Mit diesem seltsam-schwammigen Palindrom Pop ist das so ´ne Sache. Was mal garstig und widerspenstig Neues proklamierte, Fragen stellte, Verkalktes aufbrach, wabert heute vor abnickenden und einschlafenden Berlin-Mitte-Boys durch die Tanzflure und Ikea-Wohnzimmer, eingeklemmt im Flimmern und Rauschen zwischen der Media-Markt-Werbung und der Telefonwarteschleife des Pizza-Bringdienstes.
Pop, pOp, pop. Wie schielen gemeinsam auf the next new thing. Und dennoch: RADIO BORROUGHS sind so verdammt Pop. Und so verdammt gut aussehend dabei. So verdammt smart im Umgang damit. Denn trotz Mut zur Eingängigkeit und zur Melodie, zerstören RADIO BORROUGHS die Idylle immer wieder, bewegen sich kurz vor dem Ausbruch, am Rande zur Distortion. Auch textlich ist das ganz weit weg von dem, was sich heute so Pop schreit: „You know it´s true, we make mistakes, but we are human and not an error.“ RADIO BORROUGHS schmieren keine Parolen an Wände, sondern fragen: „Do you function? Do you fit in the shape?“. Und immer wieder finden sich Referenzen – gesanglich, instrumental – auf das, was Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre Emocore hieß. Kleine Momente zwischen den Orten, zwischen den Plattenrillen, auf dem Cover (eine Amsel hat einen Nähfaden im Schnabel, der in monatelanger Heimarbeit durch die Pappe gezogen wurde), die sich gerade deshalb richtig anfühlen, weil sie nicht bombastisch in dein Leben brechen. Und so transportieren RADIO BORROUGHS eine kritische Grundhaltung, ja, mithin sogar so etwas wie eine Attitüde formerly known as Punk/Hardcore, und zeigen, dass diese nicht immer in brachialem Soundchaos enden muss.
Pathetischer Epilog: Als ich vor einiger Zeit in der Hasenheide lag, den Jongleuren beim Jonglieren, den Trommlern beim Trommeln, den Weltverbesserern beim Weltverbessern zusah, wühlte ich in meiner Tasche und fand ein Buch, das ich am Abend zuvor blind aus dem Regal gefischt hatte: „Der Aufbruch nach Turku“ von Hubert Fichte, sein Einstieg in die Literatur, ein paar Gesachichten, Schnappschüsse, Fragmente, fast manuskripartig. Schüchtern, ohne großen Aufwand, ohne den schielenden Blick auf deutsche Großerzählungen, beschreibt er hier seine Zeit in einem Kinderheim in Nordschweden. Ich las die ersten Zeilen der Geschichte „Lef“, in dem sich Fichtes Held Axel nach seiner Ankunft in Schweden zurechtzufinden versucht. Ganz behutsam. Fast schüchtern nähert er sich seiner neuen Umgebung, seinen Mitmenschen. Da sind die Seen und da ist Lef, dieser Junge, der aussieht wie James Dean, dessen Haar so schön duftet, er möchte ihn allzu gerne kennenlernen. Alles, Gespräche, Blicke, Berührungen könnten bekannt sein, es könnte alles Routine sein. Doch alles bleibt fremd, durch neue Räume, und gerade deswegen aufregend und erfahrbar, niemals perfekt, niemals ganzheitlich zu erfassen. Bei jedem Satz, den ich las, musste ich an diese großartige, herrlich unprätentiöse Mini-LP von RADIO BORROUGHS denken, die fast genauso unaufgeregt, ja, gewissermaßen auch schüchtern, doch zugleich so nah und fordernd und neugierig in mein Leben trat.