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THE SPECIALS – Protest Songs 1924-2012

 
Was soll man noch großartig über THE SPECIALS schreiben? Maßgebliche Wegbereiter des Rude Boy-Kults in Europa, Aushängeschild der 2-Tone-Bewegung (dessen Namen gebendes Label 2Tone Records von SPECIALS-Organisten Jerry Dammers ins Leben gerufen wurde), dazu mit dem 1979 erschienenen selbstbetitelten Debüt sowie dem nur ein Jahr später folgenden „More Specials“ zwei legendäre Alben, die Musikgeschichte geschrieben haben. 2019 erschien mit „Encore“ ganze vierzig Jahre nach dem Debüt ein weiteres Album, auf dem sich die Engländer im Vergleich zu ihren frühen Tagen musikalisch weiterentwickelt präsentierten. Zwar lässt auch jenes Album eine klare Ska- und Reggae-Handschrift erkennen, klingt jedoch wesentlich relaxter und facettenreicher als die erwähnten Frühwerke – eine Entwicklung, die sich nun auch auf „Protest Songs 1924-2012“ fortsetzt. Vielleicht ist der Umstand, dass es auf dem Album ausschließlich Cover-Versionen ausgewählter Protest-Songs von stilistisch völlig unterschiedlichen Musiker*innen wie LEONARD COHEN, MALVINA REYNOLDS, TALKING HEADS, CHIP TAYLOR, THE STAPLE SINGERS oder Frank Zappas MOTHER OF INVENTION vertreten sind, Grund dafür, dass man die genretypischen Offbeats hier weitestgehend vergeblich sucht. Allerdings gilt dies auch für den allseits bekannten BOB MARLEY-Klassiker „Get up, stand up“, der hier auf eine lagerfeuerkompatible Akustikgitarren-Version zusammengeschrumpft wurde. In anderen Liedern bedienen sich THE SPECIALS an vielfältigen Einflüssen wie Country, Folk, Blues oder Rock’n’Roll. Großartig zum Beispiel die Umsetzung des im Original von den DIXIE JUBILEE SINGERS stammenden Stücks „Ain’t gonna let nobody turn us around“, welches als eine Art Gospel-Stück beginnt, bevor es schließlich in eine beschwingte Blues-Rock-Nummer umschlägt. Insofern liegt hierin auch die eigentliche Besonderheit der hier vorliegenden Neuvertonungen: THE SPECIALS haben sich tiefgreifende Gedanken gemacht, wie sie den alten Originalen einen neuen Anstrich verpassen können, ohne ihnen einfach nur ein Offbeat-Gewand überzustülpen. Einige langjährige Verfechter*innen der schwarz-weißen Karo-Welt mögen das vielleicht bedauern, doch im Endeffekt ist „Protest Songs 1924-2012“ eine tiefe Verneigung vor all jenen, die in den letzten Jahrzehnten gegen Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Rassismus ihre Stimme erhoben haben. Und hoffentlich auch eine Ermutigung für diejenigen, die dies heutzutage tun.
 

Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.