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SHAME – 04.10.2025, Molotow (Hamburg)

Das Reeperbahn Festival und seine Nachwirkungen: Im Molotow waren wir vor gerade einmal zwei Wochen mehrfach, vor einer Woche bei ZOOT WOMAN, und heute stehen SHAME auf dem Programm. Entdeckt habe ich die Band tatsächlich ebenfalls auf dem Reeperbahn Festival – allerdings bereits vor neun Jahren, mittags, in der Sky Bar. Und auch den Namen EBBB verbinde ich mit diesem Festival. Sie durften in diesem Jahr ebenfalls im Molotow spielen – was mir da entgangen war, konnte ich nun nachholen. Und ich muss gestehen: Es hat sich live mehr als gelohnt.
Was ich beim ersten Reinhören noch irgendwo zwischen CHANNEL BEADS, EFTERKLANG und BOY HARSHER verortet und mit Etiketten wie „Minimal Synth / Indietronic / Art Pop“ versehen hatte, entfaltete auf der Bühne eine ganz eigene Wucht: eine ungewöhnliche Verknüpfung aus melodischen Synths, Falsett-Gesang und lautem, aber präzisem Schlagzeugspiel. Das klingt einerseits entrückt und atmosphärisch, wäre da nicht dieses knallharte, hochenergetische Drumming als Kontrapunkt. Ein bisschen, als würde man zarten Dream-Pop mit den Drums von GOGO PENGUIN in der Lautstärke einer Punkband verschmelzen lassen. Schräg? Ja. Aber gerade deshalb interessant. Hatte ich mich im Vorfeld noch gefragt, wie das wohl mit SHAME zusammenpassen soll, konnte ich hinterher nur konstatieren: kann man machen.

EBBB

Denn SHAME lassen sich längst in keine Schublade mehr stecken. Was einst im Post-Punk begann, hat sich über Indie, Noise, New Wave, 80s Pop, World Music bis hin zu Rockabilly und Discopop auf ihrem neuesten Album weiterentwickelt. Festgefahren ist hier gar nichts. Umso spannender, wie die Londoner live einen roten Faden durch all diese Facetten ziehen würden. Und natürlich schwang auch die Frage mit: Würde Bassist Josh Finerty, der kürzlich viral ging, tatsächlich wieder einen Salto samt Bass hinlegen? Wäre so etwas im Molotow überhaupt möglich?
Zunächst fiel auf: SHAME legten keineswegs mit angezogener Handbremse los. Wo „Axis of evil“, der Schlusstrack des neuen Albums „Cutthroat“, auf Platte fast dezent an DEPECHE MODE erinnert, explodierte er live in roher Energie. Mit „Nothing better“ folgte ein weiterer Song des neuen Albums, der mich unmittelbar an FONTAINES D.C. denken ließ, bevor „Cowards around“ alles kurzzeitig auf links drehte – ein sperriger Kracher, auf dem Sänger Charlie Steen mit den „Feiglingen, Arschlöchern und Heuchlern dieser Welt“ abrechnet.
„Wie wollen die das ein ganzes Konzert lang durchhalten?“, fragte mein Kumpel neben mir ungläubig. Die Antwort: Indem SHAME nach der Hälfte des Sets ein paar Gänge zurückschalteten, mehr britischen Indie-Rock als Post-Punk auspackten und das Publikum zum Mitsingen animierten. Der Alkoholpegel stieg, die Stimmung ebenso – und tatsächlich: Die gute Laune auf der Bühne übertrug sich 1:1 auf den Club. Klappt also nicht nur in England!
Irgendwann musste natürlich auch noch ein „Free Gaza!“ fallen – die Palästina-Flagge an der Bassbox hatte es bereits angedeutet. In England längst ein Ritual, in Deutschland dagegen aufgrund der eigenen Geschichte noch immer etwas heikel. Doch selbst im Molotow gab es von Teilen des Publikums durchaus wohlwollende Zustimmung. Politische Statements blieben an diesem ausgelassenen Abend ansonsten aber eher eine Randnotiz. Als gegen Ende des Sets mit „One rizla“ sogar der erste kleine Hit vom Debütalbum auftauchte, war ich über die lautstarke Reaktion fast überrascht. Offenbar waren etliche im Publikum schon länger dabei. Zum Abschluss folgte mit „Cutthroat“ der Opener des neuen Albums – alles ein wenig verdreht an diesem Abend. Aber vielleicht war es genau das, was ihn so besonders machte. Eine fantastische Show, wahrscheinlich sogar das beste der fünf SHAME-Konzerte, die ich bislang in Hamburg gesehen habe. Eine Freundin, die die Band schon neunmal live erlebt hat, pflichtete mir bei: „Aber eigentlich sind die doch immer super!“
Wo sie Recht hat, hat sie Recht. Ach, und übrigens: einen Salto gab es im Molotow nicht. Dafür aber einen Purzelbaum oder einen verunglückten Flip.