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MILLENCOLIN – Eros Ramazotti, Gangsta Rap und die Geheimpläne der schwedischen Regierung

Obwohl relativ viel Zeit vergangen ist seit dem Konzert in der Großen Freiheit (19.11.2005), sollte man sich dieses Interview nicht entgehen lassen. Die Überschrift kann nämlich nur andeuten, was alles in den folgenden Zeilen aufgedeckt wird: was man von MILLENCOLIN nie wieder live hören wird, wieso es so viele gute schwedische Bands gibt und natürlich die Verbindung von EROS RAMAZOTTI zum Gangsta Rap. Aber bevor noch vor Aufregung auf die Tastatur gesabbert wird, fangen wir auch schon an. Ich hatte die Ehre, mit Nikola Sarcevic persönlich zu sprechen, was mir die ganze Sache erleichterte, denn wir kennen uns schon seit ca. zehn Jahren, und euch die Sache noch interessanter zu machen, schließlich habe ich meine persönliche Beziehung gnaden- und rücksichtslos ausgenutzt, um für euch auch noch die letzten pikanten Details aus dem armen Nikola herauszuquetschen. Tim von Left Lane Booking war ebenfalls anwesend und hat mit seinen perfekt passenden Fragen und Einwürfen Herrn Sarcevic endgültig aus der Reserve gelockt.

[F]Da eure Tour fast zu Ende ist, frage ich mal ganz einfach, wie sie denn so war.
[A]Sehr gut war sie – wenig Stress. Dies ist ja quasi der zweite Teil der „Kingwood“ Tour, den ersten Teil haben wir im April und Mai diesen Jahres absolviert. Dieses Mal haben wir auch sehr viel Hilfe mit FLOGGING MOLLY, RANDY und THE UNSEEN. Besonders FLOGGING MOLLY ziehen viele Leute an.

[F]Wie ist diese Tour eigentlich zustande gekommen? Wieso tourt ihr nicht allein und lasst euch von lokalen oder nationalen Bands begleiten?
[A]Diese Tour wurde von unserer Booking-Agentur organisiert, zusammen mit Eastpak und Vans und auch Burning Heart. Unser Booker wusste, dass wir touren würden und Eastpak und er hatten dann zusammen diese Idee.

[F]Das ist also keine grundsätzliche Entscheidung zugunsten solcher Package-Touren, sondern es hat sich diesmal einfach so ergeben?
[A]Ja, wir fanden, es ist eine gute Sache für uns, so ein starkes Line-up für den zweiten Teil der „Kingwood“ Tour.

[F]Wo wir gerade bei den beiden Teilen der Tour sind: warst du denn in diesem Jahr überhaupt zu Hause mit den beiden Touren und deiner Solo Tour?
[A]Ja schon. Ich hab’ übrigens zwei Kinder …

[F]Also musst du zu Hause sein!
[A]Ich muss zu Hause sein. Dieses Jahr war relativ stressig, besonders für meine Familie. Meine Verlobte war viel allein mit den Kindern, und das kann schon anstrengend sein. Letztes Jahr war ich auch viel beschäftigt mit den Aufnahmen der Platte. Das Album davor, „Home from home“, kam vor drei Jahren raus, so hatten wir vor den Aufnahmen etwas Zeit… Es war schon okay. Wenn man Kinder hat, dann ist man immer beschäftigt. Selbst wenn man zu Hause ist, ist man beschäftigt.

[F]Aber du hattest nicht so viel um die Ohren mit MILLENCOLIN?
[A]Ich hab’ nicht allzu viel getan. Das Solo-Album kam letztes Jahr raus, und ich hab’ bloß vier Shows in Deutschland solo gespielt plus eine Show in Schweden, also nicht wirklich viel Promotion. Aber hoffentlich, wenn ich noch eine Solo-Platte aufnehmen sollte, werde ich mich mehr dem Touren und so widmen können. Übrigens habe ich noch eine Solo-Show dieses Jahr in Deutschland auf dem Zettel. Die DONOTS spielen ’ne Weihnachtsshow.

[F]Und da spielst du auch?
[A]Sieht so aus, als sollte ich dort den Main Support geben. Das ist alles noch nicht 100% sicher, aber hoffentlich spiele ich dort ein paar Solo-Songs.

[F]Tim: Wenn Du Songs schreibst, entscheidest Du vorher, ob es ein MILLENCOLIN-Song werden soll, oder wie läuft das ab?
[A]Bevor ich zur Gitarre greife, entscheide ich das nicht, aber wenn dann so langsam die Teile zusammen kommen, kann ich das schon relativ sicher sagen. Es ist allerdings schon schwieriger, wenn man den Song schneller spielen kann, als MILLENCOLIN-Song, aber er auch durchaus sanfter gespielt werden könnte. Manchmal muss man sich einfach entscheiden.

[F]Habt ihr denn schon mal als Band einen Song geprobt und gemerkt „Näh, das funktioniert gar nicht!“?
[A]Tja, ich so viele Ideen für Songs, die ich dann mal ’ne gewisse Zeit ruhen lassen, und dann, wenn es wieder Zeit für ’ne neue Platte wird, nehme ich mir alle diese Ideen noch mal vor und schaue, was man so nehmen könnte für MILLENCOLIN. Zum Beispiel der Song „The ballad“ vom „Pennybridge pioneers“-Album: wenn ich den heute geschrieben hätte, wäre der auf meinem Solo-Album gelandet. Das Solo-Projekt hatte ich damals aber noch nicht, und so wurde es „The ballad“.

[F]Jedes MILLENCOLIN-Mitglied hat was ganz eigenes am Start im Moment, richtig?
[A]Jep.

[F]Und während Matthias also im Studio arbeitet und Erik vor allem mit Layout und so zu tun hat, hat Larzon ’ne Crust-Band mit Namen I REN DESPERATION?
[A]Vielleicht. Ich bin mir nicht sicher. Das letzte, was ich mitgekriegt habe, ist seine Crust-Band mit dem Namen KVOTERINGEN.

[F]Apropos MILLENCOLIN – euch gibt es schon ganz schön lange.
[A]13 Jahre!

[F]Und außerdem habt ihr während dieser Zeit nicht ein einziges Mal einen Besetzungswechsel gehabt.
[A]Ja, ich denke auch, dass es wohl nicht so üblich ist, dass nach so langer Zeit niemand keinen Bock mehr hat oder so.

[F]Euer Geheimnis?
[A]Keine Ahnung. Vielleicht, dass bei uns immer so ’ne Art Demokratie in der Band herrschte. Jeder in der Band hat seine eigene Rolle, Position, Aufgabe. Matthias und ich schreiben die Songs, ich schreibe fast alle Texte, Matthias passt auf MILLENCOLIN, die „Firma“, auf, Papierkram und so. Larzon und Erik arbeiten vielleicht sogar am härtesten für die Band, denn wir haben ein eigenes Büro bei Burning Heart, und sie sind jeden Tag dort, bringen die Homepage auf den neuesten Stand (Erik macht die ganz allein), organisieren den ganzen Band-Kram und so weiter. Bei diesen Dingen bin ich nicht so involviert. Jeder macht sein Ding in der Band, und am Ende wird das Geld gleich aufgeteilt. So ’ne Art kapitalistischer Sozialismus – jeder kriegt das Gleiche, aber jeder macht, was er am besten kann. Und ich denke, das ist der Grund dafür, dass wir immer noch zusammen sind, denn so kann jeder machen, was er am besten kann und was er mag. So läuft man nicht Gefahr …

[F]Frustiert zu werden?
[A]Genau! Außerdem sind wir alle befreundet schon bevor wir mit der Band angefangen haben. Wir kannten uns schon. Andererseits ist es schon schwierig … 13 Jahre, von 18 bis 31 – da passiert schon so einiges, so dass es manchmal schwierig ist, die Band auf Kurs zu halten.

[F]Tim: Nach diesen 13 Jahren als MILLENCOLIN, gibt es noch Dinge, welche ihr unbedingt als Band noch erreichen wollt?
[A]Nein, was das Touren, die Festivals oder bestimmte Clubs angeht eigentlich nicht. Klar ist es nett, immer ein wenig mehr Leute auf deinen Konzerten zu sehen, aber unsere Ansprüche liegen in der Musik. Deswegen werden wir aufgeregt, und dort sehen wir unsere größten Herausforderungen: Musik zu schaffen, so lange wie’s geht. Natürlich ist alles andere auch wichtig, aber für mich ist es am wichtigsten, mit der Musik zufrieden zu sein und es immer noch als Herausforderung ansehen zu können, Musik zu schreiben.

[F]Aufbauend auf der Ausgangsfrage: neben MILLENCOLIN gibt es eine Reihe weiterer schwedischer Punkbands, die mit euch „groß geworden“ sind und ebenfalls noch immer dabei sind – RANDY, SATANIC SURFERS, VENEREA zum Beispiel – gibt es da ein gemeinsames Geheimnis?
[A]Ich hab’ keine Ahnung. Für die anderen Bands kann ich nicht antworten. Die Jungs von RANDY machen den Eindruck, als wenn sie sehr gut miteinander auskommen. Die Atmosphäre in der Band stimmt einfach, das sind alles dicke Freunde. Da ist sehr wichtig, denke ich, die Beziehungen in einer Band. Mehr kann ich auch nicht dazu sagen.

[F]OK, also kein Geheimplan der schwedischen Regierung dahinter?
[A]Tja, es war einfach damals ein sehr guter Zeitpunkt in Schweden für Bands, um anzufangen. Man konnte eine ganze Menge Hilfe von der Regierung bekommen. Für einen Proberaum zahlte man ca. 40 oder 50 Euro alle sechs Monate, und diese Räume waren schon voll ausgerüstet mit Equipment, Gitarren, Drums und so weiter. Das war alles nicht superneu und supergut, aber es war perfekt für uns, denn wir konnten kaum spielen. Und das ganze Fördersystem lief so ab: man probte, füllte bestimmte Formulare und Vordrucke aus, dass man wirklich da war und etwas Kreatives tat, und dann bekam man Geld von der Regierung! Das Geld haben wir für Studiozeit genutzt. Und je mehr man probte und spielte, desto mehr Geld bekam man! Wir haben viel geprobt und gespielt damals, und so konnte man im ersten Jahr schon drei Demos aufnehmen, obwohl die Studios teuer waren. Und diese Aufnahmen haben uns sehr geholfen, uns zu verbessern. Das erste Demo war schrecklich, das zweite schon besser, aber noch immer miserabel. Ab dem dritten Demo waren wir dann so langsam in der Lage, Songs schreiben zu können, und das war unser erstes Jahr. Dieses ganze System machte es damals für viele Kids einfacher, Bands zu starten.

[F]Ich hab’ noch ein paar Fragen zur aktuellen Platte „Kingwood“. Ich finde sie weitaus besser, als die beiden Scheiben davor („Pennybridge pioneers“ und „Home from home“), vor allem weil ich das Gefühl habe, dass sie etwas härter, schneller und konsequenter ist.
[A]Ja, ich denke, unser neues Album ist ein guter Mix, viel Abwechslung. Es gibt einige wirklich schnelle Stücke, vielleicht sogar schneller als jemals zuvor wie zum Beispiel „Simple twist of hate“.

[F]Genau das war der Song, der beim ersten Anhören herausstach und bei dem ich dachte: „Whoa, MILLENCOLIN geben endlich wieder Stolle!“
[A]Ja, dabei hatten wir gar keinen Plan oder so, nach dem Motto: „Lasst uns solch eine Platte machen!“. Wir haben bloß die Songs geschrieben, die aus uns heraus wollten zu diesem Zeitpunkt, an denen wir Spaß hatten. Und nach einer Weile wurde uns klar, dass wir einen großen Mix an verschiedenen Songs hatten. Das ist natürlich wieder gut und schlecht. Das Album könnte einem auch seltsam erscheinen … schizophren (Gelächter).

[F]Tja, die ersten beiden Songs („Farewell my hell“ und „Birdie“) passen zu dieser Beschreibung, die Texte sind ja mehr oder weniger direkte Gegensätze.
[A]Durchaus! Es hat Spaß gemacht. Das Album ist so einer Art „Best of“ mit nur neuen Songs. Alle verschiedenen Stile von MILLENCOLIN sind vertreten – bis auf Ska. Es gibt keinen neuen Ska-Song. Aber davon abgesehen sind, kriegt man alles.

[F]Dann gibt es da diesen Song „Shut you out“ und mich würde interessieren, ob irgend jemand von JIMMY EAT WORLD sich schon bei euch deswegen gemeldet hat. Als ich den Song zum ersten Mal gehört habe, dachte ich glatt das wäre JIMMY EAT WORLD.
[A]Wir sind alle große JIMMY EAT WORLD-Fans, von daher denke ich, dass der Song von ihnen inspiriert wurde, aber auf keinen Fall geklaut oder so. Aber klar, der Song hat eindeutig eine JIMMY EAT WORLD-Atmosphäre.

[F]Und dann noch der Text zu „Mooseman’s jukebox“, der heraussticht. Ich finde die Idee super. Irgend ein bestimmtes Ziel, eine bestimmte Absicht?
[A]Ich versuchte, neue Wege zu finden, Texte zu schreiben, denn…

[F] … nach 13 Jahren wird das immer schwieriger?
[A]Ja, allerdings. Verzweifelt suchte ich nach neuen Wegen oder neuen Themen oder Sichtweisen, um Texte zu schreiben. Und dann, ich glaube, es war Matthias, der die Idee hatte, einfach Songs bzw. Songtitel zu benutzen. Und das hab’ ich dann gemacht, und das hat großen Spaß gemacht.

[F]Es hat auch Spaß gemacht zu versuchen, alle Songtitel zu identifizieren. Ich hab’ überraschenderweise vor allem die Punksongs erkannt, aber insgesamt sah das eher hoffnungslos aus.
[A]Das sind echt viele – MADONNA, BOB DYLAN, KISS, SAMIAM, WEEZER, RANCID, einige schwedische Bands, THE PEEPSSHOWS, THE BEATLES natürlich.

[F]Wo wir gerade bei Bands sind – welche Bands gibt es denn, die du gerne hörst, welche die Leute aber nicht unbedingt von dir erwarten würden. Du hast ja gerade schon zugegeben, ein MADONNA-Fan zu sein.
[A]Ja, natürlich.

[F]Irgendwelche peinlichen Geheimnisse?
[A]Na ja, frag’ jeden, der in einer Band spielt, jeden, der Musik macht und jeder wird dir sagen, dass er es aus Liebe zur Musik macht, und da ist das Genre total egal, solange es gute Musik ist. Und ich persönlich mag einfach gute Songs.

[F]Ich zum Beispiel, hab’ in der Schule auch mal MARILLION gut gefunden, und das verfolgt mich bis heute, bzw. die Sprüche meiner Freunde deswegen. So etwas in der Art meinte ich.
[A]Ja also, MARILLION hab’ ich nie gehört (Gelächter). Vielleicht fällt mir doch was ein… eigentlich sind einige gute Songs drauf … EROS RAMAZOTTI „In oni senso (?)“. Ich glaub’ das war seine bekannteste Platte. Und das war auch meine erste CD, die ich mir gekauft habe.

[F]Oh ja, das waren Zeiten …
[A]Ich glaub’, ich hab’ die CD gekauft, bevor ich überhaupt einen CD-Player hatte, das war’n Sonderangebot.

[F]Tim: Gar nicht schlecht – meine erste CD war SAMANTHA FOX (Gelächter).
[A]Ich bin mir aber nicht sicher, denn ich hab’ mir auch die ICE-T „Original Gangster“ gekauft.

[F]Hey, da gibt es doch dieses alte Foto von Dir, wo Du ein ICE-T T-Shirt trägst. Übrigens, hat „Mooseman’s jukebox“ was mit BODYCOUNT zu tun?
[A]Oh nein (Gelächter)! Dieser Elch ist schwedisch! Aber ich war ein großer ICE-T Fan, bin zu seinem Konzert nach Stockholm gefahren. Er war für mich das Größte in den späten 80’ern und frühen 90’ern, bevor ich mit Punk in Kontakt kam – Gansta Rap!

[F]Das ist mir auch passiert. Es gibt da noch Bilder von mir, auf denen ich verzweifelt versuche, möglichst hart zu sein. Etwas peinlich heute!
[A]Ich war genauso drauf! Ich dachte, Gangsta Rap wäre das coolste Ding überhaupt …

[F]Kurze persönliche Überleitung – auf eurer Tour ’96 mit THUMB und VOODOO GLOW SKULLS bin ich noch mit Matthias morgens gegen 8:00 Uhr über den Markt in Bremen gelaufen, verzweifelt auf der Suche, nach einem Pommes-Stand, der wusste, ob seine Fritten in pflanzlichem Fett brutzelten – für Veganer eine ungemein wichtige Sache. Außerdem gibt es da noch den Song „Story of my life“ über vegetarische Ernährung – also: wer ist noch dabei?
[A]Tja, einer aus der Band ist nur Fisch – er ist wohl „der Beste“. Ansonsten essen wir alles heutzutage … unglücklicherweise … ich konnte der Salami nicht widerstehen.

[F]Tim: Ich auch nicht (Gelächter)!
[F]Naja, vielleicht ist die ganze Frage eher persönlich. Damals hab’ ich alles gefuttert und jetzt, wo ich vegan bin, …
[A]Also, es kam uns sehr wichtig vor damals. Und alle haben mitgemacht, wurden Vegetarier oder Veganer, und wir dachten uns: „Oh, das ist gut!“. Als wir anfingen mit Touren und so war ich noch kein Vegetarier, und ich hab’ kräftig zugenommen von dem ganzen schrottigen Essen und natürlich vom Wechsel von einem normalen Leben zu Hause und dem Touren und Trinken und all dem Kram. So hab’ ich in einem halbem Jahr ca. zehn Kilo zugenommen (Gelächter). Ich sah’ ungefähr so aus (seine Hände zeichnen die Ausdehnung in drei Dimensionen nach) (noch mehr Gelächter). Von daher war es damals sinnvoll. Es war mir wichtig, etwas zu tun, mein Leben zu ändern und sich vegetarisch zu ernähren, sah nach der Antwort damals aus.

[F]Spielt ihr denn „Story of my life“ noch live?
[A]Nein, die Band hat beschlossen, live keine Ska-Songs mehr zu spielen.

[F]Oh, also nicht wegen des Textes?
[A]Nein, grundsätzlich keine Ska-Songs mehr live.

[F]Das Kapitel ist also abgeschlossen?
[A]Ja, es fühlt sich einfach nicht mehr richtig an.

[F]Ich hab’ schon fast keine Fragen mehr. Um dieses Interview mal rund zu machen: da ihr schon seit 13 Jahren dabei seid, was sind Dinge, die du vermisst von früher? Und was sind Dinge von heute, auf die du keinesfalls verzichten möchtest?
[A]… mir fällt gar nichts ein, das ich vermisse.

[F]Tim: Das ist doch schon eine Antwort!
[A]Vielleicht, dass früher alles spontaner war. Wenn man jünger ist, dann ist alles neu, und du hast noch keine festen Rahmen, in denen du agierst. Du testest noch deine eigenen Grenzen aus. Und vielleicht vermisse ich diese Spannung … vielleicht … nicht wirklich … ich bin gar nicht der Typ, der zu Hause sitzt und die alten Tage glorifiziert, aber die Energie dieser Zeit, wenn man jung ist (Gelächter) …

[F]Ja, als alter Typ sitzt man nur zu Hause rum … (noch mehr Gelächter)
[A]Es ist gut und schlecht, denn gleichzeitig vermisse ich das Ganze gar nicht. Ich mag mein Leben ohne all diesen Verwirrungen und diesen Stress. Heute lebe ich konstanter und stabiler und bin nicht mehr so nervös und ruhelos, was früher immer der Fall war. Und eine gute Sache heutzutage ist der kabellose Internetzugang auf Tour. So kann man seine E-Mails nachgucken und online Schach spielen, was super ist zum Zeit tot schlagen. Denn auf Tour spielst du deine Show, aber auch wenn das der größte Teil ist, bleibt immer noch viel Zeit über. Da braucht man einfach etwas, was man machen kann, was einen beschäftigt.

[F]Du bist also großer Schachspieler?
[A]Ja, ich mag Schach spielen auf Tour. Klar, wenn man die Energie aufbringt, um etwas Kreatives zu tun, um so besser, aber es ist auch gut, einfach die Zeit tot zu schlagen und sich auf etwas ganz anderes zu konzentrieren. Du setzt die Kopfhörer auf, hörst Musik und spielst Schach mit Leuten im Internet.

[F]Und du bist folglich richtig gut, oder?
[A]Na ja, alles ist relativ. Wenn ich mich mit Leuten vergleiche, die sehr oft spielen, dann… Also, sagen wir mal so, ich kenne die Regeln, und ich kann Leute schlagen, die die Regeln nicht kennen (Gelächter).

[F]OK, die allerletzte Frage: Seht ihr euch noch als Punk-Band? Hat dieses Label noch eine Bedeutung für euch? Hat es euch überhaupt jemals soviel bedeutet?
[A]Als wir anfingen, war das schon wichtig, ein Teil von etwas zu sein, eine Punk-Band zu starten. Und die ersten Bands, die wir hatten, da sangen wir über Dinge, über die andere Punk-Bands schon gesungen hatten: die Umwelt, die Polizei, den Staat – klassische Punk-Themen halt. Und das taten wir nicht, weil wir wirklich so hinter diesen Themen standen, sondern weil wir dachten, dass man das so macht als Punk-Band, dass es bei Punk Rock genau darum geht. Aber heutzutage ist dieses Label nicht mehr wichtig für uns. Wir kennen uns selber, wissen, wer wir sind. Wir denken nicht mehr in diesen Kategorien. Wir machen unsere Musik… Es ist jetzt mehr so, dass wir uns lustig machen darüber, denn in Schweden und überhaupt in allen Medien brauchst du ein Label. Und so machen wir uns mehr darüber lustig: „wir sind eine Skate Punk-Band!“. Aber ist uns nicht wirklich ernst damit. Auf der anderen Seite wissen wir, wer MILLENCOLIN ist und wir würden nie … wir könnten nie ein Jazz Album aufnehmen (Gelächter). Wir wissen, was wir mit MILLENCOLIN machen wollen, mehr oder weniger, und wenn wir etwas anderes machen wollen, dann machen wir das als Solo-Projekt.

[F]Punk nicht als Genre, aber als Teil von MILLENCOLIN?
[A]Musikalisch sind Punk Rock und Skate Punk und so unsere Wurzeln, und das wird man auch immer in unserer Musik hören.