London, 1977. Die SEX PISTOLS haben beschlossen, der Queen ein medienwirksames Geburtstagsständchen zu intonieren, mieten ein Boot, scharren eine versiffte Punkerrotte um sich und spielten mitten auf der Themse ein geschichtsträchtiges Konzert. Das Ereignis endete für die meisten Anwesenden mit einem Knastaufenthalt, während die Bandmitglieder den Fängen der Wasserschutzpolizei entkommen konnten.
Hamburg, 2009. Ca. 300 bunte Gestalten lungern seit 12 Uhr Mittags an den Hamburger Landungsbrücken herum und warten darauf, die „MS Max Brauer“ entern zu dürfen. Mit dem legendären SEX PISTOLS-Konzert von damals hat die mittlerweile jährlich stattfindende Mögenkladder-Tour (Mögenkladder = Möwenschiss, für alle Nicht-Norddeutschen!) zwar nicht viel gemein, aber dennoch kann man sich grob vorstellen, welche Atmosphäre damals bei dem Konzert auf der Themse geherrscht haben muss. Bei typischem Hamburger Wetter gings schließlich mit einer beschaulichen Hafenrundfahrt los, während sich auf dem Unterdeck LES ROEVEREN ihre Instrumente umhängten. Wie sich herausstellte handelt es sich bei der Band um ein Coverprojekt, und die Jungs lieferten mit Punkklassikern wie „I don´t wanna be your dog“ oder „Teenage kicks“ einen stimmungsvollen Einstieg für die bevorstehenden Stunden.
CHANGE YOUR DEALER erinnerten im Anschluss mit ihrem etwas sperrigen 90er-Jahre-Alternative-Hardcore an MENTALLY DAMAGED und hauten mich nicht gerade aus den Socken. Also nutzte ich die Zeit, um mich ein wenig dem maritimen Flair des Ausfluges zu widmen und genoss erst einmal die frische Luft, während der Kahn zielstrebig Richtung Glückstadt tuckerte.
PROJEKT KOTELETT wollte ich mir dagegen unbedingt antun. In meinen Augen sind die Jungs ja so etwas wie Hamburgs Antwort auf SUPERNICHTS: Charmante Punkrock-Proleten mit unschlagbarem Humor und dem Herz am rechten Fleck. Adrett mit Bermudashorts, weißen T-Shirts und Sonnenbrillen gekleidet, baten sie zum Tanz, und schnell bildete sich ein kleiner Pogo-Mob im Schiffsbauch. Der mittlerweile stark schwankende Gang einiger Süßwassermatrosen dürfte übrigens weniger dem Seegang, als dem mittlerweile in Strömen fließenden Gerstensaft geschuldet gewesen sein. Die Mögenkladder-Crew wusste schon, warum sie vorsorglich Hinweiszettel auf dem Oberdeck aufgehängt hatte, laut denen das Sitzen auf der Reling verboten sei. Der ein oder andere wäre sonst wohl spätestens hinter dem Wedeler Heizkraftwerk über Bord gegangen…
HIGHSCHOOL NIGHTMARE begeisterten anschließend mit rotzigem, melodischen Streetpunk. Dank geiler Chöre und jeder Menge Spielfreude avancierten sie glatt zu meiner Favoritenband dieses Bootstörns, und auch der Rest des Publikums ließ sich von der Band mitreißen. Die Meute grölt lautstark mit und reckt die Fäuste, so soll es sein.
Ach du Schreck – STRONGBOW aus Dresden habe ich beinahe komplett verpasst, weil ich mit einigen Leuten in leidenschaftliche Fußballgespräche vertieft war. So´n Schiet, denn die anderthalb Songs, die ich noch mitbekommen habe, waren feinster Punkrock, von dem ich mir gerne noch mehr angehört hätte. Immerhin waren meine Gesprächspartner und ich uns einig, dass Bayern dieses Jahr wieder nicht Meister wird…
Als letztes spielten dann GUTBUCKET eine schweißtreibende Mischung aus Punk´n´Roll und Schweinerock, bis das Schiff um 19 Uhr wieder am Ausgangspunkt der Reise ankam. Ich freue mich schon aufs nächste Jahr, wenn es wieder heißt „Leinen los!“. Und wer nicht so lange warten möchte, dem sei zwischenzeitlich die von der HADAG-Reederei angebotene „Riverboat-Party“ empfohlen – mit „Bier, Wein & Softdrinks umsonst, dazu ein deftiges Mettwurstbrett und Hackigel mit bunten Zwiebeln“. Nur die Punkmusik müsstet ihr in dem Fall wohl leider selber mitbringen.