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In der Indie-Disco is a light that never goes out mit DJ EAVO

Davon träumen viele, doch kaum einer kann es realisieren: Ivo Schweikhart alias DJ EAVO tourt seit einiger Zeit als Club-DJ quer durch die Republik. Er reist 50.000 Bahnkilometer im Jahr, aktuell legt er regelmäßig in Berlin, Bochum, Bremen, Dresden, Dortmund, Düsseldorf, Hamburg, Hannover, Kassel, Köln, Leipzig, Mainz, München, Münster, Osnabrück und Paderborn auf. Ausrufezeichen!
Grund genug für Blueprint, Kontakt mit dem Münsteraner aufzunehmen, der in seinem Indie-Set „Take Me Out“ das Goldene Jahrzehnt des Indie-Rock auferstehen lässt…

Hallo Ivo, du bist 50.000 km im Jahr mit der Bahn unterwegs… da hast du doch mit Sicherheit ein Lieblingslied das vom Zugfahren handelt?!
Ganz eindeutig „Pilot“ von THE NOTWIST: „Now he’s trying the whole day to switch off time by causing train delay.“

Was sind denn, biografisch gesehen, deine musikalischen Bahnstationen?
Gestartet bin ich als Musikfreund in den 80ern als großer Anhänger der SMITHS, leider ist MORRISSEY irgendwann abgedreht. In den 90ern war ich eine der Nervensägen, die bei WG-Partys die dortige Kompaktanlage unter ihre Kontrolle zu bringen suchten. Und ab 2002 habe ich mit ein paar Leute meine erste Indie-Party, den „Pretty Day“, in Münster gestartet, darauf folgten die „Fieber-Tanzparty“ und „Tempocopter“ und seit 2014 die „Take Me Out“. Dazu hatte ich immer diverse „Nebenpartys“, so wie aktuell z.B. den „Eisbären“ oder die „Neinmaschine“.

Wie sieht es bei dir mit dem Können, Müssen und Wollen in Sachen Finanzen aus? Lässt sich mit dem Plattenauflegen so viel Geld verdienen, dass andere Dinge zurückgestellt werden können?
Was das Finanzielle angeht: Gerade kann ich mich nicht beklagen. Aber es kommen bestimmt auch wieder schwierige Zeiten, ich habe das Auf und Ab schon ein paar Mal mitgemacht, leider.
Andere Dinge? Meinst Du „echte Arbeit“? Eigentlich habe ich nur einmal für ein paar Wochen von morgens bis nachmittags in einem Büro gehockt, während eines Praktikums im Rahmen meines Studiums in den Neunzigern. Das war schrecklich. Ich habe den ganzen Tag Solitär gedaddelt und war am Abend trotzdem völlig erschöpft. Es ist schon ein Luxus, dass ich von etwas leben kann, was mir immer noch riesigen Spaß macht. Und das nach, wie ich kürzlich überschlagen habe, ca. 1.800 Auflegenächten (= ca. 11.000 Stunden bzw. ca. 200.000 Songs). Dafür bin ich sehr dankbar. Allerdings ist es nicht so, dass der Auflege-Job das reinste Zuckerschlecken ist. Ich lege in der Regel sechs bis sieben Stunden alleine auf – und das meist in zwei aufeinanderfolgenden Nächten, dazu die Reisen und der inverse Schlafrhythmus… das geht manchmal ganz schön an die Substanz. In der Woche kann ich mir dafür meine Zeit frei einteilen, dann kümmere ich mich um den ganzen Bürokram, wie Booking und Steuern – und versuche, die Leute in den sozialen Medien bei Laune zu halten.
Daneben habe ich viel Zeit für mich zum Lesen, Musikhören und für kleine Reisen. Einmal im Monat moderiere ich noch ein Kneipen-Quiz.
Neben dem Auflegen habe ich noch ein anderes bezahltes Hobby: Mit einer Freundin restauriere und koloriere ich digital historische Fotos.

Gib es ruhig zu: Kann man dich kaufen?
Na ja, ich verdiene mein Geld mit dem Auflegen, da wäre es vermessen zu behaupten, ich sei nicht käuflich. Aber direkt käuflich bin ich natürlich nicht. Einmal fand ich am DJ-Pult einen 10€-Schein, beschriftet mit einem Musikvorschlag. Den Wunsch habe ich nicht gespielt.

Wie stehst Du denn zu Musikwünschen?
Die sehe ich total positiv! Ich versuche immer, so viele wie möglich in mein Set einzupuzzlen, denn etwas Besseres als Musikwünsche kann einem Abend eigentlich nicht passieren – und mir auch nicht. Sie helfen mir dabei, dass jede Party anders wird und es für die Leute und mich interessant bleibt. Oft wünschen sich die Gäste Songs, die ich gar nicht kenne oder fast schon wieder vergessen hatte. So bekomme ich immer neuen Input. Ohne Wünsche würde ich beim Auflegen bloß im eigenen Saft schmoren. Langweilig.
Allerdings: Pro Abend habe ich meistens zwischen 50 bis 150 Musikwünsche auf dem Zettel, bzw. in meinem Wunschordner – die kann ich natürlich nicht alle einbauen.

Apropos einbauen: Worauf kommt es an, damit der Abend richtig gut läuft?
Ich achte natürlich erst mal auf die Gäste. Denn was bringt die beste Musik bei einer Party, auf der niemand tanzt? Ich bin sicher, dass ein guter Abend aus der Interaktion zwischen den Gästen und dem DJ erwächst. Und so entwickelt sich im besten Fall ganz von selbst eine gelungene Abenddramaturgie, die richtige Reihenfolge, ein Flow, der viele Musikwünsche umfasst, ohne dass es Brüche im Abend gibt. Man kann mit denselben Songs in der richtigen Reihenfolge eine rauschende Nacht zelebrieren und in der falschen Reihung eine langweilige Stehparty verbrechen. Außerdem sind mir die Übergänge zwischen den Songs sehr wichtig. Ich versuche so aufzulegen, dass die Gäste sich immer einfach weiterbewegen können. Schrecklich, wenn die Leute bei einem neuen Song erst mal stehen bleiben und überlegen, ob sie ihn kennen und ob sie weiter tanzen sollen… Dabei hilft mir, dass ich ein paar Jahre nebenbei auch Indietronics und Electro aufgelegt habe.

Was sind die größten Unterschiede zwischen dem Publikum in Hamburg, Köln, Münster, Mainz, Leipzig…?
Schwer zu sagen. Die Leute, die zu „Take Me Out“ gehen, sind sich überall schon ein bisschen ähnlich. Allerdings hat das Image des Clubs auch einen Einfluss aufs Publikum, z.B. was die Altersstruktur angeht, ob die Leute früh kommen, ob sie lange bleiben… In Berlin sind die Gäste z.B. einen Tick älter, dafür tanzen die LeipzigerInnen immer sehr, sehr lange im Club – und in Hamburg wünschen sich die Leute immer ganz viel. Manchmal habe ich auch das Gefühl, dass es lokale Hits gibt, die von anderen Indie-DJs in der Stadt etabliert wurden – oder von regionalen Bands stammen. In Bremen freuen sich viele Leute z.B. sehr über THE ARK, in Münster vergeht kaum eine „Take Me Out“-Party ohne MIYAGI, und in Hannover kommen offenbar einige THE NATIONAL-Fans zu meinen Abenden; Köln und Hamburg scheinen dagegen eine ziemlich ausgeprägte Britpop- und Britrock-Tradition zu haben.

Könntest du eine Typologie der „Take Me Out“-Besucher aufstellen? Wie sieht diese aus?
Von Vorlieben und vom Verhalten her gibt es natürlich alle möglichen Typen: Die einen stehen gern in einer dunklen Ecke, wippen ein bisschen mit, wünschen sich aber jede Menge exquisite Songs, andere tanzen einfach die ganze Nacht durch. Wieder andere stürmen nur bei den richtig großen Hits auf die Tanzfläche, an denen vorbei, die sich dann kurz an die Bar zurückziehen.
Allen gemeinsam ist eine gewisse Leidenschaft für Musik. Die allermeisten Gäste sind supernett und total entspannt – „Take Me Out“ gibt es jetzt seit vier Jahren, und die Abende, an denen die Türleute mal eingreifen mussten, kann ich an einer Hand abzählen. Ach, eine besondere Gruppe habe ich noch vergessen, über die ich mich immer besonders freue: In fast allen Städten treffe ich Menschen, die früher in Münster studiert haben und dort auf meinen Abenden getanzt habe. Die Ex-MünsterannerInnen scheint es vor allem nach Köln, Berlin und Hamburg verschlagen zu haben, dort fühle ich mich manchmal wie vor zehn Jahren im Münsteraner Amp.

Kommen wir mal zu THE SMITHS „There is a light, that never goes out“: Wenn du „There“ durch einen der „Take Me Out“-Städtenamen ersetzen solltest: welche Stadt würdest du wählen?
Das kann ich überhaupt nicht sagen. Ich bin tatsächlich überall sehr gern. Wobei ich glaube, dass die besten Partys in den Städten sind, in denen mich die Leute schon ein bisschen kennen und umgekehrt. Dann weiß ich, was geht, und die Gäste wissen auch, was sie erwarten können und was nicht. Ich bin sicher, dass es für eine gute Party wichtig ist, dass sich Gäste und DJ gegenseitig vertrauen und aufeinander einlassen.

Veröffentlichst Du deswegen auch Deine Setlists nach den Partys?
Ja, ich bin großer Freund von Transparenz. Ich poste die Setlist des Abends immer ein bis zwei Tage später in die entsprechende Facebook-Veranstaltung. Und sehr oft auch in die nächste Veranstaltung in dieser Stadt. Zum einen ist das natürlich ein Service für die Gäste, zum anderen wissen dann zukünftige BesucherInnen ungefähr, was sie erwartet (auch wenn jeder Abend anders ist) und sind später nicht enttäuscht.

Und demnächst? Auflegen in Eindhoven, Nijmegen, Brüssel oder Kopenhagen?
Ich hätte eigentlich nichts dagegen, im Moment habe ich aber leider – und zum Glück – kaum freie Termine…

Noch ein Vorschlag: Ein Teil 2 von Nieswandts „Plus minus acht – DJ Tage, DJ Nächte“ mit dem Zusatz „DJ Bahnfahren“ von DJ Eavo?
Das Buch habe ich mit Vergnügen gelesen. Vielleicht schreibe ich auch mal ein paar Dinge auf. Ich habe inzwischen ein sehr dickes digitales Notizbuch, in das ich mir regelmäßig alle möglichen Erlebnisse beim Auflegen und Bahnfahren notiert habe.

Das würde uns sehr freuen, mach das! Gib uns doch bitte zum Abschluss noch Deine persönlichen Top-Five der „Take Me-Out“-Setlist!
Schwer zu sagen, nach meinem persönlichen Geschmack wären das wohl gerade die folgenden Songs aus der „Take Me Out“-Zeit, wobei die Play-Charts ganz anders aussehen.
1. OKKERVIL RIVER – „Our life is not a movie or maybe“
2. THE WAVE PICTURES – „Leave the scene behind“
3. FOALS – „Two steps, twice“
4. THE VICTORIAN ENGLISH GENTLEMEN’S CLUB – „Impossible sightings over Shelton“
5. BILLIE THE VISION & THE DANCERS – „Summercat“

Ivo, herzlichen Dank für dieses wirklich nette Interview! Schließen wir mit einem Bahn-Song aus dem Goldenen Zeitalter des Indie-Rock:
ESKOBAR – „On a train“
I’ll be on a train it’s insane
And the wind sand grains
And all entertainment fails
I’m on a train

Dank Typen wie Ivo, Michael, Sven-Dominik, Jens, Bernd oder Markus und Co. geht auch das Entertainment weiter…!

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Bildbearbeitung: Lichtbildklinik

Jo Rößmann

Weiß nichts, kann aber alles erklären.