Seit dem tragischen Tod des DELBO-Schlagzeugers Florian Lüning im Mai letzten Jahres und dem darauf folgenden Split der Band klafft eine große Lücke dort, wo hierzulande vertrackter Noisepop und Postcore-irgendwas-Gefrickel mit um die Ecke gedachten Texten gespielt wird. Doch jetzt kommen TULP ganz lässig mit ihrem vierten Album „Für Tiere Namen“ um die Ecke und schlagen genau dort ihr Lager auf. Das bedeutet nicht, dass TULP ein DELBO-Klon sind. Wie soll das auch gehen? Daran kann man nur scheitern. Sie benennen DELBO nicht einmal als musikalischen Bezugspunkt. Nein, TULP machen ihr eigenes Ding, geben sich angenehm sperrig und kryptisch verkopft, ohne dabei unzugänglich oder peinlich zu wirken. Auch bei ihnen funktioniert dieses gewisse Zusammenspiel von unverstehbaren Texten, verschachtelten Arrangements, schrägen Melodien und nicht vorhersehbaren Wendungen außerordentlich gut. Das erinnert neben DELBO manchmal auch an KARATE, RADIOHEAD zu Zeiten von „My iron lung“ und irgendwelche alten Emobands, die sich nach einer 7-Inch aus Prinzip wieder aufgelöst haben. „Für Tiere Namen“ bleibt immer einen Schritt voraus und entzieht sich dem direkten Zugriff von außen. TULP nehmen sich dabei glücklicherweise zu Herzen, was bei dieser Art von Musik besonders wichtig ist: trotz all der Vertracktheit und hohem intellektuellen Anspruch müssen die Songs fühlbar bleiben, sie müssen auch außerhalb des Gehirns im Bauch funktionieren, oder all die Mühe war umsonst. TULP schaffen diese schwierige Gratwanderung ohne fatales Abrutschen in jene Untiefen, in denen knödelig schon der Diskursrock lauert und sich nachdenklich den angegrauten Stoppelbart reibt.
Das liegt zum einen bestimmt an den Texten von Kay Lehmkuhl, die in all ihrer intellektuellen Verschlüsselung immer auch auf emotionaler Ebene berühren. Laut Presseinfo thematisiert Lehmkuhl darin vordergründig die Mensch-Tier-Beziehung. Eine Ebene darunter soll es dann um Daseinszyklen und das Abschiednehmen vom Leben gehen. Ich habe zwar absolut keine Ahnung, was das bedeuten soll und wie man das in die Texte reinlesen kann ohne französische Lyrik des 18. Jahrhunderts studiert zu haben, lasse mich aber trotzdem gerne von ihnen mitreißen. Was sagte Harald Schmidt noch zu Christian Kracht: „Ich glaube, sie können vieles formulieren, was ich nur dumpf empfinde.“ Ja, genau.
Zum anderen bleiben TULP auch durch ihre gute Produktion immer obenauf. Die Gitarrensounds stimmen und sind mit schönen Hallräumen versehen, welche dem Klang der Band eine Tiefe verleihen, die sich in den Texten wiederfindet. Besonders stark sind TULP jedoch immer dann, wenn sie ihren Parts freien Lauf lassen, ausgedehnte Quasi-Steigerungen spielen und herrlich schräge Pickings bis zum Schluss auskosten. Dann ertappt sich der Hörer dabei, wie er, Kopf aus, mit dem Bauch voran in die Musik eingetaucht ist. Ungewöhnlicherweise kann ich TULP sogar die oft benutzten Akustikgitarren verzeihen. Aber das ist ein persönliches Ding, das mit mir und den Akustikgitarren.
Was ich mir allerdings von dieser Platte gewünscht hätte, ist ein bisschen mehr Griffigkeit, ein bisschen mehr Struktur. So sehr ich „Für Tiere Namen“ auch mag: der eine oder andere echte Refrain hätte bestimmt nicht geschadet. Gibt es überhaupt einen deutlich erkennbaren Refrain auf dem Album? Oder ist das etwa Absicht, soll es das gerade nicht geben? Das kann auch funktionieren. Dann müssen die einzelnen Parts der Songs aber stark genug sein, um für sich stehen zu können, und auch die Arrangements müssen knallhart sitzen. Irgendwo dazwischen bewegen sich TULP auf ihrem ganz eigenen kunterbunten Trip. Warum sind die eigentlich nicht auf Sinnbus?