reihe aufspringt und für Jubel sorgt, den ich besser gestikulierend, klatschend und rufend nicht ausmalen könnte. Der Saal steht auf und verabschiedet das gerührte, sich in einer Umarmung verbeugende Künstlerteam.
Manchmal erhebt sich Ring und legt minimale Melodien mit allegorischen, wortwiederholenden Texten in die für mich winterlich emotionale Wall of Sound. Dann sticht er mit seinem schmalen Körper hinter dem hochragenden Mikrofonstativ hervor, ohne aber das Instrumentale zu behaupten.
Einige Male tauchen die für mich APPARAT ausmachenden Klänge auf: „Sie schwatzen wie die Schwalben” = Gelooptes Zwitschern, das aus rückwärts verdrehten Tönen erzeugt wird. Ansonsten dominiert ein tonales Theater:
– Schiebende, Raum gestaltende, unaufdringliche Bässe
– Schnelle, zurückhaltende Kicks, die Ring mit seinem Kopf verfolgt
– Streicher getragene Dramatik, die bis zur tieferen Seele vordringt
– Atmosphäre aus einer Sammlung an hallenden Lauten wie veränderte Vocals
– Crescendi, die ihre Auflösung im Ende des Stückes erfahren
– Oder: ein Öffnen eines Kronenkorkens, das Ring schmunzelnd in ein Stück einfügt
Wer sich ein wenig mit Hintergründigem beschäftigen möchte, betrachtet die Instrumentierung, die sich aus Klassischem wie Altflöte, Trompete, Violine und Violoncello über analog-perkussives wie Floor Toms, Becken, CD-Ständer und Rassel bis hin zu Sonstigem wie Akai APC-Regler, Korg MS 20, Roland Juno 60 und anderen Tasten und Knöpfen von Effektgeräten ergibt, welche sich wiederum von den knienden Künstlern bedienen lassen. Die wandfüllende Leinwand hinter den im Halbkreis sitzenden Instrumentalisten gestalten in Echtzeit von der Bühne aus zwei Visualisierende u.a. mit Holz, silbereisigen und tiefroten Farben, hüpfendem Granulat und Stanniol. Sie bilden horizontale, hellgraue Linien auf Schwarz oder mich an einen vertikal bewegenden Vorhang erinnerndes Abstraktes aus zerkratzt und zerbrochen Wirkendem.
Für mich war es ein Trost: „Wir sind im August wieder da mit MODERAT“, so der sehr sympathische bald 35-Jährige in einem seiner wenigen Sätze, streift sich ein letztes Mal sein kinnlanges Haar aus dem Gesicht und ist fort, bis er zum Glück wieder kommt.