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RAY LAMONTAGNE – Am Ende doch ein sehr persönliches Interview

OK. Ich bin gewarnt worden. RAY LAMONTAGNE soll laut Presseinfo nicht nur der Retter des klassischen Singer/Songwritertums und zurückhaltender Zauberer wunderschöner Melodien, sondern auch ein verdammt schwieriger Typ sein. So zumindest der Eindruck, nachdem man wiederholt von der Promotion-Agentur daraufhin gewiesen worden ist, sich doch bitte vorher die Zunge abzubeißen, bevor man auf die absurde Idee käme, persönliche Fragen zu stellen. Beste Voraussetzungen, mein erstes Interview zu machen. Yippie. Jens im Gepäck geht’s ab ins schöne Park Hyatt, wo wir auch gleich von einem nervösen Warner-Mitarbeiter in Empfang genommen werden, der uns noch einmal ins Ohr flüstert, um was für einen besonderen Künstler es sich doch handelt. Als wir ins Konferenzzimmer kommen, sehen wir einen leicht abgerissenen und wirklich Beschützerinstinkte weckenden jungen Mann, der dann zum Glück doch nicht ganz so schwierig wie angepriesen ist.

[F] Ich habe über Dich gehört, dass Du nicht gerne Interviews wie dieses gibst.
[A] Nein, so ist es nicht. Ich mag einfach nur manche nicht. Einige können wirklich nervig sein. Ich bin einfach nicht daran interessiert.

[F] Ich habe ebenfalls gelesen, dass du im Besonderen nicht gerne über private Themen sprichst. Als ich dein Album hörte, kam es mir sehr intim und direkt vor. Wo ist der Unterschied für Dich, über Deine Gefühle und die Dinge, die Dich bewegen, wenn es denn autobiographisch ist, zu singen oder darüber zu sprechen?
[F] Musik ist eine sehr direkte Form der Kommunikation ist. Und Musik ist die Form der Kommunikation für mich. Ich möchte nicht jedermanns Freund sein. Ich habe enge Freunde, mit denen ich über Persönliches spreche, aber das möchte ich nicht mit jedem.

[F] Wenn Du Lieder mit privaten Texten schreibst, sind diese dann eher für Dich. Oder auch für den Zuhörer? Oder denkst Du über diese beim Texten gar nicht nach?
[A] Nein, ich bin einfach nur mit dem Lied beschäftigt. Zuhörer sind fiktiv, ich kann nicht versuchen, es ihnen recht zu machen. Wenn ich Lieder machen würde, um bestimmten Leuten zu gefallen, wäre ich nicht ich selbst. Das würde ich nicht machen. Die einzige Art von Musik, die ich gemacht habe, ist die, mit der ich mich ausgedrückt habe.

[F] Ich habe auch daran gedacht, es jemandem recht zu machen, als vielmehr jemanden zu berühren, ein Stück zu verändern. Sein Leben vielleicht in eine andere, bessere Richtung zu bringen.
[A] Wenn das passiert ist es wundervoll. Aber ich denke nicht daran.

[F] Kommt es Dir beim Songwriting mehr auf den Text oder die Melodie an?
[A] Alles, es ist alles wichtig. [/A]

[F] Sind die Texte zuerst fertig? Oder hast Du auch manchmal erst die Melodie und dann den Text im Kopf?
[A] Normalerweise fällt mir zuerst eine Melodie ein, dann der Text. Eine Melodie kann andere Dinge zum Ausdruck bringen als wiederum der Text es kann. Die Melodie kommt generell zuerst.

[F] Kannst Du Dir vorstellen, jemals ganz von der Singer/Songwriter-Form wegzugehen und zum Beispiel elektronische oder rockige Musik zu machen?
[A] Was auch immer für mich in der Zeit interessant sein wird, vermute ich mal.

[F] Siehst Du Dich in der Tradition des klassischen Singer/Songwriters wie YOUNG, CLAPTON oder auch CHAPMAN?
[A] Ich denke nicht wirklich darüber nach. Es ist einfach, dass eine Melodie zu mir kommt und ich etwas daraus mache.

[F] Hörst Du denn andere Singer/Songwrighter?
[A] Ich höre mir viele Sachen an. MY MORNING JACKET, THE BLACK KEYS, WHITE STRIPES, KINGS OF LEON, viele Sachen. Die BLACK KEYS mag ich wirklich gerne.

[F] Auch ältere Sachen?
[A] Sicher. Wenn mich etwas berührt, höre ich es mir an.

[F] Könntest Du Dir vorstellen, Songs zu covern?
Ray schüttelt vehement mit dem Kopf.

[F] TRACY CHAPMAN habe ich letztens im Stadtpark gehört, und sie hat ein NIRVANA-Stück auf ihre Weise gespielt, das war wirklich schön.
Ray schüttelt sich noch immer, lacht aber mittlerweile auch.

[F] Ist MySpace eine gute Möglichkeit für Dich, mit Fans in Kontakt zu treten, oder ist es mehr ein Messageboard von Fans für Fans für Dich?
[A] Das ist das Letzte, ich will sie gar nicht kennen lernen.

[F] Du hat also kein Interesse an solchen Dingen?
[A] Ich bin nicht daran interessiert, neue Freunde zu gewinnen. Ich habe Freunde, die mir wichtig sind. Freundschaften sind kompliziert. Beziehungen sind kompliziert. Die Musik ist wichtig, dass ist eine Kommunikation.

[F] Macht es Dich glücklich, nach einem Konzert ein Feedback von Deinen Fans zu bekommen?
[A] In manchen Nächten, sehr. Es ist eine wundervolle Kommunikation die da entsteht: ich gebe ihnen etwas und sie mir, und so weiter und so fort, ein wundervoller Kreislauf. Es ist großartig.

[F] Aber nur, wenn Du den Menschen dabei ins Gesicht schauen kannst und nicht digital?¦
[A] Ich möchte ihnen nicht in die Augen sehen. Ich gebe ihnen ein Lied, und sie geben mir, was auch immer das für eine Energie ist. Das ist schön, das ist perfekt, das ist, was Musik machen sollte.
Aber es ist mir egal, was sie denken. Egal. Sie könnten sagen, ich sei das Beste, was ihnen je passiert wäre, ich will’s nicht hören. Oder fragen, warum machst du nicht mal dieses oder jenes ein bisschen anders? Warum machst du’s nicht so wie vorher, dass möchten wir lieber. Ich möchte es einfach nicht hören.

[F] Ist das so, weil Du denkst, es könnte Dich beeinflussen?
[A] Nein, mich interessiert es einfach nicht. Sie können es lieben oder hassen. Sie können mich lieben oder hassen. Die Sache ist, Leute sind… Menschen sind… (sehr lauter Seufzer) lass uns einfach sagen, ich bin daran nicht interessiert. An der Masse an Verbindungen zu anderen Menschen. Ich kann mit diesen ganzen Meinungen nicht umgehen. Da sind Leute, die beurteilen dich zuerst danach, wie du auftrittst oder was du trägst. Ganz am Anfang bin ich nach den Shows raus gegangen und habe Autogramme gegeben. Und Leute sagten Sachen wie: "Warum trittst du mit einer Band auf? Wir hassen es, deine Songs sind besser nur mit Gitarre." Es ist mir egal, was sie denken! Ich möchte mit einer Band spielen, denn für mich macht es die Musik besser. Ich bin nicht gemein, und ich möchte niemals die Gefühle von jemandem verletzen, ich bin ein sehr sensibler Mensch und achte auf die Gefühle anderer, und das erwarte ich auch von ihnen. Und es passiert, dass Leute auf mich zukommen und sagen: "Ich dachte, du wärst größer". Oder: "Rasier dir mal den Bart!" Weißt du, was ich meine? Es sind Dinge wie diese, die dich verändern könnten. Sie könnten auch sagen, ich wäre der Größte, das würde ich ihnen auch nicht glauben. Und am Ende dieser versuchten Autogrammstunden und Versuche, mit den Leuten nach der Show in Kontakt zu treten, endete es häufig in Schlägereien. Da mich zum Beispiel jemand beleidigt hat. Auch wenn er größer als ich war, habe ich mich verteidigt, ich konnte immer schon für mich einstehen. Als solche Sachen anfingen zu passieren, und sie passierten einige Male, fing ich an, mich von anderen Meinungen nicht mehr stören zu lassen. Und um es noch mal zu sagen, es ist nicht um jemanden zu verletzten, es ist einfach, dass mich die Meinung anderer noch nie wirklich interessiert hat und ich mich jetzt auch nicht mehr provozieren lasse. Gut oder schlecht, denn ich weiß, wer ich bin. Und Musik ist ein Ausdruck dessen. Den och offenherzig gebe. Nicht, weil ich erwarte, gemocht oder idealisiert zu werden. Sich ausdrücken zu können, ist alles – ob ich nun male, ich habe viel gemalt, oder spiele.

[F] Warum bist Du zu einem Major gewechselt?
[A] Ich möchte Geld verdienen wie jeder andere auch. Und das auf diese Weise tun zu können, ist wundervoll.

[F] Wirst du heute Abend alleine oder mit Band auftreten?
[A] Nur ich.

[F] Findest Du es schwer, Deine Songs mit einer Band zu spielen, da es ja eigentlich "Deine" sind?
[A] Es kann schwierig sein. Aber es ist großartig, wenn du mit tollen Menschen zusammen spielen kannst. Mit einem guten Bassisten oder Schlagzeuger, oder, wenn Du die Möglichkeit hast, eine ganze String-Sektion mit einfließen zu lassen. Manchmal spiele ich aber alleine, und das ist auch toll.

[F] Wenn Du mit Band auftrittst, gibst Du dann die Art und Weise vor?
[A] In gewisser Hinsicht schon, es handelt sich ja nicht um eine Jam-Band.

[F] Du hast viel mit Ethan Johns aufgenommen. Habt Ihr die gemeinsam gespielten Lieder auch teils zusammen erarbeitet?
[A] Ich habe einen Song, probiere herauszufinden, was ich sagen möchte, was passt und was nicht. Ethan hilft mir so gut er kann, aber letztlich bleibt es meine Entscheidung. Wir arbeiten manchmal ein Lied bis auf’s Gerüst herunter, um zu sehen, wie es funktionieren kann, aber das findet dann mehr im Gespräch statt.

[F] Was gibt Dir das bessere Gefühl: sicher zu sein, den perfekten Song geschrieben zu haben, der dich selbst zufrieden stellt, oder ihn öffentlich zu präsentieren?
[A] Das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge. Wenn du ein Album aufnimmst, ist es genauso, wie du es in dem Moment wolltest. Der Moment ist das Entscheidende. Dann gibst du es dem Label, die verkaufen es und probieren, so viel Geld, wie sie können, damit zu verdienen. Wieviel sie verkaufen, ist mir dann egal, da ich eh nichts abbekomme. Das ist mir also in dem Moment egal, ich probiere einfach, etwas zu machen, auf das ich stolz sein kann. Lifeshows sind etwas anderes; ich gehe raus und probiere, den Zuhörern alles zu geben, was ich kann. Wenn es ihnen gefällt, kommen sie das nächste Mal wieder und bringen vielleicht noch ihre Freunde mit. Ich habe angefangen, für fünf Leute zu spielen, nun spiele ich für 300-500. Das ist, womit ich Geld verdiene und worum ich mich kümmern muss, jeden Abend alles zu geben und ihnen das zu geben, was sie wollen.

[F] Ist es nicht seltsam für Dich, Dein altes Album nun hier in Europa zu promoten?
[A] Schon irgendwie, aber ich muss es so sehen; das Label, bei dem ich war, hat es nicht geschafft, Platten zu verkaufen. Warum auch immer. Ihr Geschäft lief schlecht, also versuchten sie, neue Plätze für ihre Künstler zu finden. Warner sagte, wir wollen die anderen nicht, aber wir nehmen Ray. Gut. Andere Labels zeigten auch Interesse, aber sie waren wirklich aggressiv. Nun hatten sie das Album. Und wenn du eine Verpflichtung mit jemandem eingehst, und es meine Aufgabe ist, diese zu erfüllen, mache ich das natürlich. Ich promote es, spreche mit euch, beantworte eure Fragen, sie verkaufen Platten. Das ist großartig. Betrifft es mich? Vielleicht. Vielleicht werden mehr Leute es hören, die Shows größer, und das ist, was mich interessiert. Das ist der Deal. Sie machen, was sie am besten können, und ich das, was ich kann.

Was das ist, sollten wir am Abend auf einem kleinen Showcase im Indra erfahren. Es war angenehm gefüllt, und nachdem der Warnermensch seine obligatorischen Worte des zu erhoffenden Vermarktungsglückes und Lobes hinter sich gebracht hat kommt Ray ähnlich motiviert wirkend wie zum Journalistengespräch auf die Bühne. Wie schon versprochen gibt’s ihn heute alleine, begleitet durch ihn selbst an der Gitarre. Und obwohl das Album mit Band, Streichern und Pipapo eingespielt wurde, herrscht binnen Sekunden dieselbe melancholisch sehnsüchtige Atmosphäre, die man vom Hören des Langspielers im heimischen Wohnzimmer kennt. Leider ist auch die Nähe des Sängers zum Publikum mit dieser vergleichbar, und da Ray auf so profane Dinge wie unterhaltsame Ansagen oder ähnlichen Klimbim gar nicht erst eingestellt ist, ist es schon bemerkenswert, wenn er beim Singen die Augen aufmacht. Insofern liegt die Empfehlung eindeutig beim Plattenkauf und Genuss während der sonntäglichen Blues-Pflege.

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