Wie man mit Trauer umgeht, muss jeder für sich entscheiden. Joe Casey, Sänger der Band PROTOMARTYR, hatte im Entstehungsprozess ihres neuen Albums den Tod seiner Mutter zu beklagen, die anderthalb Jahrzehnte lang mit Alzheimer kämpfte und mit der er gemeinsam mit seiner Familie sein ganzes Leben lang zusammen in einem Haus nordwestlich von Detroit verbrachte.
Wer PROTOMARTYR schon länger verfolgt, wird insofern nicht überrascht sein, dass man auch auf ihrem sechsten Album keinen Califonian Dreampop vorfindet. Und doch nützt diese Information zu verstehen, was Joe Casey meint, wenn er davon spricht, dass das zugrundeliegende Thema von „Formal growth in the desert“ als ein 12-Song-Testament über das „Weitermachen mit dem Leben“ zu verstehen ist.
Ja, PROTOMARTYR waren schon immer mehr der „Dark side of the moon“ als der „Sunny side of life“ zugewandt. Und doch spiegelt das neue Album durch seine finstere Grundstimmung bei gleichzeitiger Eingängigkeit ganz gut wider, wie so ein „Weitermachen“ aussehen kann. Der melancholische Grundton könnte Caseys damaliger Gemütsstimmung entsprechen, die darin enthaltenen melodischen Momente möglicherweise die Wege der Hoffnung aufzeichnen. Insgesamt wirkt „Formal growth in the desert“ tatsächlich noch abwechslungsreicher als die vorherigen Alben, und doch lässt sich ein roter Faden widerfinden, an dem jede/r Hörer/in die Weiterentwicklung der Detroiter nachvollziehen und mitgehen kann. Während manch andere Band die Wandlungsfähigkeit ihrer Fans bei jedem neuen Album auf die Probe stellen, erscheinen die Veränderungen bei PROTOMARTYR stringent, ja fast schon logisch. Während Caseys Gesang in „Fun in hi skool“ fast wie der grölige Gesang eines Fußballfans in der Kurve klingt (in Kombination mit den sphärischen Gitarren aber ausgesprochen gut aufgeht) beeindruckt er in „Graft vs. host“ mit einer klaren, schönen Stimme, die bei der düsteren Gesamtstimmung des Songs fast ein wenig an DEPECHE MODE und THE NATIONAL denken lässt. Mit „3800 tigers“ folgt anschließend musikalisch sicherlich die größte Überraschung, ein Song, der auch aus der Feder der STOOGES oder von MOTORPSYCHO zu „Barracuda“-Zeiten hätte stammen können. So ist am Ende für jeden etwas dabei, der sich für Post-Punk, Noise, Dark Wave und Americana begeistern kann. Fans von PROTOMARTYR können hier eh bedenkenlos zugreifen.