Als SOCIAL DISTORTION-Fan ist man mittlerweile geduldig geworden. Wartezeiten von vier bis acht Jahren für ein neues Album sind mittlerweile die Regel, und Live bekommt man die Band (vor allem in Europa) auch nur selten zu Gesicht. Umso mehr fiebert man ihrem nächsten Album jedes Mal aufs Neue entgegen, und das obwohl eigentlich von vorneherein klar ist, dass die Kalifornier ihr Götteralbum "White lighte, white heat, white trash" niemals toppen können. Zu "perfekt" gibt es nun mal keine Steigerung mehr… Obwohl SOCIAL DISTORTION mit dem Sound auf ihren Platten immer wieder andere Wege eingeschlagen haben, konnten sie ihre Fans bislang mit all ihren Schaffensphasen überzeugen, sei es mit dem vom rohen Punksound gekennzeichneten Früh-Werk "Mommys little monster", dem Country geprägten "Prison bound" oder dem Rock´n´Roll-lastigen "Somewhere between heaven and hell" – es scheint geradezu so, als könnten sie einfach keine schlechten Alben veröffentlichen! Und kaum eine (ehemalige) Punkrock-Band klingt dermaßen vielseitig und besitzt dennoch eine derart starke Identität wie die Truppe um den charismatischen Frontmann Mike Ness, der längst zu einer Symbolfigur des verkörperten Rock´n´Roll-Lifestyles geworden ist.
Sechs Jahre haben sich SOCIAL DISTORTION für den Nachfolger zu "Sex, love and Rock´n´Roll" Zeit gelassen. Sechs Jahre ungeduldigen Wartens, in denen ihre zahlreichen Anhänger gierig jedes Gerücht und jede Neuigkeit über die Band aufsogen und sich die Zeit mit dem Kauf eines überflüssigen "Greatest hits"-Albums sowie diverser Demo- und Live-Bootlegs vertreiben konnten, die in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden schossen. Doch nun ist es endlich so weit: "Hard times and nursery rhymes" steht seit letzter Woche in den Läden. Das Warten hat ein Ende.
Anstatt mit einem Paukenschlag beginnt das Album allerdings zunächst mit einer kleinen Überraschung: Ein Instrumentalstück eröffnet den Songreigen, gefolgt vom sehr bluesigen Stück "California (hustle and flow)". Und spätestens beim dritten Song steht fest, dass die Entwicklung, die Bands wie THE GASLIGHT ANTHEM in den letzten Jahren durchlaufen haben, auch bei Ness & Co. deutliche Spuren hinterlassen hat. Man ist BRUCE SPRINGSTEEN mittlerweile deutlich näher als BAD RELIGION, bedient sich stärker denn je an Elementen aus klassischem Rock´n´Roll, Blues, Soul & Country, und abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen könnte man glatt meinen, man hätte es nicht mit einem neuen SOCIAL D., sondern mit einem neuen MIKE NESS-Solo-Album zu tun.
Erst bei dem vorab ausgekoppelten "Machine gun blues" setzt das altbekannte SOCIAL DISTORTION-Feeling ein, denn der Song beinhaltet genau die Stärken, die die Band bisher ausmachten: Das Stück vereint großartige Melancholie, Gänsehaute-Melodien und eine schnoddrige (Punk-)Rockattitüde. Doch leider bildet dieser Song neben dem düsteren HANK WILLIAMS-Cover "Alone and forsacken" sowie dem schmissigen Rausschmeißer "Still alive" eine der wenigen Ausnahmen, in dem sich die Kalifornier von ihrer zuletzt gewohnten Seite zeigen. Unter den 11 Liedern der regulären CD-Version überwiegen die ruhigen und gefühlvollen Töne. So gibt es im Refrain von "Can´t take it with you" etwa einen etwas gewöhnungsbedürftigen Frauen-Gospel-Gesang zu hören, eine Orgel schleicht sich hin und wieder als ergänzendes Instrument ein, und generell lässt sich der Sound ganz gut mit den Worten "weniger Eier, mehr Seele" beschreiben. Mein persönlicher Tiefpunkt des Albums ist die Country-Ballade "Bakersfield", die geschlagene sechseinhalb Minuten höhepunktlos vor sich hin schmalzt und in dem irgendwann einsetzenden Spoken Word-Teil plötzlich erschreckend an eine amerikanische Antwort auf JONNY HILLs "Ruf Teddybär 1-4" erinnert. Ein kleiner Lichtblick sind dagegen noch die beiden Bonustracks der Vinylversion des Albums, von denen mich zumindest "I won´t run anymore" durchaus überzeugen kann.
"Hard times and nursery rhymes" als durchweg schlechtes Album darzustellen, wäre allerdings vermessen: Objektiv betrachtet findet man auch hier tonnenweise tolle Melodien, die bandtypischen sentimentalen bis pathetischen Texte und nicht zuletzt natürlich Mike Ness großartigen, unverwechselbaren Gesang. All das macht auch diese Platte ohne Frage zu einem überdurchschnittlich guten Tonträger, und man könnte sicherlich zu recht argumentieren, dass dies das bislang "reifste" oder "erwachsenste" SOCIAL DISTORTION-Werke ist. Und dennoch: Angesichts der langen Entstehungszeit sowie den übermächtigen Schatten seiner Vorgänger kann ich eine gewisse Enttäuschung nicht verleugnen.