Am 12. September 2005, dem Todestag von JOHNNY CASH, zeigten die Tagesthemen das Video zu „hurt“ in voller Länge. Eine sichtlich erschütterte Marietta Slomka schluckte an ihren Tränen, als sie die Sendung mit den Worten beendete: „Ja, das war’s“.
Rick Rubin hatte es mit der „American“-Serie nicht nur geschafft, den Mythos CASH wiederzubeleben und Musikhörer unterschiedlichster Richtungen für Country & Western und Singer/Songwriter Folk zu begeistern, sein Verdienst war die Renaissance eines ganzen Genres.
JOHNNY CASH jedoch war in diesem Szenario mehr als nur der Träger von Rubins Vision, mehr als die aus der Erfolglosigkeit gerettete, alternde Country-Ikone, mehr als nur eine Inspiration für die neue Songwriter-Generation. Er war wieder CASH. Er war sogar mehr CASH als je zuvor.
Die aufrichtige Traurigkeit und nahezu spirituelle Ernsthaftigkeit mit der er in Rubins Studio eigene Songs intonierte und vor allem fremde zu seinen eigenen machte, schufen ein Bild von JOHNNY CASH, welches den meisten Menschen prägnanter in Erinnerung bleiben wird als Joaquin Phoenix im hochgelobten Biopic „Walk The Line“.
Wer heute „rusty cage“, „hurt“ oder „one“ im Ohr hat, denkt nicht mehr an SOUNDGARDEN, NINE INCH NAILS oder U2, und selbst den BEATLES-Klassiker „in my life“ möchte man nur noch aus nostalgischen Gründen in der Originalversion hören.
Nach dem Ableben des „Man in Black“, nach der mehrfach ausgezeichneten Verfilmung seines Lebens, den vielen Compilations und Hommagen wurde vielerorts auch mögliche Leichenfledderei aus dem Hause Rick Rubin befürchtet, beharrte dieser doch auf die Veröffentlichung des letzten Teiles der „American“-Reihe. Befürchtet wurde zu unrecht, beharrt zu Recht.
„A hundred highways“ beschließt den Zyklus dort wo er begann: bei einem alten Mann, seiner Gitarre und einer handvoll bewegender Songs. Kein Schlagzeug, keine Band, keine Gastmusiker stören auf diesem Album die liebevolle, zutiefst anrührende Begegnung zwischen JOHNNY CASH und seiner Liebe: der Musik. Wieder gibt es feinfühlig ausgewählte Traditionals („god’s gonna cut you down“) und Eigenkompositionen zu hören, aber eben auch Cover von GORDON LIGHTFOOT („if you could read my mind“) bis BRUCE SPRINGSTEEN („further on up the road“).
Sehr viel traditioneller, in sich ruhender und trockener produziert als die übrigen vier Kooperationen mit Rubin kommt „American V“ daher – JOHNNY CASH blickt hörbar auf sein Leben zurück und dem nahen Tod ins Auge. Titel wie „on the evening train“, „a legend in my time“ oder das abschließende „i’m free from the chain gang now“ klingen wie ein letzter Gruß an die Welt.
„Well our good times are all gone / and I’m bound for moving on / I’ll look for you / If I’m ever back this way” (aus “four strong winds”).
Es macht traurig, JOHNNY CASH auf diesen Aufnahmen “zum letzten Mal” singen zu hören, doch nie war so einfache Musik herzergreifender. Ein würdevoller Abschied.